Einen Moment lang starrte er sie an, dann musste er lachen, wobei er sah, wie sie zuerst erschrak, gleich darauf aber wütend wurde. »Jane… bitte… ich bin nicht… Vorfahren, bewahrt uns! Was glauben Sie, was Mut ist?«
»Wenn man keine Angst davor hat, sich einer Gefahr zu stellen! Jeder weiß…«
»Dann irrt sich jeder.« Geary setzte sich wieder hin und musterte sie. »Sie hatten also Angst. Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, welche Angst ich bei Grendel ausgestanden habe? Mein Schiff wurde um mich herum in Stücke geschossen. Bis auf mich war die gesamte Crew der Merlon tot, die Selbstzerstörung war aktiviert, und ich konnte keine funktionierende Rettungskapsel finden.«
»Sie… was? Davon hat nie jemand ein Wort gesagt.«
»Weil es niemand weiß, ausgenommen Tanya Desjani. Und jetzt Sie. Jane, als ich noch sehr jung war, da sagte mein Vater mir etwas. Wir unterhielten uns über Helden. Ich kann mich daran erinnern, dass ich Geschichtsbücher gelesen hatte und dass ich davon sprach, wie großartig diese Menschen waren, die vor riesigen Herausforderungen gestanden und keine Angst verspürt hatten. Daraufhin lachte mein Vater noch viel lauter, als ich es eben getan habe. Er sagte mir, Mut ist nicht das Fehlen von Angst. Mut, also richtige Tapferkeit, heißt, Angst zu haben und trotzdem das zu tun, was getan werden muss. Ich nahm ihm das eigentlich nicht ab.« Er atmete tief durch. »Ich glaubte es ihm erst, als ich auf der Merlon war und den überlebenden Besatzungsmitgliedern den Befehl gab, das Schiff zu evakuieren, während ich noch etwas länger Gegenwehr leistete. Und als ich durch einen Korridor gehen musste, der mit Trümmern und Toten übersät war. Als ich versuchte, irgendwie dieses Schiffswrack zu verlassen, das jeden Moment explodieren würde.«
Jane Geary schaute betreten zu Boden. »Das haben mir die Leute auch gesagt, aber ich habe ihnen nicht geglaubt. Ich komme mir vor wie eine Betrügerin.«
»Sie sind ein Mensch, Jane. Und Sie sind eine gute Offizierin, solange Sie nicht versuchen zu beweisen, dass Sie auch noch eine Heldin sind. Das haben Sie bei Honor bewiesen, weil Sie da Angst hatten und trotzdem das taten, was notwendig war.« Er konnte nicht einschätzen, ob sie ihm glaubte.
Als sie endlich wieder etwas sagte, kam das so leise über ihre Lippen, dass er sie kaum hören konnte. »Hatte Michael Angst?«
»Als er mit der Repulse die Syndiks aufhielt, damit der Rest der Flotte entkommen konnte? Ja.«
»Warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
Das war eine gute Frage, die ihn mit einem Mal erkennen ließ, aus welchem Grund er dazu geschwiegen hatte. »Weil Sie bis dahin so etwas nicht durchgemacht hatten«, antwortete er schließlich. »Hätte ich Ihnen gesagt, dass Michael Angst gehabt hat, dann hätten Sie das womöglich als Kritik an seiner Person aufgefasst, obwohl genau das Gegenteil gemeint war. Genauso gibt es Leute, die sich so in das vertiefen, was sie tun müssen, und die an tausend Dinge gleichzeitig denken, dass sie gar keine Zeit haben, um ihre Angst zu bemerken. Tanya Desjani gehört zu diesen Leuten. Diese Leute sind ebenfalls tapfer, aber auf eine andere Weise, weil sie ihre Ängste lange genug unterdrücken, um ihre Aufgaben zu erledigen. Aber wenn Mut bedeuten würde, gar keine Angst zu empfinden, dann wären wohl die Maschinen die Mutigsten von allen im ganzen Universum.«
Eine Weile dachte sie über seine Worte nach, dann fragte sie mit fester Stimme: »Was muss ich tun?«
Die Antwort darauf fiel ihm leicht. »Seien Sie wieder die Offizierin, die ich bei Varandal erlebt habe. Ich brauche niemanden, der beweisen will, dass er Black Jack ist. Ich brauche Jane Geary.«
Sie sah ihm in die Augen und nickte. »Ich glaube, ich kann mich an sie erinnern. Sie wollte allerdings noch etwas anderes beweisen, nämlich wer sie nicht ist.«
»Wir alle versuchen ständig, irgendetwas zu beweisen.« Geary sah ihr forschend in die Augen. »Jane, dieses Superschlachtschiff, die neue Invincible, muss nach Hause gebracht werden. Ihre Schlachtschiffe sind die letzte Verteidigungslinie vor den vier Schiffen, die diese Invincible schleppen. Lassen Sie sie nicht im Stich. Die brauchen Sie, um jeden Angriff abzublocken, der gegen sie gerichtet ist.«
Sie hob den Arm zu einem bedächtigen Salut. »Wenn irgendetwas durchkommt, dann nicht, weil ich es durchgelassen hätte.« Nachdem die Unterhaltung beendet und Jane Gearys Bild verschwunden war, stand er da und betrachtete die Stelle, an der er gerade eben noch seine Großnichte gesehen hatte. Wieder einmal hatte er ihr den Befehl gegeben, sich bis zum Äußersten gegen den Feind zur Wehr zu setzen — notfalls bis zum Tod. Nach diesem Gespräch war er überzeugt, dass sie das auch tun würde. Nicht, weil er es befohlen hatte, sondern weil sie wusste, wer sie war. Sollte sie diesmal bei der Ausführung seiner Befehle ums Leben kommen, dann würde das nichts an seinen Schuldgefühlen ändern.
Sechzehn
Die Schlachtkreuzer und der Rest der Verfolgergruppe hatten mittlerweile die sechs Spinnenwolf-Schiffe überholt, sodass die sich jetzt zwischen ihnen und der anderen Hälfte der Allianz-Flotte befanden. Der Abstand zwischen beiden Teilen der Flotte wurde beständig größer, da Schlachtkreuzer, Leichte Kreuzer und Zerstörer schneller beschleunigen konnten als die schwerfälligeren Schlachtschiffe, Hilfsschiffe und Sturmtransporter. Geary behielt den Statusbericht der vier Schlachtschiffe im Auge, die das ehemalige Superschlachtschiff der Bärkühe abschleppten. Die Anzeigen verrieten, welche Belastung die Relentless, die Reprisal, die Superb und die Splendid aushalten mussten, während sie sich bemühten, gemeinsam mit der Invincible zu beschleunigen. Wenn man genug Zeit hatte, genügte schon ein kleiner Schub, um ein träges Objekt wie das Superschlachtschiff auf Geschwindigkeit zu bringen. Doch so viel Zeit konnten sie sich nicht nehmen, stattdessen mussten sie alles einsetzen, was ihre Antriebseinheiten hergaben.
Alle Statusberichte wiesen auf Probleme hin. Zwar nicht einmal annähernd so massiv wie bei Honor, da die Schiffe der Verfolgergruppe Steuerdüsen und Antriebseinheiten jedoch mit maximaler Leistung hatten arbeiten lassen, wurden nun bei etlichen Schiffen Schäden gemeldet. Die Implacable und die Intemperate hatten je eine Hauptantriebseinheit verloren, die Ingenieure arbeiteten bereits hektisch daran, sie zu reparieren, während bei der Valiant die Hälfte der Systeme für die Steuerdüsen ausgefallen war, sodass die drei Schlachtkreuzer hinter den ihnen in der Formation zugewiesenen Plätzen herhinkten. Begleitet wurden sie von etlichen Leichten Kreuzern und zehn Zerstörern, bei denen es ebenfalls zu teilweisen Ausfällen in den Antriebssystemen gekommen war. Eben setzte Geary mit Erleichterung zu dem Gedanken an, dass es wenigstens keine Totalausfälle gegeben hatte, doch dann unterbrach er sich und dachte an etwas anderes. Schließlich wollte er das Glück nicht herausfordern.
Die Dragon und die Victorious konnten zwar ihren Platz in der Formation halten, dafür hatten sie mit fluktuierenden Schildausfällen zu kämpfen, während auf Dutzenden Schiffen einzelne Höllenspeer-Batterien versagten.
Auch die Hauptformation unter Captain Armus hatte mit diversen Problemen zu kämpfen, aber dank der Hilfsschiffe war es möglich, diese Ausfälle schnell zu beheben. Wie von Captain Smythe vorausgesagt, fehlte es nicht mehr nur der Witch, sondern auch der Jinn und der Goblin an jenen wichtigen Rohstoffen, die erforderlich waren, um Ersatzteile herzustellen. Die Bestände der Cyclops waren so gering, dass es nur noch eine Frage von Stunden sein konnte, ehe sie den gleichen Zustand melden würde. Die Ingenieure der Hilfsschiffe halfen den Besatzungen der anderen Schiffe bei den Reparaturen, aber das war auch das Einzige, was sie im Augenblick für sie tun konnten.