»Danke, Admiral. Mehr als das will ich auch gar nicht.«
Geary ließ sich in seinen Sessel sinken. Er hatte genug davon, schwierige Entscheidungen zu treffen, vor allem bei Angelegenheiten, bei denen keineswegs klar war, welcher der richtige Weg war.
»Admiral?«, meldete sich Desjani leise zu Wort.
»Ja?«
»Während Sie mit dem Arzt gesprochen haben, ist eine weitere Nachricht mit hoher Priorität für Sie eingegangen. Captain Jane Geary möchte so bald wie möglich mit Ihnen reden.«
Na, großartig. Dass dieser Moment kommen würde, hatte er gewusst. Da sich die Schlachtkreuzer immer weiter von den Schlachtschiffen entfernten, würde die Zeitverzögerung zwischen jeder Frage und Antwort größer und größer werden und die lästige Unterhaltung sich umso mehr in die Länge ziehen. »Ich melde mich von meinem Quartier aus bei ihr.«
»Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, schonen Sie nicht ihre Gefühle. Sagen Sie ihr klipp und klar, was Sache ist. Und verraten Sie ihr bei den Vorfahren ja nicht, dass diese Ratschläge von mir gekommen sind.«
Einige Minuten lang blieb er noch auf der Brücke und sah mit an, wie die Enigma-Flotte mit Ziel Midway in den Sprungraum verschwand. Das war eigentlich schon vor Stunden geschehen, doch jetzt beobachten zu können, wie der Feind tatsächlich das System verließ, machte es umso deutlicher, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten.
»Also gut, ich bin dann in meinem Quartier und rede mit meiner Großnichte.«
Bevor er mit der Dreadnaught Kontakt aufnahm, überprüfte er zunächst alle Sicherheitseinstellungen seiner Komm-Software. Aus Erfahrung wusste er, dass es eine absolute Abhörsicherheit nicht gab, dennoch wollte er alles tun, damit dieses Gespräch unter vier Augen auch ein solches blieb.
Jane Gearys Bild nahm in seinem Quartier Gestalt an. Sie machte keinen erfreuten Eindruck, doch damit hatte er auch nicht gerechnet. »Admiral, ich bitte mit allem nötigen Respekt um eine Darlegung der Gründe, die dazu geführt haben, dass ich bei dem Kommando über diese Hälfte der Flotte übergangen wurde.«
Er konnte den persönlichen Ansatz für eine Antwort wählen, oder er konnte genauso wie sie eine dienstliche Fassade vorschieben, wie Jane Geary es schon zuvor wiederholt gemacht hatte, um ihre Gefühle zu verstecken. Entgegen Desjanis Ratschlag entschied er sich für den zweiten Weg.
»Captain Geary«, begann er in förmlichem Tonfall. »Ich habe den Offizier ausgewählt, der meiner Meinung nach am besten dafür geeignet ist, die erforderlichen Aufgaben auszuführen.«
»Wenn das etwas mit den Gerüchten zu tun hat, ich würde von Ihnen bevorzugt behandelt, dann ist es ungerecht, mich für falsche Anschuldigungen zu bestrafen, die andere über mich verbreiten, Admiral.«
Geary musste innehalten, bevor er antwortete. Es kursieren Gerüchte, dass ich Jane Geary bevorzugt behandele? Warum hat Tanya mir nichts davon gesagt? Aber vielleicht weiß sie ja auch gar nichts davon. Wer würde so etwas ihr gegenüber schon wiederholen wollen? Und welche Grundlage gab es für solche Gerüchte? Ich habe sie nach der Schlacht bei Honor gelobt, aber wer will dagegen etwas einwenden? »Captain Geary, ich kann Ihnen versichern, dass meine Entscheidung nicht durch irgendwelche Gerüchte beeinflusst worden ist.« Da mir keine Gerüchte zu Ohren gekommen sind, ist meine Erklärung so wahr, wie sie es nur sein kann.
Diesmal zögerte Jane Geary, ehe sie weiterredete. »Wieso bin ich nicht am besten für dieses Kommando geeignet?«
Sollte er ihr die Wahrheit sagen? Wenn er es nicht tat, war er dann nicht zwangsläufig für alles verantwortlich, was sie unternahm? Vor seinem geistigen Auge sah er Tanya, wie sie ihm einen ernsten Blick zuwarf. Sagen Sie ihr klipp und klar, was Sache ist. »Ich werde nicht drumherumreden, Captain Geary. Die Befehlshaberin der Dreadnaught, die ich bei Varandal kennengelernt habe, hätte dieses Kommando erhalten. Sie war aggressiv und klug, sie war zuverlässig und fähig. Ich war davon überzeugt zu wissen, was sie tun und wie sie reagieren würde. Seit wir Varandal verlassen haben, bin ich immer weniger davon überzeugt, ihre Reaktionen in einer beliebigen Situation einschätzen zu können.«
Erst wurde sie bleich, dann bekam sie einen roten Kopf. »Wann bin ich meinen Pflichten nicht nachgekommen? Welche Mission habe ich nicht ausgeführt? Für mein Verhalten bei Honor habe ich keine Vorwürfe zu hören bekommen.«
»Es wäre auch unmöglich, Ihnen für Ihr Verhalten bei Honor irgendwelche Vorwürfe zu machen«, entgegnete Geary. »Wie ich in meiner Belobigung bereits ausgeführt hatte, haben Sie den höchsten und besten Traditionen der Allianz-Flotte entsprechend gehandelt. Aber«, fuhr er fort, als sie wieder zu einer Bemerkung ansetzen wollte, »ich muss nicht wissen, ob einer meiner befehlshabenden Offiziere in der Lage ist, heldenhaft zu agieren. Es ist meine Aufgabe, alles zu tun, um zu verhindern, dass überhaupt irgendjemand so agieren muss. Wenn meine Anstrengungen fehlschlagen, dann kann jemand einschreiten, so wie Sie es getan haben. Das Problem ist dabei aber, Captain Geary, dass Sie es sich seitdem zur Angewohnheit gemacht haben, auch dann die Heldin zu spielen, wenn es dafür keine Notwendigkeit gibt. Sie wollen die Heldin sein. Es gibt für ein Schiff, für eine Crew, für eine Flotte nichts Gefährlicheres als einen Kommandanten, der ein Held sein will.«
Als Jane Geary ihn daraufhin fassungslos anstarrte, konnte er förmlich mitansehen, wie die Fassade vor ihren Gefühlen zu bröckeln begann. »Sie…«, brachte sie nur erstickt heraus. »Sie sind Black Jack. Er…«
»Ich bin nicht der Mann aus der Legende. Alles, was ich getan habe, geschah nur, weil es nötig war, weil es getan werden musste, aber nicht, weil ich mich danach gesehnt habe.«
»Das sieht in der Flotte aber niemand so!« Ihr schien nicht klar zu sein, dass sie ihre letzten Worte gebrüllt hatte.
»Es kennt mich auch niemand so, wie ich mich selbst kenne. Ich habe versucht, Sie näher kennenzulernen und eine persönliche Beziehung zu schaffen, aber…«
»Warum sind Sie nicht nach Glenlyon gereist? Die Leute dort haben auf Sie gewartet. Stattdessen bekamen sie mich vorgesetzt. Mich, die Großnichte, die es gerade mal zum Captain eines Schlachtschiffs gebracht hat. Ich musste mir endlose Geschichten über Black Jack anhören — und über meinen heldenhaften Bruder, der unter seinem Kommando gekämpft hat!«
Geary sprang wütend auf. »Sie haben bei Varandal auch unter meinem Kommando gekämpft, und das haben Sie verdammt gut gemacht! Jane, Sie haben bei Honor getan, was notwendig war. Was mir Sorgen macht, ist die Gefahr, dass Sie so etwas auch dann noch einmal machen, wenn es nicht notwendig ist. Sagen Sie mir die Wahrheit. Als Sie bei Honor eingeschritten sind, haben Sie in dem Moment an irgendetwas anderes gedacht als an das, was getan werden muss?«
Sie presste die Lippen zusammen, während sie ihn anschaute. Schließlich brachte sie in ersticktem Tonfall heraus: »Ich hatte Angst. Ich dachte an nichts anderes als daran, dass das die einzige Lösung ist. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Einsatz der kinetischen Projektile etwas bringen würde, aber ich war verzweifelt. Seitdem erzählt mir zwar jeder, wie mutig und tapfer es von mir gewesen ist, diese Attacke anzuführen, aber ich denke immer nur daran, welche Angst ich hatte. So, jetzt kennen Sie die Wahrheit. Jetzt wissen Sie, dass ich keine Heldin bin. Ich bin nicht mal eine gute Offizierin. Als ich mit dieser Situation konfrontiert wurde, hatte ich nur Angst, sonst nichts.«