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Ich hätte ihm am liebsten gesagt, dass dies eine sehr dramatische Interpretation der Dinge war, die wir gesehen hatten. Aber ich konnte ihm ja kaum sagen, dass er unrecht hatte. Als ich ihn beschreiben hörte, was er vor seinem inneren Auge sah, konnte ich es selbst nur zu deutlich sehen.

»Du weißt es nicht«, sagte ich leise. »Du kannst es nicht wissen.« Es sei denn, du findest die anderen Männer, dachte ich plötzlich, und fragst sie. Doch das sagte ich nicht.

Eine Zeitlang sagte keiner von uns beiden etwas. Ich wusste genau, dass er immer noch darüber nachdachte, doch der Schlaf sog mich erneut an wie Treibsand, hartnäckig und verlockend.

»Was, wenn ich dich nicht beschützen kann?«, flüsterte er schließlich. Sein Kopf bewegte sich plötzlich auf dem Kissen und wandte sich mir zu. »Dich und die anderen? Ich werde es mit aller Kraft versuchen, Sassenach, und es macht mir nichts aus, wenn ich dabei sterbe … Aber was, wenn ich zu früh sterbe – und es mir nicht gelingt?«

»Das wirst du nicht«, flüsterte ich zurück. Er seufzte und neigte den Kopf, so dass seine Stirn an meiner ruhte. Ich konnte Eier und Whisky warm in seinem Atem riechen.

»Ich werde es versuchen«, sagte er, und ich legte meinen Mund auf den seinen, der mir sanft begegnete, Bestätigung und Trost in der Dunkelheit.

Ich legte meinen Kopf an seine Schulter, legte eine Hand um seinen Arm und atmete den Geruch seiner Haut ein, Rauch und Salz, als sei er im Feuer geräuchert worden.

»Du riechst wie ein Räucherschinken«, murmelte ich, und er stieß einen leisen Laut der Belustigung aus und schob seine Hand an ihre gewohnte Stelle, eingeschlossen zwischen meinen Oberschenkeln.

Nun ließ ich endlich los, und der Schlaf umfing mich wie schwerer Sand. Vielleicht sagte er es, während ich in die Finsternis sank, vielleicht träumte ich es auch nur.

»Wenn ich sterbe«, flüsterte er in der Dunkelheit, »folge mir nicht. Die Kinder werden dich brauchen. Bleib um ihretwillen. Ich kann warten.«

Zweiter Teil

Schatten ziehen herauf

Kapitel 8

Opfer eines Massakers

Von Lord John Grey

An Mr. James Fraser, Esq.

14. Juni 1773

Mein lieber Freund –

ich schreibe Dir bei guter Gesundheit und hoffe, Dich und die Deinen in ähnlichem Zustand anzutreffen.

Mein Sohn ist nach England zurückgekehrt, um dort seine Schulbildung zu vollenden. Er schreibt voller Begeisterung von seinen Erlebnissen (ich füge eine Kopie seines letzten Briefes bei) und versichert mir, dass es ihm bestens geht. Wichtiger noch, meine Mutter schreibt mir ebenfalls, dass er blüht und gedeiht, obwohl ich glaube – dies schließe ich mehr aus dem, was sie ungesagt lässt, als aus dem, was sie schreibt – , dass er ein ungewohntes Element der Verwirrung und des Aufruhrs zu ihrem Haushalt beisteuert.

Ich gestehe, dass ich das Fehlen dieses Elements in meinem Haushalt deutlich spüre. Du wärst erstaunt, wie wohlgeordnet mein Leben in diesen Tagen ist. Dennoch, die Ruhe erscheint mir bedrückend, und ich bin zwar körperlich gesund, doch mein Geist lässt ein wenig die Flügel hängen. Ich vermute, ich vermisse William sehr.

Als Ablenkung von meinem einsamen Dasein habe ich mir unlängst eine neue Beschäftigung gesucht, die der Weinherstellung. Ich vermute zwar, dass es das Produkt nicht mit dem Gehalt Deiner eigenen Destillate aufnehmen kann, doch ich rede mir ein, dass es nicht untrinkbar ist und schließlich sogar genießbar werden könnte, wenn man ihm ein oder zwei Jahre Zeit zum Ruhen lässt. Ich werde Dir Ende des Monats ein Dutzend Flaschen schicken, übersandt durch meinen neuen Bediensteten, Mr. Higgins, dessen Werdegang Dich interessieren dürfte.

Du wirst eventuell schon von einer ruchlosen Schlägerei gehört haben, die sich im März vor drei Jahren in Boston zugetragen hat. Ich habe sie in Zeitungen und Pamphleten als »Massaker« bezeichnet gefunden, höchst verantwortungslos – und höchst inakkurat für jemanden, der bei dem tatsächlichen Ereignis zugegen war.

Ich war nicht selbst dort, habe aber mit diversen Offizieren und Soldaten gesprochen, die dabei waren. Wenn sie die Wahrheit sagen, und ich glaube, dass sie das tun, dann ist das Bild, das die Bostoner Presse von der Angelegenheit zeichnet, geradezu monströs.

Boston ist allen Berichten nach ein wahrer Tummelplatz republikanischer Überzeugungen; bei jedem Wetter sind sogenannte »Marschgesellschaften« auf den Straßen unterwegs, die nicht mehr sind als eine Ausrede für die Zusammenrottung von Pöbel, dessen Hauptbeschäftigung es ist, die dort stationierten Soldaten zu drangsalieren.

Higgins sagt mir, dass es aus Furcht vor diesem Pöbel niemand wagt, allein in Uniform auszugehen, und selbst wenn er in größerer Zahl unterwegs ist, treibt ihn der Druck der Öffentlichkeit bald wieder in sein Quartier zurück, es sei denn, die Pflicht zwingt ihn, sich zu behaupten.

Eines Abends wurde eine Patrouille von fünf Soldaten solchermaßen bedrängt und nicht nur mit Beleidigungen der übelsten Sorte, sondern zudem mit Steinwürfen, Erd- und Dungklumpen und anderem Abfall überhäuft. Der Pöbel drängte sich so dicht um sie, dass die Männer um ihre Sicherheit bangten und daher ihre Waffen zogen, um nach Möglichkeit die groben Aufmerksamkeiten abzuwenden, die man auf sie herniederregnen ließ. Doch weit gefehlt – anstatt dieses Ziel zu bewerkstelligen, trieb diese Handlungsweise die Menge zu noch größerer Entrüstung, und irgendwann wurde ein Gewehr abgefeuert. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob der Schuss aus der Menge oder aus einer Waffe der Soldaten kam, ganz zu schweigen davon, ob es ein Unfall oder Absicht war, doch seine Wirkung … Nun, du hast genug Erfahrung mit solchen Dingen, um dir die folgende Konfusion vorstellen zu können.

Am Ende gab es fünf Tote unter dem Pöbel, und die Soldaten wurden zwar übel mitgenommen, doch sie entkamen lebend, um dann allerdings in den böswilligen Tiraden der Rädelsführer in der Presse zu Sündenböcken gestempelt zu werden. Diese waren so formuliert, dass es ein mutwilliges, unprovoziertes Gemetzel an Unschuldigen war statt eines Falls von Selbstverteidigung gegenüber einem von Alkohol und Hassparolen entfesselten Pöbel.

Ich gestehe, dass meine Sympathien voll und ganz bei den Soldaten liegen müssen; ich bin mir sicher, dass dies für Dich offensichtlich ist. Sie wurden vor Gericht gestellt, wo der Richter drei von ihnen für unschuldig befand, jedoch offensichtlich eine Gefahr für sich selbst darin sah, sie alle freizusprechen.

Higgins wurde gemeinsam mit einem weiteren des Totschlags für schuldig befunden, legte aber Berufung ein und wurde auf freien Fuß gesetzt, nachdem man ihn gebrandmarkt hatte. Die Armee hat ihn natürlich entlassen. Und ohne eine Möglichkeit, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sowie der öffentlichen Schmach ausgesetzt, befand er sich in einer traurigen Lage. Er erzählt mir, dass er kurz nach seiner Freilassung in einem Wirtshaus so verprügelt wurde, dass ihm die Verletzungen das Sehvermögen eines Auges raubten, und dass sein Leben mehr als einmal bedroht wurde. Auf der Suche nach Sicherheit verdingte er sich daher als Matrose auf einer Schaluppe, die meinem Freund, Kapitän Gill, gehört, obwohl ich ihn persönlich segeln gesehen habe und Dir versichern kann, dass er kein Seemann ist.