»Ingenieure«, sagte Geary. »Richtig gute Ingenieure. Sie planen, bevor sie handeln. Sie bauen nichts, von dem sie nicht genau wissen, dass es funktioniert. Wir könnten sie vermutlich überrumpeln.«
»Oder zumindest in Verwirrung stürzen.« Charban beugte sich vor und sah Geary eindringlich an. »Aber lassen Sie mich zum wichtigsten Teil meiner Einschätzung kommen, Admiral. Würde eine Rasse, die immer vorausplant, die sich mit unerwarteten oder unkontrollierbaren Ereignissen oder Konsequenzen beschäftigen möchte, eine Rasse, die stets Gewissheit darüber haben möchte, was als Nächstes geschieht… würde eine solche Spezies jemals absichtlich einen Krieg beginnen?«
Die Frage war leicht zu beantworten. »Nein.«
»Richtig. Krieg ist Chaos, Krieg ist unberechenbar. Ich habe mal eine Geschichte von einem König in der Antike gehört, der ein unfehlbares Orakel gefragt hat, was geschehen wird, wenn er in ein benachbartes Königreich einfällt. Das Orakel sagte ihm, wenn er das mache, werde ein mächtiges Königreich untergehen. Überzeugt davon, dass ihm der Sieg sicher war, begann er einen Angriff. Doch er verlor, und es war sein Königreich, das vernichtet wurde. Er hatte bei der Antwort des Orakels nicht in Erwägung gezogen, dass sein eigenes Reich gemeint sein könnte.«
»Unvorhersehbare Umstände«, sagte Geary.
»Ganz genau. Wären wir Menschen eine rationale Spezies, dann würden wir an unserer Geschichte ein Beispiel nehmen und nie wieder einen Krieg beginnen. Aber es gibt immer wieder Menschen, die sich einreden, dass es diesmal anders kommen wird und dass sie ganz genau voraussagen können, wie es ausgehen wird. Warum hat der Syndik-Exekutivrat vor hundert Jahren den Krieg gegen die Allianz begonnen, wenn ihnen doch hätte klar sein müssen, dass sie nicht mal mit der Hilfe der Enigmas gewinnen könnten? Ihnen hätte klar sein müssen, dass sie bei allem Blutvergießen nicht mehr als eine Pattsituation erreichen konnten. Aber wir Menschen finden eben immer wieder Mittel und Wege, anderen und uns selbst etwas vorzumachen. Ich glaube nicht, dass die Spinnenwölfe so denken. Ganz im Gegenteiclass="underline" Ihre Neigung, alles Unberechenbare zu vermeiden, könnte sie daran hindern, ihren Nachbarn gegenüber je aggressiv aufzutreten.«
Geary nickte nachdenklich. »Aber Selbstverteidigung ist ein anderes Thema. Ein Zuwenig an Verteidigungseinrichtungen würde ein von ihnen nicht gewolltes Ergebnis herbeiführen, oder es würde einen Unsicherheitsfaktor ins Spiel bringen, weil sie nicht sagen könnten, ob jemand angreifen wird oder nicht.«
»Ja. Und das alles ist eine sehr verworrene Art, auf Ihre Frage zu antworten. Ja, ich glaube, wir können den Spinnenwölfen vertrauen. Ich bin mir sicher, dass sie keinen Krieg mit uns anfangen werden. Würden wir einen Krieg beginnen, dann würden sie mit all ihrer Schläue und ihrem Können zurückschlagen. Aber sie werden einen Krieg nicht anzetteln. Sie wissen nicht, welche Folgen das für die Strukturen und Muster haben könnte.«
Ja, es passte alles zusammen. »Eigeninteresse.«
»Wie bitte?«
»Eigeninteresse«, wiederholte Geary und erklärte: »Wie verhält sich jede nichtmenschliche intelligente Spezies? Auf eine Weise, von der sie glauben, dass sie ihren eigenen Interessen dient. Die Enigmas sind davon überzeugt, dass es für sie von entscheidender Bedeutung ist, alles über ihr Volk geheim zu halten, also tun sie alles, damit wir nichts über sie herausfinden. Die Bärkühe glauben, wir wollten sie aufessen, folglich greifen sie zu allen Mitteln, um uns davon abzuhalten. Und die Spinnenwölfe sind der Meinung, wir können ihnen helfen, ihre Muster und Strukturen zu verankern, wenn wir mit ihnen zusammenarbeiten. Würden wir sie attackieren, dann würden diese Strukturen gravierend gestört. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie nach dem streben, was ihrem Ermessen nach ihr Eigeninteresse darstellt.«
General Charban lehnte sich zurück und überlegte einen Moment lang. »Wir Menschen sind genauso. Warum sind wir jetzt hier? Weil wir es für wichtig hielten, über die Enigmas in Erfahrung zu bringen, ob wir mit ihnen fertigwerden können, ohne einen Krieg zu beginnen. Und weil wir herausfinden wollen, wie schlagkräftig sie sind. Es lag in unserem Eigeninteresse, die Flotte allen Risiken zum Trotz auf diese Mission zu entsenden.«
»Das Eigeninteresse der Menschheit als Ganzes, meinen Sie«, sagte Geary in stechendem Tonfall.
»Ja, richtig«, bestätigte Charban. »Diese Mission stellt nicht das Eigeninteresse des einzelnen Menschen in dieser Flotte in den Mittelpunkt. Vielleicht unterscheiden wir uns in dieser Hinsicht ja gar nicht so sehr von den Enigmas oder den Bärkühen. Die Menschheit ist bereit, für das Wohl der Gesamtheit ein paar aus ihren eigenen Reihen zu opfern. Ich werde Ihren Gedanken an die zivilen Experten weiterleiten, wenn Ihnen das recht ist. Das könnte ein Konzept sein, das uns hilft, auf emotionaler Ebene sogar mit der fremdartigsten Spezies in Kontakt zu treten.«
»Gut.« Geary hob eine Hand, um Charban davon abzuhalten aufzustehen. »Was die zivilen Experten angeht…«
»Ich glaube, denen können wir vertrauen, Admiral«, scherzte Charban, bemerkte dann aber Gearys Reaktion. »Sind Sie deswegen besorgt?«
»Ich weiß nicht. In letzter Zeit habe ich von ihnen einen wechselnden Eindruck. Jedenfalls von denen, die mit mir regelmäßig in Verbindung stehen. Sie müssen wissen, dass ich außer mit Dr. Setin und Dr. Shwartz kaum mit einem von ihnen etwas zu tun habe.«
»Verstehe.« Charban setzte sich wieder entspannter hin. »Ich habe mit jedem von ihnen zu tun. Wussten Sie, dass sich unsere zivilen Experten in drei Gruppen aufteilen? Eine kleine Gruppe war vor der Begegnung mit unserer ersten außerirdischen Spezies davon überzeugt, dass es zwischen unseren Rassen zu einem Kampf bis zum Tod kommen würde. Interessanterweise glauben sie das jetzt immer noch und betrachten jede neue Erkenntnis als Argument, das für ihre Einstellung spricht. Eine andere kleine Gruppe war der Ansicht, das Universum würde uns mit offenen Armen empfangen und uns Frieden und Freundschaft schenken. Diese Gruppe ist von ihrer Meinung ebenfalls nach wie vor fest überzeugt. Alle Probleme beim Kontakt mit den anderen Spezies beruhen demzufolge auf unseren Fehlleistungen.«
»Auf den Fehlleistungen des Militärs, wollten Sie sagen«, kommentierte Geary ironisch.
»Richtig. Und dann ist da noch die dritte und zugleich größte Gruppe. Diese Leute warten ab, bis sie einen Beweis sehen, um dann zu entscheiden, was dieser Beweis bedeutet. Um ehrlich zu sein, überrascht es mich, dass diese Gruppe so groß ausfällt, aber das hat meiner Meinung nach mit Dr. Setins Bemühungen zu tun, Einfluss darauf zu nehmen, welche Zivilisten uns begleiten sollten und welche nicht.« Sekundenlang schwieg Charban. »Diese Gruppe war zutiefst erschüttert über die Reaktionen der Enigmas und der Bärkühe, weil dieses Verhalten für die Gruppe spricht, die die Ansicht vertritt, dass das Universum uns hasst. Der Kontakt mit den Spinnenwölfen war ausgesprochen wichtig, um ihnen den Glauben an das Universum und an diese Mission zurückzugeben.«
»Meinen Sie denn, es ist da unten wieder alles in Ordnung? Gibt es keinen Anlass zur Sorge?«
»Das habe ich damit nicht gesagt, Admiral.« Zwar lächelte Charban, jedoch nicht, weil ihn irgendetwas amüsiert hätte. »Wenn wir ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt sind, wird es in akademischen und populären Veröffentlichungen zweifellos nur so von Artikeln wimmeln, in denen sich unsere Experten darüber auslassen, wie schlecht das Militär und einige der anderen Experten die Situation hier draußen gehandhabt haben. Und natürlich wird der jeweilige Verfasser darauf hinweisen, dass allein durch ihn eine völlige Katastrophe verhindert werden konnte.«
»Dann hat sich das Verhalten der Akademiker in den letzten hundert Jahren also kein bisschen verändert«, stellte Geary fest.
»Nein, natürlich nicht.« Nachdenklich sah Charban auf das Sternendisplay. »Dr. Setin war einer Ihrer größten Fürsprecher unter den zivilen Experten. Aber das Gemetzel auf dem Superschlachtschiff der Bärkühe hat ihn zutiefst erschüttert. Ich glaube, ihm ist klar, dass Sie keine andere Wahl hatten und dass wir alles versucht haben, die Bärkühe zur Kapitulation zu bewegen, anstatt auf Leben und Tod gegen sie zu kämpfen. Aber emotional haben ihm diese Geschehnisse große Schwierigkeiten bereitet. Dennoch ist er ein guter Mann mit klarem Verstand, und ich glaube, er wird darüber hinwegkommen.«