»Oh, Ihr seid es«, sagte eine Stimme hinter ihr im Wald.
Sie kreischte auf, und Roger zuckte automatisch zusammen und fuhr auf dem Absatz herum, um sich der Bedrohung zu stellen, und stieß Brianna hinter sich.
Der Schubser ließ sie rückwärtsstolpern. Sie verfing sich mit dem Absatz in einer unsichtbaren Wurzel, fiel hin und landete mit Wucht auf ihrem Hintern. In dieser Lage hatte sie einen hervorragenden Blick auf Roger, der im Mondschein mit dem Messer in der Hand unter zusammenhanglosem Gebrüll in den Wald stürzte.
Erst jetzt registrierte sie, was die Stimme gesagt hatte und wie unmissverständlich enttäuscht ihr Tonfall gewesen war. Eine ganz ähnliche Stimme erhob sich jetzt laut und alarmiert rechts von ihr.
»Jo?«, sagte die Stimme. »Was? Jo, was?«
Links von ihr war heftiges Ringen und Brüllen zu hören. Roger hatte jemanden zwischen die Finger bekommen.
»Roger!«, rief sie. »Roger, hör auf! Es sind die Beardsleys!«
Bei ihrem Sturz hatte sie den Stein fallen gelassen, und jetzt stand sie auf und rieb sich die schmutzige Hand an ihrem Rock. Ihr Herz hämmerte, ihre linke Pobacke schmerzte, und ihr Bedürfnis zu lachen war mit dem kräftigen Verlangen versetzt, einen oder beide Beardsley-Zwillinge zu erwürgen.
»Kezzie Beardsley, komm da heraus!«, rief sie, dann wiederholte sie die Worte noch einmal lauter. Kezzie hörte zwar besser, seit ihre Mutter ihm die chronisch entzündeten Mandeln entfernt hatte, doch er war immer noch weitgehend taub.
Lautes Rascheln im Gebüsch brachte die schlanke Gestalt Keziah Beardsleys zum Vorschein, dunkelhaarig, bleich und mit einem großen Knüppel bewaffnet, den er bei ihrem Anblick verlegen zu verstecken versuchte.
Unterdessen verkündete noch lauteres Rascheln und reichhaltiges Fluchen in ihrem Rücken das Auftauchen Rogers, der Josiah Beardsley, Kezzies Zwillingsbruder, an seinem hageren Nacken gepackt hielt.
»Was in Gottes Namen glaubt ihr kleinen Schurken eigentlich, was ihr hier treibt?«, schimpfte Roger und schubste Jo neben seinen Bruder an eine monderhellte Stelle. »Ist dir klar, dass ich dich fast umgebracht hätte?«
Es war gerade hell genug, um den ausgesprochen zynischen Ausdruck zu erkennen, der Jos Gesicht bei diesen Worten überlief, bevor er einer aufrichtig entschuldigenden Miene wich.
»Es tut uns so leid, Mr. Mac. Wir haben jemanden kommen hören und gedacht, es wären vielleicht Briganten.«
»Briganten«, wiederholte Brianna und spürte das Bedürfnis zu lachen in sich aufsteigen, unterdrückte es aber entschlossen. »Woher in aller Welt habt ihr denn dieses Wort?«
»Oh.« Jo blickte zu Boden und faltete die Hände in seinem Rücken. »Miss Lizzie hat uns aus diesem Buch vorgelesen, das Mr. Jamie mitgebracht hat. Darin hat es gestanden. Das mit den Briganten.«
»Ich verstehe.« Sie richtete den Blick auf Roger, der ihn erwiderte. Auch seine Verärgerung wich jetzt offensichtlich der Belustigung. »Der Pirat«, erklärte sie. »Defoe.«
»Oh, aye.« Roger steckte seinen Dolch in die Scheide. »Und warum genau habt ihr geglaubt, dass Briganten hier herumschleichen könnten?«
Kezzie, der nur dann und wann etwas hörte, fing diese Frage auf und beantwortete sie mit demselben Ernst wie sein Bruder, nur dass seine Stimme lauter und etwas flach klang, eine Folge seiner frühen Taubheit.
»Wir sind Mr. Lindsay begegnet, Sir, der auf dem Heimweg war, und er hat uns erzählt, was am Dutchman’s Creek passiert ist. Ist es wahr, was er sagt? Dass sie alle zu Asche verbrannt sind?«
»Sie waren alle tot.« Rogers Stimme hatte jeden Hauch von Belustigung verloren. »Was hat das damit zu tun, dass ihr beide hier mit Knüppeln im Wald herumlungert?«
»Nun, seht Ihr, Sir, die McGillivrays haben ein schönes großes Haus, und dann ist da noch die Küferwerkstatt, und es liegt an einer Straße, und – nun, wenn ich ein Brigant wäre, würde ich mir genau so eine Stelle aussuchen.«
»Und Miss Lizzie ist da mit ihrem Vater. Und Euer Sohn, Mr. Mac«, fügte Kezzie betont hinzu. »Wir wollen doch nicht, dass ihnen etwas zustößt.«
»Ich verstehe.« Roger lächelte ein wenig schief. »Nun, dann danke ich Euch für den fürsorglichen Gedanken. Aber ich bezweifle, dass sich Briganten in der Nähe aufhalten; Dutchman’s Creek ist weit weg von hier.«
»Aye, Sir«, pflichtete Jo ihm bei. »Aber es könnten doch überall Briganten sein, nicht wahr?«
Das ließ sich nicht leugnen und entsprach so sehr der Wahrheit, dass das Kältegefühl in Briannas Magengrube zurückkehrte.
»Das ist möglich, aber es ist nicht so«, versicherte Roger ihnen. »Kommt doch mit uns zum Haus, aye? Wir wollen Jemmy holen. Ich bin mir sicher, dass Ute euch am Feuer schlafen lässt.«
Die Beardsleys wechselten einen unergründlichen Blick miteinander. Sie sahen beinahe gleich aus – klein und schmächtig mit dichtem, schwarzem Haar, unterscheidbar allein durch Kezzies Taubheit und die runde Narbe an Jos Daumen –, und es brachte den Betrachter ein wenig aus der Fassung, ihre beiden feinknochigen Gesichter mit exakt derselben Miene zu sehen.
Welche Information sie auch immer mit diesem Blick untereinander ausgetauscht hatten, die nötige Beratung war damit auf jeden Fall abgeschlossen, denn Kezzie nickte kaum merklich und überließ seinem Bruder das Wort.
»Ah, nein, Sir«, sagte Josiah höflich. »Ich glaube, wir bleiben lieber.« Und ohne ein weiteres Wort wandten sich die beiden ab und verschwanden in der Dunkelheit, wo ihre knirschenden Schritte Laub und Steine verstreuten.
»Jo! Wartet!«, rief Brianna ihnen nach, denn ihre Hand hatte ganz unten in ihrer Tasche noch etwas anderes gefunden.
»Aye, Ma’am?« Schon war Josiah wieder da und tauchte mit enervierender Plötzlichkeit neben ihr auf. Sein Zwillingsbruder beherrschte die Kunst des Anschleichens nicht, doch Josiah schon.
»Oh! Ich meine, oh, da bist du ja.« Sie holte tief Luft, um ihren Herzschlag zu beruhigen, und gab ihm die Pfeife, die sie für Germain geschnitzt hatte. »Hier. Wenn ihr Wache stehen wollt, könnte euch das helfen. Damit könnt ihr um Hilfe rufen, falls wirklich jemand kommt.«
Jo Beardsley hatte ganz offenbar noch nie im Leben eine Pfeife gesehen, wollte es aber nicht zugeben. Er drehte den kleinen Gegenstand in der Hand und gab sich Mühe, ihn nicht anzustarren.
Roger nahm ihm die Pfeife ab und blies einen kräftigen Ton, der die Nacht erschütterte. Aus dem Schlaf aufgescheuchte Vögel schossen ringsum kreischend aus den Bäumen, gefolgt von Kezzie Beardsley, der die Augen vor Erstaunen weit aufgerissen hatte.
»Puste an diesem Ende hinein«, sagte Roger und tippte mit dem Finger auf das richtige Ende der Pfeife, bevor er sie zurückgab. »Du musst die Lippen ein bisschen zusammendrücken.«
»Vielen Dank, Sir«, murmelte Jo. Seine übliche ungerührte Fassade war gemeinsam mit der Stille aus dem Lot geraten, und er nahm die Pfeife mit großen Augen entgegen wie ein Junge am Weihnachtsmorgen. Er wandte sich sofort seinem Zwillingsbruder zu, um ihm seine Errungenschaft zu zeigen. Brianna dämmerte ganz plötzlich, dass wohl keiner der Jungen je einen Weihnachtsmorgen erlebt – oder jemals sonst ein Geschenk erhalten hatte.
»Ich mache dir auch eine«, sagte sie zu Kezzie. »Dann könnt ihr euch gegenseitig Signale geben. Falls ihr Briganten seht«, fügte sie lächelnd hinzu.
»O ja, Ma’am. Das tun wir, ganz bestimmt!«, versicherte er ihr und sah sie dabei nur flüchtig an, so sehr brannte er darauf, die Pfeife zu untersuchen, die sein Bruder ihm in die Hand gegeben hatte.
»Blast sie dreimal, wenn ihr Hilfe braucht«, rief Roger ihnen nach und nahm Briannas Arm.
»Aye, Sir!«, kam es aus der Dunkelheit zurück, gefolgt von einem schwachen »Danke, Ma’am!« – dem wiederum eine Salve puffender Keuchtöne und atemloser Rasselgeräusche folgte, die dann und wann von einem kurzen, erfolgreichen Tuten unterbrochen wurde.