Anstatt abzuschalten, betrachtete sie ihn: »Sie sehen aus wie durch die Mangel gedreht.«
»Besten Dank.«
»Albtraum?«
»Ja.«
Sie wartete einfach ab und sah ihn so geduldig an wie eine Katze, die vor einem Mauseloch darauf lauerte, dass die Beute zum Vorschein kam, und die bereit war, notfalls auch die ganze Nacht darauf zu warten.
»Es gab einen Kampf«, sagte er. »Weiter nichts. Das Übliche eben.«
»Das Übliche?« Tanya seufzte. »Sie sind nicht der Einzige, der Rückblenden erlebt. Außerdem weiß ich von den Albträumen wegen der Merlon, schon vergessen? Damit haben Sie mich einmal während unserer Flitterwochen aus dem Schlaf gerissen. Ging es wieder um die letzten Momente an Bord der Merlon?«
Er hätte es bejahen und das Gespräch beenden können, aber sie hätte wahrscheinlich gewusst, dass er ihr etwas vormachte. »Zum Teil. Es war auch noch anderes mit dabei.« Und wieder wartete sie. »Ich habe manchmal diese Träume. Ich stehe auf der Brücke der Dauntless oder der Merlon, und ich befehlige eine Flotte. Einen einzigen, winzigen Moment bin ich unaufmerksam, und dann ist auf einmal der Feind da, genau über uns. Ein hoffnungslos übermächtiger Feind. Ich gebe Befehle aus, aber die kommen zu spät und sind alle falsch. Ringsum werden meine Schiffe zerstört, und das Schiff, auf dem ich mich befinde, wird schwer getroffen. Mir ist bewusst, das ist das Ende, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein Schiff verloren ist. Und alles ist allein meine Schuld.«
»Also gut«, sagte Tanya. »Das kenne ich alles, nur dass ich nie eine Flotte befehligt habe. Haben Sie sich einer Stresstherapie unterzogen?«
»M-hm.« Allein, dass er mit ihr reden konnte, machte es ihm etwas leichter, auch wenn er wieder von den Bildern von Zerstörung und Verwüstung aus seinem Albtraum heimgesucht wurde. »Sie helfen einem, es besser zu ertragen, aber sie lassen es nicht verschwinden.«
Sie lachte leise und verbittert. »Meinen Sie, das wüsste ich nicht? Ich kämpfe schon länger als Sie, Matrose.«
»Ich hatte gehofft, dass man bei einem Jahrhundert Krieg bessere Behandlungsmethoden entwickelt hätte.«
»Sollte man meinen, schließlich konnten sie an genügend Versuchskaninchen herumexperimentieren«, antwortete Desjani von rabenschwarzem Humor erfüllt. »Aber es ist nicht so. Menschen sind kompliziert. Wenn in unserem Kopf etwas verkehrt läuft, dann lässt sich der Urzustand nicht so leicht wiederherstellen. Heute helfen uns die Ärzte gleich wieder weiterzumachen, obwohl wir eigentlich gar nicht mehr funktionieren dürften. Aber diese Ärzte sind auch nur Menschen, keine Götter. Stress und Traumata sind zwei der niemals endenden Freuden beim Militär, so wie schlechtes Essen, zu wenig Schlaf und miserable Unterkünfte. Und wir sind eine Ewigkeit von unseren Familien getrennt.«
Er lächelte flüchtig. »Bei so vielen Freuden muss man sich fragen, warum sie uns überhaupt noch Sold zahlen müssen.«
»Ja, das ist wirklich erstaunlich. Und? Fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Ja.«
»Lügner. Was bedrückt Sie noch?«
Mit einer Hand fuhr er sich durchs Haar. »In diesem Albtraum sah ich… da sah ich dich sterben, Tanya. Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, was ich tun würde, wenn…«
»Wenn ich sterben sollte?« Sie sprach es schroff und direkt aus. »Wenn das passiert, wirst du dich zusammenreißen, deine Pflicht tun und dein Leben weiterleben.«
Er starrte sie an. »Meinst du wirklich, es wäre so einfach?«
»Nein, aber darum geht es nicht. Glaubst du, ich möchte einen am Boden zerstörten, gebrochenen Mann hinterlassen? ›Oh ja, das ist Black Jack. Früher war er mal ein Held, bevor sie gestorben ist und ihn zerstört hat.‹ Oh ja, so sollen doch bitte alle über mich denken, wenn ich nicht mehr da bin.«
»Tanya…«
»Nein«, unterbrach sie ihn erneut. »Das ist nicht verhandelbar. Sollte es dazu kommen, dann wirst du den Rest deines Lebens leben. Du wirst neues Glück finden, und du wirst weiterhin tun, was du tun musst und was du tun sollst. Ist das klar?«
»Glasklar«, sagte Geary. »Wirst du das auch so machen?«
»Was? Wenn du stirbst? Du, der legendäre vergötterte Held der Allianz? Wahrscheinlich werde ich eine Enthüllungsbiografie schreiben und damit mehr Geld verdienen, als ich jemals ausgeben kann. Vergiss nicht, dass mein Onkel nicht nur Literaturagent ist, sondern auch noch nie bei etwas Unmoralischem ertappt wurde. Meine Nächte mit Black Jack. Wie klingt das als Buchtitel?«
Unwillkürlich musste er lächeln. »Könntest du wenigstens auf das Black Jack verzichten, wenn du schon reich wirst, indem du über unsere gemeinsame Zeit schreibst?«
Tanya schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Die Marketingabteilung wird ganz bestimmt darauf bestehen. Ich kann mir auch schon vorstellen, welches Titelbild ihnen vorschwebt. Irgendeine heldenhafte Pose, die dich bei etwas zeigt, das du nie getan hast. Vielleicht in einer Gefechtsrüstung. Mit einer Waffe in der Hand.«
»Als ob das passieren würde. Wenn ich sterbe, wirst du also deine Memoiren schreiben.«
»Ja, und ich werde mir wohl auch eine Katze zulegen.« Sie sah ihn amüsiert an. »Fühlst du dich jetzt besser?«
»Ja, Tanya, das tue ich allerdings. Danke. Wirst du dich jetzt wieder schlafen legen?«
»Ich werde es zumindest versuchen.« Sie wurde wieder ernst. »Geh morgen früh zu den Ärzten und finde heraus, ob du eine zusätzliche Therapie oder irgendetwas anderes brauchst. Dieser Mist kann einem sehr zusetzen.«
»Werde ich machen«, versprach Geary.
Nachdem der Bildschirm dunkel geworden war, legte er sich hin und starrte an die Decke, während er sich fragte, wo er wohl inzwischen wäre, wenn er sich alledem allein stellen müsste.
Das namenlose, von den Spinnenwölfen bevölkerte Sternensystem am anderen Ende der Hypernet-Reise war nicht annähernd so paradiesisch wie das System, das sie hinter sich gelassen hatten. Dennoch bot es eine immer noch überdurchschnittliche Anzahl an Planeten sowie Ressourcen, außerdem eine Vielzahl an Spinnenwolfstädten auf der einzigen besiedelten Welt. Geary und der Rest der Flotte bekamen jedoch nicht viel von diesem Sternensystem und seinen Eigenschaften zu sehen, da der Sprungpunkt, zu dem sie von den sechs Eskortschiffen geleitet wurden, nicht einmal eine Lichtstunde vom Hypernet-Portal entfernt war. Seine anhaltende Sorge, die Spinnenwölfe könnten sie zu einem völlig anderen als dem zugesicherten Ziel bringen, verflüchtigte sich in dem Moment, als die Flottenscanner die Umgebung abtasteten und die Bestätigung dafür lieferten, dass alle Sterne exakt dort zu finden waren, wo sie auch zu finden sein sollten.
Auch wenn Rione, Charban und die zivilen Experten auf Mitteilungen von den Spinnenwölfen warteten, meldeten sich weder lokale Stellen noch die Eskortschiffe, bis die Flotte fast den Sprungpunkt erreicht hatte.
»Sie wollen wissen, ob wir bereit sind«, fragte Charban wieder.
»Wir sind bereit«, erwiderte Geary, der dankbar dafür war, dass er diesmal die Kontrolle darüber hatte, wann die Schiffe zum Sprung ansetzten.
Nach dem Sprung betrachtete Desjani die graue Leere ringsum. »Der nächste Stern dürfte kein Problem darstellen. Der danach könnte uns Ärger einbringen.«
»Und der danach wird uns Ärger einbringen«, bekräftigte Geary.
Als sie den nächsten von den Spinnenwölfen kontrollierten Stern erreichten, war es für Geary keine große Überraschung, dass sich in der Nähe aller Sprungpunkte die bereits bekannten schweren, getarnten Minen fanden. Das galt auch für eine weitere grandiose Formation aus Spinnenwolf-Kriegsschiffen, die so positioniert waren, dass sie jede Streitmacht abwehren konnten, ganz gleich durch welchen der beiden Sprungpunkte die ins System gelangte. »Es ist wohl offensichtlich, dass die Spinnenwölfe den Enigmas nicht über den Weg trauen.«