»Ja«, sagte ich und räusperte mich. »Wenn – wenn du gehst, möchte ich dir ein paar Tauschwaren mitgeben und dir sagen, worum du im Austausch bitten sollst. Ihr werdet doch erst morgen früh aufbrechen?«
Die Beardsleys bebten vor Ungeduld, doch Jamie stand still und sah mich an, und ich spürte, wie er mich berührte, ohne etwas zu sagen oder sich zu regen.
»Ja«, sagte er leise, »wir warten die Nacht noch ab.« Dann wandte er sich an die Beardsleys. »Könntest du zu Bobby Higgins gehen, Jo, und ihn bitten herunterzukommen? Ich muss mit ihm sprechen.«
»Er ist oben bei Miss Lizzie?« Das schien Jo Beardsley gar nicht zu gefallen, und im Gesicht seines Bruders spiegelte sich das gleiche schlitzäugige Misstrauen.
»Was macht er denn in ihrem Zimmer? Weiß er nicht, dass sie verlobt ist?«, fragte Kezzie rechtschaffen entrüstet.
»Ihr Vater ist dabei«, beruhigte Jamie die beiden. »Ihr Ruf ist nicht in Gefahr, aye?«
Jo prustete leise, doch die Brüder wechselten einen Blick, dann gingen sie gemeinsam, die schmalen Schultern aufgerichtet und fest entschlossen, dieser Bedrohung für Lizzies Tugend ein Ende zu setzen.
»Dann tust du es also?« Ich legte den Stößel hin. »Du wirst Indianeragent?«
»Ich glaube, ich muss. Wenn ich es nicht tue – tut es Richard Brown mit Sicherheit. Ich denke, das sollte ich nicht riskieren.« Er zögerte, dann trat er zu mir und legte mir sacht die Finger auf den Arm. »Ich schicke dir die Jungen mit den Beeren, die du brauchst. Möglich, dass ich ein oder zwei Tage bleiben muss. Zum Reden, aye?« Um den Cherokee mitzuteilen, dass er jetzt als Vertreter der britischen Krone agierte, meinte er – und um dafür zu sorgen, dass es sich herumsprach, damit die Häuptlinge der Bergdörfer zu einem späteren Zeitpunkt zusammenkamen, um Rat zu halten, sich zu besprechen und Geschenke auszutauschen.
Ich nickte und spürte die Angst wie eine kleine Blase unter meinem Brustbein aufsteigen. Nun begann es also. Ganz gleich, wie genau man weiß, dass demnächst etwas Furchtbares passieren wird, irgendwie denkt man nie, dass es heute sein wird.
»Bleib – bleib nicht zu lange fort, ja?«, entfuhr es mir. Ich wollte ihn zwar nicht mit meinen Ängsten belasten, aber ich konnte es genauso wenig für mich behalten.
»Nein«, sagte er leise und ließ seine Hand kurz auf meinem Kreuz ruhen. »Mach dir keine Sorgen; ich werde nicht unnötig bleiben.«
Schritte, die die Treppe herunterkamen, hallten durch den Flur. Wahrscheinlich hatte Mr. Wemyss die Beardsleys gemeinsam mit Bobby hinausgeworfen. Sie blieben nicht stehen, sondern gingen ohne ein Wort. Bobby schien die Blicke kaum verhüllter Abneigung, die sie ihm zuwarfen, nicht zu bemerken.
»Einer der Jungen sagt, Ihr wolltet mich sprechen, Sir?« Er hatte wieder etwas Farbe bekommen, wie ich erfreut feststellte, und schien wieder relativ standfest zu sein. Er blickte beklommen zum Tisch, der noch mit dem Laken überzogen war, auf dem ich ihn behandelt hatte, und dann zu mir, doch ich schüttelte nur den Kopf. Ich würde mich später um den Rest seiner Hämorrhoiden kümmern.
»Aye, Bobby.« Jamie wies mit einer knappen Geste auf einen Hocker, als wollte er Bobby einladen, sich zu setzen, doch ich räusperte mich bedeutsam, und er hielt inne und lehnte sich seinerseits an den Tisch, anstatt sich hinzusetzen.
»Die beiden Männer, die hier waren – Brown heißen sie. Sie haben eine Siedlung ein Stück von uns entfernt. Ihr sagt, Ihr habt von den Komitees für die Sicherheit gehört. Dann wisst Ihr also, worum es dabei geht.«
»Aye, Sir. Diese Browns, Sir – wollten sie mich?« Er sprach ganz ruhig, doch ich sah, wie er kurz schluckte und der Adamsapfel in seiner Kehle hüpfte.
Jamie seufzte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Die Sonne fiel jetzt durch das Fenster und traf ihn direkt, so dass sein rotes Haar wie Feuer glühte – und hier und dort das Silber aufflackerte, das sich nun zwischen den roten Strähnen zeigte.
»Ja. Sie wussten, dass Ihr hier seid; hatten von Euch gehört, sicherlich von jemandem, dem Ihr unterwegs begegnet wart. Ich nehme an, Ihr habt den Leuten erzählt, wohin Ihr unterwegs wart?«
Bobby nickte wortlos.
»Was hatten sie denn mit ihm vor?«, fragte ich, während ich die Mischung aus zerstampfter Wurzelrinde und Beeren in eine Schüssel kippte und mit heißem Wasser übergoss, damit sie ziehen konnte.
»Das haben sie nicht eindeutig gesagt«, sagte Jamie trocken. »Aber ich habe ihnen ja auch keine Gelegenheit dazu gelassen. Ich habe ihnen lediglich gesagt, dass sie meine Gäste nur über meine – und ihre – Leiche von meinem Herdfeuer wegzerren.«
»Ich dank Euch dafür, Sir.« Bobby holte tief Luft. »Dann – wussten sie wohl Bescheid? Über Boston? Davon habe ich bestimmt niemandem erzählt.«
Jamies Stirnrunzeln vertiefte sich ein wenig.
»Aye, das wussten sie. Sie haben vorgegeben zu glauben, dass ich es nicht wüsste; haben mir gesagt, ich beherbergte ohne mein Wissen einen Mörder und einen Mann, der eine Bedrohung für das öffentliche Wohlergehen darstellt.«
»Nun, das Erste stimmt ja auch«, sagte Bobby und berührte vorsichtig sein Brandzeichen, als schmerzte es ihn noch. Dann lächelte er schwach. »Aber ich weiß nicht, ob ich heute noch eine große Bedrohung darstelle.«
Jamie ignorierte das.
»Worum es geht, Bobby, ist, dass sie nun einmal wissen, dass Ihr hier seid. Ich glaube nicht, dass sie herkommen und Euch verschleppen werden. Aber ich bitte Euch, Euch hier wachsam zu bewegen. Wenn es so weit ist, werde ich dafür sorgen, dass Ihr unter Begleitschutz sicher zu Lord John zurückgelangt. Ich vermute, du bist noch nicht ganz mit ihm fertig?«, fragte er an mich gerichtet.
»Nicht ganz«, erwiderte ich freundlich. Bobby zog ein nervöses Gesicht.
»Nun denn.« Jamie griff in seinen Gürtel und zog eine Pistole hervor, die unter den Falten seines Hemdes verborgen gewesen war. Ich sah, dass es die extravagante Waffe mit den Goldverzierungen war.
»Tragt sie bei Euch«, sagte Jamie und reichte sie Bobby. »In der Anrichte sind Pulver und Munition. Werdet Ihr über meine Frau und meine Familie wachen, solange ich fort bin?«
»Oh!« Bobbys Miene war erschrocken, doch dann nickte er und steckte sich die Pistole in den Hosenbund. »Das werde ich, Sir. Verlasst Euch darauf!«
Jamie lächelte ihn an, und sein Blick erwärmte sich.
»Das ist gut zu wissen, Bobby. Würdet Ihr vielleicht meinen Schwiegersohn suchen? Ich muss ihn sprechen, bevor ich gehe.«
»Aye, Sir. Auf der Stelle!« Er richtete sich auf und marschierte davon, einen entschlossenen Ausdruck in seinem Poetengesicht.
»Was, glaubst du, hätten sie mit ihm gemacht?«, fragte ich leise, als sich die Haustür leise hinter ihm schloss. »Die Browns.«
Jamie schüttelte den Kopf.
»Weiß der Himmel. Ihn vielleicht an der nächsten Straßenkreuzung gehängt – oder ihn nur ausgepeitscht und aus den Bergen vertrieben. Sie wollen den Leuten demonstrieren, dass sie in der Lage sind, sie zu beschützen, aye? Vor gefährlichen Kriminellen und ähnlichem Gesindel«, fügte er hinzu und verzog den Mund.
»… dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten …«, zitierte ich und nickte. »Damit ein Sicherheitskomitee eine Existenzberechtigung hat, muss es erst einmal eine offensichtliche Bedrohung für die öffentliche Sicherheit geben. Klug von den Browns, dass sie so weit gedacht haben.«
Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.
»Wer hat das gesagt? Mit der Zustimmung der Regierten?«
»Thomas Jefferson«, erwiderte ich und kam mir sehr schlau vor. »Oder vielmehr wird er es in zwei Jahren sagen.«
»Er wird es in zwei Jahren von einem Herrn namens Locke stehlen«, korrigierte er. »Richard Brown muss eine ordentliche Schulbildung genossen haben.«
»Du meinst im Gegensatz zu mir?«, sagte ich unbeeindruckt. »Aber wenn du damit rechnest, dass die Browns Unruhe stiften, warum hast du Bobby ausgerechnet diese Pistole gegeben?«