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Der Konferenzraum bot eigentlich nur gut einem Dutzend Leute Platz, aber durch eine spezielle Software wurde es möglich, den Raum zu »erweitern«, damit virtuelle Teilnehmer anwesend sein konnten. Gearys Blick wanderte über den endlos lang erscheinenden Tisch, an dem alle Offiziere aufgereiht saßen. Die Befehlshaber aller Schiffe der Flotte sahen ihn an, außerdem waren Lieutenant Iger und der Chefarzt der Flotte, Captain Nasr, anwesend, ebenso General Charban und die Gesandte Rione sowie ein paar derjenigen Zivilisten, die als Experten für intelligentes nichtmenschliches Leben mitgereist waren.

Einige andere konnten nur von Geary und Desjani gesehen und gehört werden. Diesen wenigen — ehemalige Kriegsgefangene, die nun an Bord der Mistral und der Typhoon untergebracht waren — war es gestattet, Zeuge der Besprechung zu werden. Hätten die anderen hochrangigen und von sich eingenommenen ehemaligen Gefangenen davon gewusst, dann hätten sie alle darauf bestanden, ebenfalls teilnehmen zu dürfen, und sie wären überdies noch auf die Idee gekommen, darauf zu pochen, dass sie sich im Rahmen der Konferenz zu Wort melden durften. Das durfte auf keinen Fall geschehen.

Seit Geary das Kommando über die Flotte übernommen hatte, waren in diesem Raum für sein Empfinden schon zu viele Konferenzen abgehalten worden, die einen dramatischen Verlauf genommen hatten. Im Verlauf seiner hundert Jahre im Kälteschlaf waren die Flottenkonferenzen in politische Debatten verwandelt worden, bei denen die Flottenkommandanten um die Gunst ihrer Untergebenen buhlten, anstatt ihnen Befehle zu erteilen, die sie auszuführen hatten.

Als man Geary aus dem Kälteschlaf geholt hatte, stellte sich heraus, dass er bei Weitem der dienstälteste Captain der gesamten Allianz-Flotte war, hatte man ihn doch vor gut einem Jahrhundert in diesen Rang befördert. Ihm selbst war das zunächst egal gewesen, doch nach dem Tod von Admiral Bloch, der ihm vorübergehend das Kommando über die Flotte übertragen hatte, war Geary nicht nur per Befehl, sondern auch vom Dienstalter her derjenige, dem das Recht zustand, Blochs Nachfolge anzutreten. Eine ausreichende Anzahl der damaligen Commander der Flotte war dieser Argumentation gefolgt und hatte zugestimmt, dass Geary tatsächlich das Kommando über die Flotte übernehmen sollte. Dieser gesamte Prozess, bei dem er als Befehlshaber nicht nur die Meinung seiner Untergebenen anhören, sondern dafür sorgen sollte, dass seine Entscheidung eine Mehrheit fand, war ihm als skandalös verkehrt vorgekommen, doch da hatte er auch nicht gewusst, wie grundlegend ein Jahrhundert Krieg und Blutvergießen die Struktur der Flotte und den Charakter der Offiziere beschädigt hatten.

Er hatte sofort begonnen, zu den Verhältnissen zurückzukehren, wie er sie noch gekannt hatte, und auch wenn es ein langwieriger und allzu oft schmerzhafter Prozess gewesen war, ging es inzwischen doch deutlich gesitteter und professioneller zu. »Als Erstes«, begann er, »möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich sehr schätze, mit welchem Geschick sich diese Flotte in unserer letzten Schlacht geschlagen hat. Gut gemacht.«

Es wäre für ihn deutlich schwieriger gewesen, diese Worte auszusprechen, wäre Captain Vente von der Invincible anwesend gewesen. Doch dessen Schiff war inzwischen nur noch ein sich rasch ausdehnender Ball aus Staub, da man die Antriebseinheit kontrolliert gesprengt hatte. Da Vente selbst nicht länger Befehlshaber über ein Schiff war, besaß er auch kein Recht, an dieser Besprechung teilzunehmen.

In diesem Augenblick saß Vente in einem Behelfsquartier an Bord der Tanuki und wusste nicht einmal, dass eine Konferenz einberufen worden war.

»Bedauerlicherweise sind auch einige Verluste zu beklagen«, fuhr Geary fort. »Mögen die Vorfahren die Toten mit allen Ehren empfangen, die ihnen zustehen.«

Captain Badaya saß mit finsterer Miene da und starrte auf die Tischplatte. »Wir werden die Invincible rächen. Und vielleicht hört die Allianz ja jetzt endlich auf, neue Schlachtkreuzer auf diesen unheilvollen Namen zu taufen.«

»Das ist wohl nicht zu befürchten«, meldete sich Captain Vitali von der Daring. »Mit dem Ende des Krieges hat man aufgehört, neue Schiffe zu bauen. Es befinden sich keine Schlachtkreuzer im Bau, denen man diesen Namen noch geben könnte.«

Geary schaute zu Captain Smythe, der weder eine Miene verzog noch irgendeine Geste machte, der aber dennoch zu vermitteln verstand, dass sie beide das Gleiche dachten. Wenn das stimmte, was Smythe und seine Leute herausgefunden hatten, dann wurden sehr wohl neue Kriegsschiffe gebaut. Diese Tatsache wurde lediglich vor Geary und jedem anderen Mitglied dieser Flotte geheimgehalten. Warum dem so war, das stellte für Geary nur eine von vielen Fragen dar, die er zu klären hatte. Im Augenblick war es aber besser, wenn er die Unterhaltung auf andere Themen lenkte. »Ich möchte vor allem das Agieren der Orion in dieser jüngsten Konfrontation hervorheben.«

Commander Shen reagierte nur mit einem mürrischen Nicken auf Gearys lobende Worte, während die anderen Offiziere diesem Lob mit Gesten und Äußerungen zustimmten. Zumindest galt das für die meisten Offiziere, während ein paar eine neutrale Miene wahrten, womöglich, weil sie immer noch eine gewisse Verbundenheit mit dem in Ungnade gefallenen Captain Numos verspürten. Und Captain Jane Geary schien Mühe zu haben, ihr Missfallen darüber für sich zu behalten, dass Shen so hervorgehoben wurde.

»Meine Crew verdient dieses Lob«, erklärte Shen mit notorisch verdrießlichem Gesichtsausdruck. Er war kein Diplomat, und ihm schien der Gedanke fremd zu sein, sich bei seinen Vorgesetzten anzubiedern. Aber die Orion hatte nun mal gut gekämpft, und für Geary war es in seiner Erfahrung mit dieser Flotte das erste Mal, dass er das von diesem Schiff sagen konnte. Vielleicht hatte Desjani ja recht, und Shen war trotz seiner schroffen Art genau der richtige Commander, um die Orion endlich auf den richtigen Weg zu bringen.

»Der zweite Punkt«, fuhr Geary fort, »betrifft unser Wissen darüber, wie die Aliens den Stein abgelenkt haben, den wir auf ihre Orbitalfestung abfeuerten. Oder anders ausgedrückt: Wir haben keine Ahnung, wie ihnen das gelingen konnte. Ihnen allen wurde der Zugriff auf sämtliche Sensordaten erlaubt, jetzt würde ich gern Ihre Meinung dazu hören.«

Captain Neeson von der Implacable ergriff als Erster das Wort: »Mein erster Gedanke war Magnetkraft, also ein sehr starkes, sehr konzentriertes Magnetfeld, das projiziert wird, um alles abzulenken, was auf die Festung abgefeuert wird, vorausgesetzt, das Objekt besteht aus dem richtigen Metall. Aber ein so starkes Magnetfeld hätten unsere Sensoren bemerken müssen.«

Captain Hiyen von der Reprisal nickte nachdrücklich. »Und doch entspricht das Beobachtete dem, was wir auch zu sehen bekommen hätten, wäre ein Magnetfeld im Spiel gewesen. Das heißt, es muss etwas gewesen sein, das sich genauso wie ein Magnetfeld verhält. Vielleicht etwas, das bei nichtmagnetischen Substanzen genau die gleiche Wirkung erzielt.«

»Und was sollte das sein?«, fragte Captain Duellos von der Inspire.

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Hiyen. »Ich kann nur mit Gewissheit sagen, dass immens viel Energie notwendig wäre, um etwas Derartiges zu erzeugen.«

»Das sehe ich auch so. Mehr Energie zumindest als jedes unserer Schiffe erzeugen könnte«, pflichtete Neeson ihm bei.

Captain Tulev nickte und sagte mit düsterer Stimme: »Dann wissen wir jetzt, wieso diese Festung so riesig ist. Sie muss Platz bieten für die Generatoren, die für den Abwehrmechanismus sorgen.«

Seit dem Tod von Captain Cresida waren Neeson und Hiyen zwei der besten noch lebenden Wissenschaftstheoretiker unter den Offizieren dieser Flotte. Nachdem er nun ihre Meinung kannte, wandte er sich an Captain Smythe. »Was meinen die Ingenieure dazu?«