»Viel ist es nicht«, musste Geary einräumen, »aber zwei Schlachtschiffe sollte man auch nicht außer Acht lassen.« Kaum hatte er ausgesprochen, veränderte sich eine Gefahrenanzeige auf seinem Display und gab einen neuen Status bekannt. »Als nicht funktionstüchtig eingestuft? Das Schlachtschiff nahe dem Gasriesen kann nicht kämpfen?«
»Das sagen jedenfalls die Flottensensoren, Admiral«, bestätigte Lieutenant Yorn. »Die Analyse der Außenhülle ergibt, dass es völlig neu ist, aber nach allem zu urteilen, was die Sensoren hinsichtlich Aktivitäten und Ausrüstung feststellen können, scheint es sich noch im Bau zu befinden.«
»Das würde erklären, warum es sich in der Orbitalwerft des Systems befindet«, sagte Desjani. »Die beiden Schweren Kreuzer in unmittelbarer Nähe müssen dann wohl seiner Verteidigung dienen.«
Vor Geary tauchte Lieutenant Igers Gesicht auf. »Admiral, wir haben eine Nachricht abgefangen, die von der Flotte der Syndikatwelten nahe dem Hypernet-Portal an die Orbitalwerft geschickt wurde. Wir waren nahe genug dran, um sie empfangen zu können. Die Nachricht identifiziert den Befehlshaber der Flotte am Hypernet-Portal als CEO Boyens.«
»Dann haben sie ihn offenbar doch nicht erschossen«, meinte Desjani und klang dabei ein wenig enttäuscht.
»Wichtiger ist allerdings«, fuhr Iger fort, »was die Nachricht enthält. Wir konnten sie nicht vollständig entschlüsseln, aber wir können mit Gewissheit sagen, dass es sich um eine Aufforderung zur Kapitulation handelt.«
Geary brauchte einen Moment, ehe er darauf etwas erwidern konnte. »Kapitulation? Galt sie den Kreuzern und dem Schlachtschiff oder dem Dock?«
»Allen, Admiral. Davon sind wir überzeugt.«
»Wer wäre denn schon so verrückt, mit einem Schlachtschiff eine Rebellion anzuzetteln, das gar nicht einsatzbereit ist?«, wunderte sich Desjani. »Das heißt, die Streitmacht, die sich vom Planeten nähert, ist ebenfalls auf dem Weg, um sich die Rebellen vorzunehmen.«
»Möglicherweise nicht«, wandte Lieutenant Iger hastig ein. »Die Flottensensoren haben Hinweise auf Beschädigungen in einigen Städten auf der Primärwelt entdeckt. Die Reparaturen sind zwar bereits angelaufen, aber die Schäden sind so umfangreich, dass sie sich immer noch feststellen lassen.«
»Eine Bombardierung durch die Enigmas?«, warf Geary ein. »Nein, es ist nicht genug Zeit verstrichen, dass diese Flotte die bewohnte Welt erreicht haben könnte, um sie zu bombardieren. Ganz zu schweigen davon, dass so schnell keine Reparaturarbeiten vorgenommen würden.«
»Richtig, Sir. Und es sind auch keine Bombentrichter zu entdecken. Es sieht vielmehr nach Schäden aus, wie sie durch schwere Bodenkämpfe entstehen.«
Bodenkämpfe? Wer hatte da gegen wen gekämpft? »Spielt sich hier ein Bürgerkrieg ab?«
»Nein, Sir. Dann hätten wir bei unserer Ankunft etwas von den Kämpfen sehen müssen. Was geschehen ist, liegt bereits eine Weile zurück.«
»Jemand hat gewonnen, jemand hat verloren«, sagte Desjani. »Wenn die Schiffe nahe dem Gasriesen und an der Orbitalstation von den Rebellen kontrolliert werden, dann haben sie womöglich dort gewonnen, aber auf dem Planeten verloren.«
Iger hörte jemandem zu, der ihm etwas sagte, dann wandte er sich wieder an Geary. »Admiral, in diesem Sternensystem herrscht ein sehr ungewöhnlicher Signalverkehr — Nachrichten, die bereits vor unserer Ankunft und vor der Ankunft der Enigmas übermittelt wurden. Die Nachricht von der Flotte, die von CEO Boyens befehligt wird, wurde im üblichen Standardformat gesendet, aber die Bewohner dieses Systems haben in letzter Zeit die standardmäßigen Syndik-Codes nicht benutzt, auch wenn sie sich an deren Protokolle zu halten scheinen. Die Nachrichtensendungen, die wir empfangen konnten, reden von ›Präsidentin‹ Iceni und ›General‹ Drakon, als ob diese beiden hier das Sagen haben. Nach den Videobildern zu urteilen, handelt es sich bei ihnen um die Personen, die wir als CEO Iceni und CEO Drakon kennengelernt haben.«
»Dann wissen wir ja jetzt, wer gewonnen hat.«, sagte Geary zu Desjani.
»›Präsidentin‹ Iceni?«, wiederholte sie. »Wer soll sie denn gewählt haben? Wem wollen die was vormachen?«
»Gab es auf dem Planeten nicht noch einen weiteren CEO?«, wollte Geary wissen.
»Ja, Sir«, antwortete Lieutenant Iger. »CEO Hardrad. In den Nachrichtenübertragungen jüngeren Datums kommt er überhaupt nicht vor. Iceni hatte das Sternensystem insgesamt unter sich, Drakon war Befehlshaber der Bodentruppen. Und Hardrad war im Auftrag der Syndiks für die innere Sicherheit zuständig.«
Die innere Sicherheit. Auf einem Planeten der Syndikatwelten umfasste das weitaus mehr als bloß den Polizeiapparat. Hardrad war jemand, der die Bevölkerung unter Kontrolle hielt. Doch wenn er jetzt nicht mehr da war…
»Augenblick mal«, sagte Geary. »Wenn Iceni und Drakon als diejenigen, die ohnehin das Sagen hatten, eine Revolte gegen die Syndiks angezettelt und Hardrad aus dem Weg geräumt haben, dann ist die Flotte unter Boyens’ Kommando womöglich gar nicht als Verstärkung hier eingetroffen.«
Iger sprach kurz mit jemandem, der neben ihm stand, dann nickte er Geary zu. »Ja, Admiral, das ist durchaus möglich. Diese Flotte könnte geschickt worden sein, um die Revolte niederzuschlagen und das System wieder unter Syndik-Kontrolle zu bringen.«
»Wissen wir denn, wem dieses Schlachtschiff gehört, das noch nicht eingesetzt werden kann?«, fragte Desjani.
»Ja, Captain. Nach den Kommunikationsstrukturen untersteht es der Kontrolle durch die Behörden auf dem bewohnten Planeten.«
Desjani lachte kurz auf. »Hier kämpfen nicht drei, sondern vier Parteien — wir, die Enigmas, die Syndiks und die Rebellen. Jetzt müssen wir bloß noch herausfinden, was die anderen drei vorhaben.«
»Was Boyens vorhat, weiß ich«, entgegnete Geary und zeigte auf die Syndik-Flotte nach dem Hypernet-Portal. »Als wir ihn als Gefangenen an Bord der Dauntless hatten, wirkte er auf mich sehr berechnend. Er versuchte vor jedem Schritt herauszufinden, wohin der ihn führen würde, ehe er diesen Schritt auch unternahm. Und selbst dann schien er lieber noch abzuwarten, um zu sehen, was andere taten, ehe er sich auf einen bestimmten Kurs festlegte. Es gibt kaum einen Zweifel daran, dass er den Befehl erhalten hat, die Rebellen in diesem Sternensystem zu unterwerfen. Wenn er sich mit den Enigmas anlegt, könnten dabei seine eigenen Schiffe beschädigt oder sogar zerstört werden, was es ihm schwieriger oder sogar unmöglich machen würde, die Aufständischen zu besiegen. Also wird er sich erst mal von jedem Kampf fernhalten, in der Nähe des Hypernet-Portals bleiben und darauf warten, dass wir die Enigmas schlagen. Ist das geschehen, wird er sich die Rebellen vorknöpfen, die bis dahin vermutlich ein paar Schiffe verloren haben dürften. Auf diese Weise kann Boyens nur gewinnen.«
»Was ist mit den Rebellen, Admiral?«, fragte Iger. »Wäre es für sie nicht von Nutzen, wenn sie sich ebenfalls aus dem Kampf mit den Enigmas heraushielten, damit sie ihre Streitkräfte für das Gefecht mit Boyens’ Flotte schonen können?«
Desjani schnaubte verächtlich. »So was passt zu den Syndiks. Die warten einfach ab und schauen zu, wie wir und die Enigmas aufeinander losgehen.«
»Wenn wir sie brauchen, werden die Rebellen sich uns anschließen müssen«, überlegte Geary und zog sich damit einen skeptischen Blick von Desjani zu. »Wenn wir verlieren, müssen sie sich nicht nur gegen Boyens zur Wehr setzen, der sie wieder gefügig machen will…«
»…was zweifellos bedeutet, dass er sie für Wochen unter Beschuss nehmen wird«, warf Desjani ein.