Dann blieb sein Blick auf den Hunderten von winzigen Markierungen auf dem Display haften, die sich alle auf die Sonne zubewegten. Hunderte von Gefallenen seiner Flotte, auf ihrer letzten Reise in die Gluthitze des Sterns, wo die Flammen sie verzehren sollten, damit sie in einem anderen Teil des Universums wiedergeboren werden konnten. »Licht, dann Finsternis, dann Licht«, murmelte er die vertrauten Worte. »Das Dunkel ist nur ein Intervall.«
Desjani hörte ihn und warf ihm einen ernsten Blick zu. »Das Dunkel dauert nicht an«, ergänzte sie die entsprechende Formulierung aus dem Ritual. Dann redete sie in einem anderen Tonfall weiter: »Können wir uns eigentlich sicher sein, dass die Spinnenwölfe unsere Toten nicht entehren werden? Es dauert immerhin Monate, bis sie den Stern erreichen.«
»Die Gesandten und die Experten sind sich einig, dass die Spinnenwölfe verstanden haben, wie wichtig uns die sichere Reise unserer Toten ist«, antwortete Geary. »Um zu verhindern, dass sie sich den einen oder anderen Toten holen, um ihn zu sezieren, haben wir den Spinnenwölfen Scans und Informationen über unsere Biologie überlassen. Von den Toten können sie nicht mehr über unsere Spezies erfahren als das, was wir ihnen bereits zur Verfügung gestellt haben.«
»Haben wir solche Informationen auch schon von den Spinnenwölfen erhalten?«
»Noch nicht.«
»Politiker und Zivilisten«, murrte Desjani verächtlich.
»Sprungpunkt in fünf Minuten«, meldete Lieutenant Castries.
Geary aktivierte sein Komm. »An alle Einheiten, hier spricht Admiral Geary. Wir erwarten im nächsten Sternensystem keine feindseligen Handlungen, und wir dürfen in dem von den Spinnenwölfen kontrollierten Gebiet nicht in einer bedrohlich wirkenden Weise auftreten. Daher gibt es kein vorbereitetes Ausweichmanöver für den Augenblick des Austritts aus dem Sprungpunkt, und es werden dann auch keine Waffen einsatzbereit gemacht. Allerdings werden die Schilde auf Maximum hochgefahren, und sämtliches Personal macht sich auf alle Eventualitäten gefasst. Alle Einheiten springen wie geplant.«
Der Augenblick des Sprungs war gekommen, die Sterne verschwanden, und Geist und Körper der Menschen wurden durch den Wechsel von einem Ort an einen völlig anderen kurzzeitig in Verwirrung gestürzt.
Wenigstens würde die Zeit im Sprungraum Gelegenheit bieten, sich auszuruhen, wenn auch nicht sonderlich viel. Im Sprungraum selbst konnten die Ingenieure der Hilfsschiffe nicht von einem Schiff zum anderen reisen und Reparaturen vornehmen, aber zumindest konnten sie vor Ort die Zeit nutzen, um neue Ersatzteile und Austauscheinheiten für jene Systeme herzustellen, für die die Nachfrage innerhalb der Flotte besonders groß war. Das galt auch für Brennstoffzellen und Raketen, mit denen die Bestände aufgefüllt werden sollten. Die Besatzungen der einzelnen Schiffe waren größtenteils damit beschäftigt, Wartungsarbeiten und Reparaturen durchzuführen.
Geary saß da und betrachtete das Display, das die Umgebung des Schiffs anzeigte. Das matte Grau des Sprungraums erstreckte sich in alle Richtungen, eine Unendlichkeit aus Nichts. Es war möglich, im Sprungraum ein Schiff zu verlassen, um beispielsweise an der Außenhülle Reparaturen vorzunehmen. Aber sobald der Kontakt mit dem Schiff auch nur für einen Sekundenbruchteil unterbrochen wurde, war der betroffene Mensch oder das benutzte Werkzeug verschwunden. Es befand sich nach wie vor im Sprungraum, jedoch an irgendeiner anderen Stelle. In ähnlicher Weise galt das auch für die Schiffe dieser Flotte, die sich alle gemeinsam im Sprungraum befanden, die sich aber gegenseitig nicht sehen konnten. Sie waren zwar in der Lage, untereinander Kontakt zu halten, doch die Nachrichten mussten sehr kurz und einfach sein. Der Unterschied zu Menschen oder Material bestand darin, dass jedes der Schiffe die Fähigkeit besaß, den Sprungraum auch wieder zu verlassen, wenn man am Ziel angekommen war. Wer aber den Kontakt zu seinem Schiff verloren hatte, für den gab es keine Rettung.
Als Folge dieser Risiken wurden Menschen im Sprungraum nicht für Reparaturarbeiten draußen eingesetzt. In Notfällen konnten Roboter zum Einsatz gebracht werden, doch in diesen Fällen musste man von vornherein damit rechnen, dass man diese Roboter nicht wiedersehen würde.
War das vielleicht die Erklärung für die rätselhaften Lichter im Sprungraum? Waren das verzweifelte Lichtsignale von Personen oder Objekten, die für alle Zeit im Nichts gefangen blieben? Der Gedanke ließ Geary schaudern. Da lebte es sich doch schon angenehmer mit dem vorherrschenden Glauben, der den Lichtern irgendeine mystische Bedeutung zuschrieb.
Beruhigend war auch die Tatsache, dass sich von außen keine Bedrohung nähern konnte, solange man im Sprungraum unterwegs war. Das gab ihm die Möglichkeit, sich für eine Weile auf andere Dinge zu konzentrieren.
»Ich gehe runter in mein Quartier«, sagte er zu Desjani. »Sind noch welche von diesen VIP-Wraps übrig?«
»Ich habe keine mehr ausfindig machen können«, erwiderte sie.
»Na, vielleicht esse ich ja auch was zusammen mit der Crew, um einen Eindruck von der momentanen Moral der Truppe zu bekommen.«
»Die Moral auf meinem Schiff ist in bester Verfassung, Admiral«, ließ Desjani ihn wissen. »Ich musste schon seit Tagen niemanden mehr auspeitschen lassen, nur damit die Moral sich bessert.«
»Das hört man gern, Captain.«
Der Spaziergang zum Speisesaal hatte fast etwas Entspannendes an sich. Die Mannschaft verspürte offenbar die gleiche Begeisterung wie Geary, endlich die Bärkühe hinter sich zu lassen und nach Hause aufzubrechen. Beim Essen unterhielt er sich mit einigen Besatzungsmitgliedern. Er fragte sie nach ihren Heimatwelten und erfuhr, dass der größte Teil von Kosatka stammte. Ein paar von ihnen waren dort gewesen, als er und Tanya auf dem Planeten wenige, aber umso unvergesslichere Tage verbracht hatten, die als Flitterwochen hatten reichen müssen. »Ich musste in der Zeit nicht ein einziges Mal einen Drink bezahlen«, berichtete ein Matrose. »Sobald ich eine Bar betrat und man sah den Namen Dauntless auf meinem Schiffsabzeichen, wurde mir prompt etwas spendiert.«
»Ich bekam zwei Heiratsanträge«, erzählte eine jüngere Frau. »Beiden habe ich gesagt, dass ich nichts dagegen einzuwenden hätte, dass aber mein Ehemann vermutlich nicht so begeistert wäre.«
Als das Gelächter nachließ, kamen andere Themen zur Sprache. Wenn man einen Admiral am Tisch hatte, kamen Matrosen üblicherweise auf Dinge wie Lebens- und Arbeitsbedingungen, auf Verpflegung und Freizeit zu sprechen, doch diesmal gab es für sie Bedeutsameres. Die Marines, die zu Tausenden an Bord des Superschlachtschiffs gegangen waren, hatten jedem davon erzählt, was sie dort erlebt hatten, sodass alle bereits einiges über diese Kreaturen wussten. Dennoch gab es immer noch Grund zur Sorge. »Werden wir dorthin zurückkehren, wo die Kiks leben, Admiral?«
Entschieden schüttelte Geary den Kopf. »Nein.« Er sah, wie die Frauen und Männer um ihn herum augenblicklich entspannter wurden, als sie seine eindeutige Antwort hörten. »Jedes Schiff, das in absehbarer Zeit zu ihnen geschickt werden sollte, muss schon vollautomatisch arbeiten. Ich werde nicht ein einziges weiteres Menschenleben opfern, um mit den Bärkühen Kontakt aufzunehmen.«
»Warum nehmen wir dieses riesige Schiff mit, Sir?«, wollte ein anderer wissen. »Es hält uns doch eigentlich auf, oder nicht?«
»Nur ein wenig«, räumte Geary ein. »Aber es ist von unschätzbarem Wert. Es steckt randvoll mit Bärkuh-Technologie. Wenn wir erst mal zurück in der Allianz sind und Zeit haben, jeden Aspekt zu analysieren, kann es natürlich sein, dass sich gar nichts Unbekanntes in diesem Schiff finden lässt. Vielleicht können sie ja gar nicht mehr als wir und erledigen die Dinge einfach nur auf eine andere Weise. Aber vielleicht stoßen wir auch auf Vorrichtungen, von denen wir gar nicht wussten, dass sie möglich sind.«