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Der Baum, an dem ich lehnte, war eine Kiefer; ihre Nadeln schwankten sacht über mir hin und her, dann kamen sie zur Ruhe, als pflichteten sie mir bei. Ich musste gehen; es war schon spät, und es wurde kühler.

Ich rieb mir die Augen, setzte mir die Kapuze meines Umhangs auf und ging weiter. Der Heimweg von den Abernathys war weit – ich wäre besser auf Clarence geritten, doch er hatte tags zuvor gelahmt, und ich hatte ihm seine Ruhe gelassen. Aber ich würde mich beeilen müssen, wenn ich vor Anbruch der Dunkelheit nach Hause kommen wollte.

Ich blickte argwöhnisch nach oben, um die Wolken zu begutachten, die das sanfte, gleichmäßige Grau nahenden Schnees angenommen hatten. Die Luft war kalt und feucht; wenn es dunkel wurde und die Temperatur sank, würde es schneien.

Der Himmel war noch hell, aber nur gerade eben, als ich am Kühlhaus vorbeikam und die Rückseite des Hauses erreichte. Hell genug jedoch, um mich erkennen zu lassen, dass etwas nicht stimmte – die Hintertür stand offen.

Alarmglocken schrillten, und ich machte kehrt, um in den Wald zu rennen. Machte kehrt und prallte geradewegs mit einem Mann zusammen, der hinter mir aus dem Wald gelaufen war.

»Wer zum Teufel seid Ihr?«, wollte ich wissen.

»Macht Euch darum keine Gedanken, Mistress«, sagte er, packte mich am Arm und brüllte ins Haus: »Hey, Donner! Ich habe sie!«

Egal, was Wendigo Donner im Lauf des vergangenen Jahres getrieben hatte, seinem Aussehen nach war es nicht sehr einträglich gewesen. Er war schon zu seinen besten Zeiten nie der Schickste gewesen, doch jetzt war er so heruntergekommen, dass sein Rock buchstäblich auseinanderfiel und ein Stück seiner sehnigen Hinterbacke durch einen Riss in seiner Hose lugte. Seine Haarmähne war fettig und verklebt, und er stank.

»Wo sind sie?«, fragte er heiser.

»Wo ist was?« Ich fuhr zu seinem Begleiter herum, der in etwas besserem Zustand zu sein schien. »Und wo sind mein Hausmädchen und ihre Söhne?« Wir standen in der Küche, und das Herdfeuer war aus; Mrs. Bug war heute Morgen nicht erschienen, und wo auch immer Amy und die Jungen sich aufhielten, sie waren schon länger fort.

»Weiß nicht.« Der Mann zuckte gleichgültig mit den Achseln. »War keiner hier, als wir gekommen sind.«

»Wo sind die Juwelen?« Donner packte meinen Arm und riss mich zu sich herum. Seine Augen waren tief eingefallen, und seine Hand war heiß; er hatte Fieber.

»Ich habe keine«, sagte ich knapp. »Du bist krank. Du solltest –«

»Doch! Ich weiß, dass sie hier sind! Jeder weiß das!«

Das ließ mich innehalten. Da sich Gerüchte hier schnell verbreiteten, glaubte jeder zu wissen, dass Jamie einen kleinen Vorrat an Juwelen hatte. Kein Wunder, wenn auch Donner von diesem hypothetischen Schatz gehört hatte – und wenig wahrscheinlich, dass ich ihn vom Gegenteil überzeugen konnte. Doch versuchen musste ich es.

»Sie sind fort«, erklärte ich deshalb.

Bei diesen Worten flackerte etwas in seinen Augen auf.

»Wie?«, sagte er.

Ich zog eine Augenbraue hoch und wies auf seinen Komplizen. Wollte er, dass der Mann es hörte?

»Geh Richie und Jed suchen«, sagte Donner knapp zu dem Banditen, der achselzuckend aus der Küche ging. Richie und Jed? Wie viele Leute hatte er denn noch dabei? Nachdem der anfängliche Schreck, ihn zu sehen, jetzt nachließ, wurde mir bewusst, dass ich oben Fußgetrampel hörte und dass am anderen Ende des Flurs jemand ungeduldig Schranktüren zuknallte.

»Mein Sprechzimmer! Ruf sie da heraus!« Ich stürzte auf die Flurtür zu, um es selbst zu tun, doch Donner packte meinen Umhang, um mich aufzuhalten.

Ich war es verflucht müde, herumgeschubst zu werden, und ich hatte keine Angst vor dieser elenden Missgeburt.

»Loslassen!«, herrschte ich ihn an und trat ihm energisch vor die Kniescheibe, um meine Forderung zu unterstreichen. Er schrie auf, ließ aber los; ich konnte ihn hinter mir fluchen hören, als ich zur Tür hinaus- und durch den Flur rannte.

Papiere und Bücher waren aus Jamies Büro in den Flur geflogen, und eine Tintenpfütze hatte sich darüber ergossen. Die Tinte war schnell erklärt, als ich den Banditen sah, der mein Sprechzimmer plünderte – er hatte einen großen Tintenfleck an der Vorderseite seines Hemds, wo er anscheinend das gestohlene Tintenfass aus Zinn verstaut hatte.

»Was machst du denn da?«, sagte ich. Der Bandit, ein Junge von zirka sechzehn, blinzelte mich mit offenem Mund an. Er hielt eine von Mr. Blogweathers perfekten Glaskugeln in der Hand; bei meinen Worten grinste er bösartig und ließ sie zu Boden fallen, wo sie zu einem Splitterregen zersprang. Eine der fliegenden Scherben schlitzte ihm die Wange auf; er spürte es erst, als er zu bluten begann. Er hob die Hand an die Wunde, runzelte verwundert die Stirn und brüllte beim Anblick des Bluts an seiner Hand angstvoll auf.

»Scheiße«, sagte Donner hinter mir. Er legte die Arme um mich und zerrte mich rückwärts in die Küche zurück.

»Hören Sie mir zu«, sagte er drängend und ließ mich los. »Alles, was ich will, sind zwei Stück. Behalten Sie den Rest. Ich brauche einen, um diese Typen zu bezahlen, und einen für – für die Reise.«

»Aber es ist wahr«, sagte ich beharrlich, obwohl ich wusste, dass er mir nicht glauben würde. »Wir haben keine mehr. Meine Tochter und ihre Familie – sie sind fort. Wieder zurück. Sie haben alle Steine gebraucht, die wir hatten. Es gibt keine mehr.«

Er starrte mich an, und der Unglaube war deutlich in seinen brennenden Augen zu lesen.

»Doch«, sagte er fest überzeugt. »Es muss welche geben. Ich muss von hier weg!«

»Warum?«

»Ist doch egal. Ich muss weg, und zwar schnell.« Er schluckte, und sein Blick huschte durch die Küche, als könnten die Edelsteine einfach so auf der Anrichte liegen. »Wo sind sie?«

Ein fürchterliches Krachen im Sprechzimmer, gefolgt von einer Salve lauter Flüche, kam jeder möglichen Antwort meinerseits zuvor. Ich bewegte mich automatisch auf die Tür zu, doch Donner stellte sich vor mich.

Ich war außer mir über seinen Einbruch, und langsam wurde ich nervös. Ich hatte zwar noch nie gesehen, dass Donner gewalttätig wurde, doch ich war mir nicht so sicher, was seine Begleiter anging. Möglich, dass sie irgendwann aufgaben und gingen, wenn es klar wurde, dass sich tatsächlich keine Edelsteine im Haus befanden. Sie konnten aber ebenso versuchen, das Versteck besagter Edelsteine aus mir herauszuprügeln.

Ich zog meinen Umhang fester um mich, setzte mich auf eine Bank und versuchte, ruhig zu überlegen.

»Also«, sagte ich zu Donner. »Ihr habt das Haus auseinandergenommen –« Oben krachte es, so dass das ganze Haus wackelte, und ich fuhr zusammen. Mein Gott, es hörte sich an, als hätten sie den Schrank umgeworfen. »Und ihr habt nichts gefunden. Wenn ich welche hätte, würde ich sie euch nicht geben, damit ihr es nicht völlig verwüstet?«

»Nein, ich glaube nicht. Ich an Ihrer Stelle würde es nicht tun.« Er rieb sich den Mund. »Sie wissen doch, was hier los ist – der Krieg und alles.« Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung, dass es so sein würde. Ich schwöre, die Hälfte der Leute, denen man heutzutage begegnet, wissen überhaupt nicht mehr, wo vorn und hinten ist. Ich dachte, da wären nur, na ja, Rotröcke und so, und man geht jedem Uniformierten aus dem Weg, hält sich von den Schlachten fern, und alles wäre gut. Aber ich habe noch gar keinen Rotrock gesehen, und die Leute – einfach nur stinknormale Leute, sie schießen sich gegenseitig an und stecken ihre Häuser in Brand …«

Er schloss einen Moment die Augen. Seine roten Wangen wurden von einer Sekunde zur nächsten kreidebleich; ich konnte sehen, dass es ihm ziemlich schlechtging. Hören konnte ich es auch; sein Atem rasselte feucht in seiner Brust, und er keuchte schwach. Wenn er in Ohnmacht fiel, wie würde ich dann seine Begleiter loswerden?