Выбрать главу

»Euer Leben ist kostbar«, hatte ich zu Tom Christie gesagt, der nur erwidert hatte: »Wenn es nicht so wäre, würde dies hier ja wertlos sein.« Doch wie sollte ich seinen Sohn davon überzeugen?

»Euer Vater hat Euch beide geliebt«, sagte ich und fragte mich dabei, ob er wohl wusste, was sein Vater getan hatte. Er hatte sehr kalte Finger, die ich jetzt mit beiden Händen umfing, um ihm ein wenig Wärme zu spenden. Ich hoffte, dass die menschliche Berührung ihm helfen würde.

»Aber nicht so, wie ich sie geliebt habe«, sagte er leise, ohne mich anzusehen. »Ich habe sie ihr Leben lang geliebt, von dem Moment an, als sie geboren wurde und sie sie mir in den Arm gelegt haben. Es gab niemand anderen, für keinen von uns. Vater war fort, im Gefängnis, und dann ist meine Mutter – ah, Mutter.« Seine Lippen verzogen sich, als wollte er lachen, doch es kam kein Ton.

»Ich weiß Bescheid über Eure Mutter«, sagte ich. »Euer Vater hat es mir erzählt.«

»Ach ja?« Sein Kopf fuhr zu mir herum, und er fixierte mich mit klarem, hartem Blick. »Hat er Euch auch erzählt, dass sie Malva und mich zu ihrer Hinrichtung mitgenommen haben?«

»Ich – nein. Ich glaube nicht, dass er das wusste, oder?« Mein Magen verknotete sich.

»Er wusste es. Ich habe es ihm erzählt, später, als er uns hat kommen lassen. Er hat gesagt, das sei gut so, weil wir mit unseren eigenen Augen gesehen hätten, wohin der Frevel führt. Er hat mir aufgetragen, diese Lektion zu behalten – und das habe ich getan«, fügte er leiser hinzu.

»Wie alt wart Ihr denn da?«, fragte ich entsetzt.

»Zehn. Malva war erst zwei – sie hatte keine Ahnung, was da vorging. Sie hat nach ihrer Mama gerufen, als sie Mutter vor den Henker geführt haben, hat gestrampelt und gebrüllt und die Arme nach ihr ausgestreckt.«

Er schluckte und wandte den Kopf ab.

»Ich habe versucht, sie zu nehmen, ihren Kopf an meine Brust zu drücken, damit sie es nicht sehen muss – aber sie haben mich nicht gelassen. Sie haben ihr das Köpfchen festgehalten und sie gezwungen zuzusehen, und Tante Darla hat ihr ins Ohr gesagt, dass so etwas mit Hexen geschieht, und sie in die Beine gekniffen, bis sie geschrien hat. Danach haben wir sechs Jahre bei Tante Darla gewohnt«, fügte er mit geistesabwesender Miene hinzu.

»Sie war nicht besonders begeistert darüber, aber sie hat gesagt, es sei ihre Christenpflicht. Das alte Biest hat uns kaum etwas zu essen gegeben, und ich war es, der sich um Malva gekümmert hat.«

Er schwieg eine Weile, und ich tat dasselbe, weil ich dachte, dass die Chance, sich auszusprechen, das Beste – das Einzige – war, was ich ihm anzubieten hatte. Er entzog mir seine Hand, beugte sich vor und berührte den Grabstein. Es war nur ein Granitbrocken, aber jemand hatte sich die Mühe gemacht, ihren Namen hineinzuritzen – nur das eine Wort, MALVA, in groben Blockbuchstaben. Er erinnerte mich an die Gedenksteine, die auf dem Feld von Culloden verstreut standen, die Clansteine, jeder mit einem einzelnen Namen versehen.

»Sie war perfekt«, flüsterte er. Sein Finger wanderte über den Stein, vorsichtig, als berührte er ihre Haut. »So perfekt. Ihr kleines Geschlecht hat ausgesehen wie eine Blütenknospe, und ihre Haut war so frisch und weich …«

In meiner Magengrube breitete sich Kälte aus. Meinte er etwa … ja, natürlich meinte er das. Unausweichliche Verzweiflung regte sich in mir.

»Sie war mein«, sagte er, und als er den Kopf hob und meinen Blick auf sich ruhen sah, wiederholte er es noch einmal lauter. »Sie war mein!«

Dann blickte er auf das Grab hinunter, und sein Mund verzerrte sich vor Schmerz und Trauer.

»Der alte Mann hat nichts davon gewusst – hatte keine Ahnung, was wir einander bedeutet haben.«

Wirklich nicht?, dachte ich. Möglich, dass Tom Christie das Verbrechen gestanden hatte, um einen Menschen zu retten, den er liebte – doch er liebte mehr als einen Menschen. Nachdem er seine Tochter – oder besser, seine Nichte – verloren hatte, hätte er nicht alles getan, um den Sohn zu retten, der alles war, was von seinem Blut noch übrig war?

»Ihr habt sie umgebracht«, sagte ich leise. Ich hegte nicht den geringsten Zweifel daran, und er zeigte sich nicht überrascht.

»Er hätte sie verkauft, sie irgendeinem Bauerntrampel gegeben.« Allan ballte auf dem Oberschenkel die Faust. »Das habe ich oft gedacht, als sie älter wurde. Und manchmal, wenn ich mit ihr geschlafen habe, konnte ich es nicht ertragen und habe sie ins Gesicht geschlagen, so wütend hat mich der bloße Gedanke gemacht.«

Er holte krampfhaft Luft.

»Es war nicht ihre Schuld, nichts davon. Aber ich dachte, es wäre so. Und dann habe ich sie mit diesem Soldaten erwischt, und dann noch einmal, mit diesem dreckigen Henderson. Ich habe sie geschlagen, aber sie hat gesagt, es müsste sein – weil sie schwanger war.«

»Von Euch?«

Er nickte gequält.

»Daran habe ich überhaupt nie gedacht. Ich hätte es natürlich tun sollen. Aber ich habe es nie getan. Sie war immer meine kleine Malva, wisst Ihr, mein kleines Mädchen. Ich habe ihre Brüste wachsen gesehen, aye, und die Haare, die ihre schöne Haut verunstaltet haben – aber ich habe einfach nie gedacht …«

Er schüttelte den Kopf, denn er konnte den Gedanken selbst jetzt nicht fassen.

»Sie hat gesagt, sie müsste heiraten – und der Mann müsste glauben, das Kind sei von ihm, egal, wen sie heiratete. Wenn sie den Soldaten nicht dazu bringen konnte, sie zu heiraten, musste es eben ein anderer sein. Sie hatte ganz schnell so viele Liebhaber wie möglich. Doch ich habe dem einen Riegel vorgeschoben«, versicherte er mir mit einem leicht ekelerregenden, selbstgerechten Ton in der Stimme. »Ich habe ihr gesagt, ich lasse das nicht zu – mir würde schon etwas anderes einfallen.«

»Und so habt Ihr sie dazu angestiftet zu behaupten, das Kind sei von Jamie.« Mein Entsetzen über seine Geschichte und meine Wut über das, was er uns angetan hatte, ertranken in einer Flut der Trauer. Oh, Malva, dachte ich verzweifelt. Oh, meine liebe Malva, warum hast du mir nichts davon gesagt? Doch natürlich hätte sie es mir nie gesagt. Der Einzige, dem sie etwas anvertraute, war Allan gewesen.

Er nickte und streckte erneut die Hand nach dem Stein aus. Ein Windstoß fuhr durch den Ilex und bewegte seine steifen Blätter.

»Es hätte die Schwangerschaft erklärt, und sie hätte nicht heiraten müssen. Ich dachte – Ehrwürden würde ihr Geld geben, damit sie fortgehen kann, und ich wäre dann mit ihr gegangen. Wir hätten vielleicht nach Kanada gehen können oder auf die Westindischen Inseln.« Seine Stimme klang verträumt, als er sich ein idyllisches Leben an einem Ort vorstellte, wo niemand von ihnen wusste.

»Aber warum habt Ihr sie umgebracht?«, entfuhr es mir. »Was hat Euch dazu getrieben?« Es war so überwältigend schmerzhaft und sinnlos, dass ich die Hände in meiner Schürze zu Fäusten ballte, um nicht auf ihn einzuhämmern.

»Ich musste«, sagte er ernst. »Sie hat gesagt, sie könnte das nicht.« Er senkte blinzelnd den Blick, und ich merkte, dass seine Augen voller Tränen waren.

»Sie hat gesagt – dass sie Euch liebt«, sagte er mit leiser, belegter Stimme. »Dass sie Euch das nicht antun könnte. Sie hatte vor, die Wahrheit zu sagen. Ganz gleich, was ich ihr geraten habe, sie hat es ständig wiederholt – dass sie Euch liebte und alles erzählen würde.«

Er schloss die Augen und ließ die Schultern hängen. Zwei Tränen rannen ihm über die Wangen.

»Warum nur, Kleine?«, rief er und verschränkte, von Trauer geschüttelt, die Arme vor dem Bauch. »Warum hast du mich dazu gezwungen? Du hättest niemanden lieben dürfen außer mir.«

Dann schluchzte er wie ein Kind und krümmte sich weinend. Auch ich weinte um den Verlust und die Zwecklosigkeit, die ganze grenzenlose, furchtbare Verschwendung. Dennoch streckte ich die Hand aus und hob die Pistole auf. Mit zitternden Händen leerte ich das Ladepfännchen und schüttelte die Kugel aus dem Lauf, bevor ich mir die Pistole in die Schürzentasche steckte.