»Och, aye«, sagte Inge und rollte ausdrucksvoll mit den Augen. »Ihr hättet sie streiten hören sollen, sie und Senga. Sie sind mit Zähnen und Krallen aufeinander los. Pa ist fischen gegangen und drei Tage fortgeblieben.«
Brianna senkte den Kopf, um ihr Grinsen zu verbergen. Robin McGillivray wünschte sich ein friedliches Dasein; etwas, das ihm in Gesellschaft seiner Frau und seiner Töchter wohl nie vergönnt sein würde.
»Ah, nun ja«, sagte Hilde philosophisch und lehnte sich ein wenig zurück, um ihren Bauch zu entlasten. Ihre erste Schwangerschaft war schon weit fortgeschritten. »So viel konnte Mutter nun auch wieder nicht sagen. Heinrich ist schließlich der Sohn ihrer eigenen Cousine. Auch wenn er arm ist.«
»Aber jung«, fügte Inge, praktisch denkend, hinzu. »Pa sagt, Heinrich hat noch Zeit, reich zu werden.« Reich war Ronnie Sinclair nicht gerade – und er war dreißig Jahre älter als Senga. Andererseits gehörten ihm sowohl die Küferwerkstatt als auch die Hälfte des Hauses, in dem er und die McGillivrays lebten. Und nachdem Ute ihre beiden älteren Töchter mit wohlhabenden Männern verheiratet hatte, hatte sie offenbar die Vorteile einer Ehe zwischen Senga und Ronnie gesehen.
»Ich kann mir vorstellen, dass das ein bisschen peinlich wird«, sagte Brianna taktvoll. »Wenn Ronnie weiter mit Eurer Familie zusammenlebt, nachdem –« Sie wies kopfnickend auf das verlobte Paar, das sich gegenseitig mit Kuchenstückchen fütterte.
»Huh!«, rief Hilde aus und verdrehte die Augen. »Ich bin so froh, dass ich nicht hier wohne!«
Inge kicherte zustimmend, fügte aber hinzu: »Nun ja, Mutti jammert aber keinen Dingen nach, die nicht zu ändern sind. Sie hat schon die Fühler nach einer Frau für Ronnie ausgestreckt. Seht sie euch nur an.« Sie deutete auf den Essenstisch, wo Ute plaudernd und lächelnd in einer Gruppe deutscher Frauen stand.
»Was meinst du wohl, wen sie im Auge hat?«, fragte Inge ihre Schwester, während sie die Manöver ihrer Mutter mit zusammengekniffenen Augen beobachtete. »Unser kleines Gretchen? Oder die Cousine deines Archie vielleicht? Die mit den Schielaugen … Seona?«
Hilde, die mit einem Schotten aus Surry County verheiratet war, schüttelte den Kopf.
»Sie will bestimmt ein deutsches Mädchen«, wandte sie ein. »Denn sie denkt sicher schon daran, was geschieht, wenn Ronnie stirbt und seine Frau noch einmal heiratet. Wenn es ein Mädchen aus Salem ist, kann Mama sie ja eventuell dazu bewegen, einen ihrer Neffen oder Vettern zu heiraten – den Besitz in der Familie halten, aye?«
Brianna hörte fasziniert zu, wie die Mädchen die Situation ganz und gar sachlich diskutierten – und fragte sich, ob Ronnie Sinclair nur die geringste Ahnung hatte, dass sein Schicksal hier auf diese pragmatische Art entschieden wurde. Doch er lebte schon seit über einem Jahr mit den McGillivrays zusammen, dachte sie; er musste eine gewisse Vorstellung von Utes Methoden bekommen haben.
Während sie Gott im Stillen dankte, dass sie nicht gezwungen war, in einem Haus mit der gefürchteten Frau McGillivray zu leben, sah sie sich nach Lizzie um und spürte einen Stich des Mitgefühls mit ihrer ehemaligen Leibeigenen. Lizzie würde mit Ute zusammenleben, wenn nächstes Jahr ihre Hochzeit mit Manfred stattfand.
Als sie den Namen »Wemyss« hörte, wandte sie sich wieder der Unterhaltung zu, um dann allerdings festzustellen, dass die Mädchen nicht über Lizzie sprachen, sondern über ihren Vater.
»Tante Gertrud«, erklärte Hilde und hielt sich leise rülpsend die Faust vor den Mund. »Sie ist selber Witwe, sie ist am besten für ihn.«
»Tante Gertrud würde den armen kleinen Mr. Wemyss in einem Jahr ins Grab bringen«, widersprach Inge lachend. »Sie ist doch doppelt so schwer wie er. Wenn sie ihn nicht zu Tode erschöpft, würde sie sich am Ende im Schlaf umdrehen und ihn platt drücken.«
Hilde schlug sich beide Hände vor den Mund, jedoch weniger, weil sie schockiert war, sondern vielmehr, um ihr Kichern zu ersticken. Brianna hatte den Eindruck, dass auch sie ihren Teil Bier getrunken hatte; ihre Haube saß schief, und selbst im Schein des Feuers sah ihr Gesicht errötet aus.
»Aye, nun ja, ich glaube, der Gedanke stört ihn nicht besonders. Seht ihr ihn?« Hilde wies an den Biertrinkern vorbei, und Brianna erkannte Mr. Wemyss’ Kopf auf Anhieb, sein Haar hell und fein wie das seiner Tochter. Er unterhielt sich angeregt mit einer kräftigen Frau in Schürze und Haube, die ihn vertraulich in die Rippen stieß und lachte.
Doch während sie ihn beobachtete, kam Ute McGillivray auf die Gruppe zu, gefolgt von einer hochgewachsenen, hellhaarigen Frau, die ein wenig zögerte und die Hände unter ihrer Schürze gefaltet hatte.
»Oh, wer ist das denn?« Inge reckte den Hals wie eine Gans, und ihre Schwester stieß sie schockiert mit dem Ellbogen an.
»Lass das, du alte Ziege! Mutti sieht in unsere Richtung!«
Lizzie war halb aufgestanden, um zu lauern.
»Wer –?«, sagte sie. Dann wurde sie vorerst durch Manfred abgelenkt, der sich neben ihr ins Stroh sinken ließ und freundlich grinste.
»Wie geht es denn, Herzchen?«, sagte er, legte ihr den Arm um die Taille und versuchte, sie zu küssen.
»Wer ist das, Freddie?«, sagte sie, während sie seiner Umarmung geschickt entwich und diskret auf die hellhaarige Frau zeigte, die schüchtern lächelte, während Ute sie Mr. Wemyss vorstellte.
Manfred blinzelte und schwankte ein wenig, antwortete jedoch prompt.
»Oh. Das ist Fräulein Berrisch. Pastor Berrischs Schwester.«
Inge und Hilde stießen leise, interessierte Gurrgeräusche aus; Lizzie runzelte ein wenig die Stirn, entspannte sich dann aber, als sie sah, wie ihr Vater den Kopf zurücklegte, um den Neuzugang zu begrüßen. Fräulein Berrisch war fast so groß wie Brianna.
Nun, das erklärt, warum sie immer noch Fräulein ist, dachte Brianna mitfühlend. Das Haar der Frau war dort, wo es unter ihrer Haube hervorlugte, von grauen Strähnen durchzogen, und sie hatte ein ziemlich gewöhnliches Gesicht, obwohl ihre Augen eine liebe Ruhe ausstrahlten.
»Oh, eine Protestantin also«, sagte Lizzie in einem Tonfall, der deutlich machte, dass das Fräulein wohl kaum als potenzielle Partnerin für ihren Vater in Frage kam.
»Aye, aber sie ist trotzdem nett. Komm, wir tanzen, Elizabeth.« Manfred hatte sichtlich jedes Interesse an Mr. Wemyss und dem Fräulein verloren; er zog Lizzie trotz ihrer Proteste hoch und schob sie in den Kreis der Tänzer. Sie ging zwar widerstrebend mit, doch Brianna sah, dass Lizzie, als sie die Tanzfläche erreicht hatten, schon über etwas lachte, was Manfred gesagt hatte, und er zu ihr hinunterlächelte, während das Feuer sein wohlgeformtes Gesicht beleuchtete. Sie sind ein hübsches Paar, dachte sie, und passen besser zusammen als Senga und ihr Heinrich – der zwar hochgewachsen, aber hager war und eine Hakennase hatte.
Inge und Hilde hatten angefangen, sich auf Deutsch zu streiten, was es Brianna ermöglichte, sich mit Leib und Seele dem Verzehr ihres exzellenten Abendessens zu widmen. Hungrig, wie sie war, hätte ihr beinahe alles geschmeckt, aber das herbe, saftige Sauerkraut und die Würstchen, die vor Saft und Würze platzten, waren ein seltener Genuss.
Erst als sie mit einem Stück Maisbrot die letzten Saft- und Fettreste von ihrem Holzteller wischte, warf sie einen Blick in Richtung der Küferwerkstatt und dachte schuldbewusst, dass sie Roger etwas hätte aufbewahren sollen. Es war so lieb von ihm, an Ronnies Gefühle zu denken. Stolz und Zuneigung durchströmten sie. Vielleicht sollte sie hinübergehen und ihn retten.
Sie hatte gerade ihren Teller abgestellt und war dabei, ihre Röcke und Unterröcke zu sortieren, um dann ihren Plan in die Tat umzusetzen, als ein Paar kleiner Gestalten, die aus der Dunkelheit torkelten, ihr zuvorkam.
»Jem?«, sagte sie aufgeschreckt. »Was ist denn los?«
Die Flammen ließen Jemmys Haar wie frisch geprägtes Kupfer glänzen, doch das Gesicht darunter war weiß, seine Augen riesige dunkle Kreise, die reglos vor sich hin starrten.