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Geary betrachtete wieder sein Display und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. »Wenn die Spinnenwölfe wissen, dass die Syndiks unsere Feinde sind… waren, was glauben sie dann, wieso wir unbedingt vor den Enigmas nach Midway gelangen wollen?«

Wieder reagierte Rione mit einem Lächeln. »Die Spinnenwölfe glauben, dass wir unseren Bruder-Feinden im Kampf gegen unsere Nicht-Bruder-Feinde beistehen, und das scheint sie zutiefst zu beeindrucken.« Sie stand auf. »Ich sollte mich nicht so lange hier aufhalten.«

»Ich verstehe.« Er erhob sich ebenfalls, doch als Rione sich zum Gehen wandte, sagte er: »Victoria, ich werde ihm helfen. Ich weiß, was unternommen werden muss, und wenn wir zurück im Allianz-Gebiet sind, werde ich dafür sorgen, dass es unternommen wird.«

Sie musterte ihn lange, dann nickte sie einmal. »Hoffen wir, dass er lange genug lebt.«

Rione war nicht mal eine Minute weg, da ertönte von Gearys Komm-Einheit ein vertrautes Signal.

»Oh, Sie sind noch auf«, sagte Desjani.

»Als ob Sie das nicht wüssten. Wollen Sie herausfinden, wieso die Gesandte Rione bei mir war?«

»War sie das?«

»Ja. Sie hat mich über Dinge informiert, die sie von den Spinnenwölfen erfahren hat.« Es waren Dinge, die Desjani auch wissen musste. »Da ich heute Nacht die Gerüchteküche schon genug zum Brodeln gebracht habe, werde ich Ihnen alles morgen erzählen.«

»Vielen Dank, Admiral.« Desjani warf ihm einen sonderbaren Blick zu. »Was immer es ist, das bei Ihnen so einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat — müssen wir uns deswegen Sorgen machen?«

»Das weiß ich noch nicht. Im Moment kann ich dazu nur sagen, dass die Menschheit sich selbst lange Zeit auf die Schultern geklopft hat, weil sie ja so viel über das Universum weiß. Nur scheint es so, als hätte das Universum während dieser ganzen Zeit hinter unserem Rücken Grimassen geschnitten und uns ausgelacht.«

Er wusste nicht, wieso er erwartet hatte, dass das Hypernet-Portal der Spinnenwölfe anders aussehen sollte als das von den Menschen und den Enigmas konstruierte, aber auf jeden Fall wurden Gearys Erwartungen nicht enttäuscht. Die Spinnenwölfe hatten die Trossen auf eine Weise gearbeitet, dass sie tatsächlich das Bild eines Spinnennetzes hervorriefen, das Dr. Shwartz immer wieder als Metapher benutzte. Aus Gearys Sicht wirkte dieses Hypernet-Portal nicht nur wie eine gewaltige technische Leistung (was auch bei dem von Menschen erbauten Portal der Fall war), es hatte auch etwas von einem Kunstwerk.

Letztlich blieb es trotzdem immer noch ein Hypernet-Portal.

»Ich mag das Hypernet nicht«, murmelte er gerade laut genug, um von Desjani gehört zu werden. Er wollte nicht, dass alle auf der Brücke wussten, was er empfand.

Sie war damit beschäftigt, den Status der Dauntless zu überprüfen, damit das Schiff für den Transit bereit war. »Wieso nicht?«

»Es fühlt sich unnatürlich an.«

»Im Vergleich zu was? Zum Sprungraum?«

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Sie wissen genau, was ich meine.«

»Weiß ich nicht«, gab sie zurück. »Wirklich nicht. Wenn man von einem Stern zum nächsten reisen und dafür nicht Jahrzehnte vergeuden will, dann muss man dafür schon irgendwas Eigenartiges machen. Ich persönlich halte den Hypernet-Raum für nicht so eigenartig wie den Sprungraum.«

Er erwiderte nichts, da er schlecht gelaunt war. Riones Erkenntnisse machten ihm zu schaffen, und immer wieder regte sich die Sorge, wie es wohl um Midway bestellt war. Und die Tatsache, dass es keine brauchbaren Informationen darüber gab, womit die Enigmas bei Hua aufwarten mochten, war für ihn ein weiterer Grund zur Sorge…

»Die Spinnenwölfe wollen wissen, ob wir bereit sind«, meldete sich General Charban.

Geary betrachtete die Anzeige für den Flottenstatus. Es könnte besser sein, viel besser sogar. Zu viele Schäden und nicht genug Zeit und Ressourcen, um alle notwendigen Reparaturen durchzuführen. Waren sie dennoch bereit aufzubrechen? »Ja, die Flotte ist bereit. Werden die Spinnenwölfe uns einen Countdown vorgeben?«

»Da bin ich mir nicht sicher«, erwiderte Charban, nachdem er die Frage über den Koordinationskanal weitergeleitet hatte. Kaum waren ihm diese Worte über die Lippen gekommen, da zuckte das Universum zusammen, die Sterne verschwanden, und rings um die Dauntless gab es nur noch völlige Schwärze. »Ich korrigiere mich. Die Antwort lautet: Nein, sie werden uns keinen Countdown vorgeben.«

»Danke, General.« Geary betrachtete das andere Nichts, das ein Schiff während eines Durchflugs des Hypernets umgab. Eine Blase aus Nichts, in der die Schiffe hingen, so hatte Desjani es einmal bezeichnet.

Den Physikern zufolge bewegten sie sich eigentlich nicht von der Stelle, dennoch würden sie weit von ihrer letzten Position entfernt sein, wenn sie durch das andere Hypernet-Portal in den Normalraum zurückkehrten.

»Vier Tage, sagen die Spinnenwölfe«, machte Charban Geary klar.

»Wir haben eine lange Strecke vor uns«, merkte Desjani an. »Habe ich Ihnen schon mal gesagt, dass, je länger der Weg durch den Hypernet-Raum ist, man umso kürzer unterwegs ist?«

»Ja, das haben Sie.« Er konnte sich noch lebhaft an diesen Augenblick erinnern. Damals hatte er darauf gewartet, das erste Mal den Konferenzraum der Dauntless zu betreten, um das Kommando über die in der Falle sitzende Flotte zu übernehmen. Es war seine erste richtige Begegnung mit Tanya gewesen, die ihn seinerzeit mit ihrem grenzenlosen Vertrauen in seine Fähigkeit regelrecht erschreckt hatte.

Sie hatte zwar recht behalten mit ihrer Überzeugung, er werde sie schon alle retten, doch er selbst war nach wie vor der Meinung, dass das Glück bei dem Ganzen eine viel zu große Rolle gespielt hatte.

Vielleicht lag es daran, dass sie sich im Hypernet-Raum befanden, also genau genommen nirgendwo, was eigentlich kein Anlass zur Sorge sein sollte. Dennoch war Geary nach wie vor besorgt, was wahrscheinlich etwas damit zu tun hatte, dass zu viele unbekannte Größen im Spiel waren. Womöglich hatte ihn auch irgendwas an vorangegangene Erlebnisse erinnert.

Auf jeden Fall wachte er mitten in der Nacht nass geschwitzt auf. Sein Blick ruhte auf dem Deckendisplay, das ihm zeigte, dass alles in Ordnung war. Der Lärm von Sirenen, das Dröhnen von Explosionen, die Schreie der Sterbenden — das alles hallte in seinem Kopf nach, doch in seinem Quartier herrschte die übliche nächtliche Stille, auch wenn es nur eine künstliche Nacht war wie auf jedem Schiff, das sich weit von irgendeinem Planeten entfernt befand.

Geary setzte sich in der Dunkelheit auf, rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht und stellte die Füße auf den Fußboden, um zu spüren, dass das Schiff um ihn herum tatsächlich existent war. Die leichten Vibrationen, die sich von verschiedenen Quellen kommend von einem Deck zum nächsten fortsetzten, sagten ihm, dass die Dauntless quicklebendig war.

»Admiral?« Desjanis Gesicht tauchte auf dem Komm-Schirm auf. Ihr Haar war zerzaust, ihr Blick war vor Müdigkeit noch unkonzentriert. Im Hypernet-Raum ebenso wie im Sprungraum war es sogar dem Befehlshaber eines Schlachtkreuzers möglich, nachts einmal durchzuschlafen.

Geary atmete tief durch, ehe er fragte: »Was gibt es?«

»Was es gibt? Sie haben mich gerufen.«

»Nein, habe ich nicht.«

Desjani runzelte die Stirn. »Wenn Sie wollen, kann ich die Aufzeichnungen des Komm-Systems aufrufen. Vielleicht haben Sie die Taste im Schlaf betätigt, aber auf jeden Fall haben Sie mich gerufen.«

Zerknirscht schaute er auf die Tasten vor dem Bildschirm an seinem Bett. Er könnte tatsächlich versehentlich die Taste berührt haben, die ihn direkt mit Tanya verband, vor allem weil dies die vorderste Taste war. Wenn er im Schlaf mit den Armen gefuchtelt hatte, dann war das durchaus möglich. »Tut mir leid, das war keine Absicht.«