Er sagte es ganz ruhig; was hätte sie denn sonst auch tun sollen. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, was die Bugs in den Jahren nach Culloden sonst noch getan hatten – zu tun gezwungen gewesen waren.
»Nun, immerhin habt Ihr dafür gesorgt, dass König George das Gold nicht in die Finger bekommen hat«, sagte Jamie mit einem gewissen trostlosen Unterton. Sicher dachte er dabei an die Schlacht am Moore’s Creek. Wenn Hugh MacDonald das Gold gehabt hätte, um Pulver und Waffen damit zu kaufen, wäre der Sieg dort nicht so leicht gewesen. Und es wären nicht – einmal mehr – Highlander abgeschlachtet worden, die mit dem Schwert in der Hand in die Kanonenmündungen rannten.
»Arch«, sagte er, als das Schweigen allmählich drückend wurde, »was genau hattet Ihr damit vor?«
Arch blinzelte bei diesen Worten und senkte den Blick auf den Goldbarren.
»Zuerst – zuerst wollte ich nur herausfinden, ob es stimmte, was ich gehört hatte – dass Hector Cameron seinen Teil des Goldes mitgenommen hatte und es für seine eigenen Zwecke verwendet hatte. Als ich dann kam, war Hector tot, doch der Lebensstil seiner Frau hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er es tatsächlich an sich genommen hatte. Also habe ich mich gefragt – ob wohl noch etwas davon übrig war.«
Seine Hand hob sich, um seinen runzligen Hals zu massieren.
»Um die Wahrheit zu sagen, Mistress – es war vor allem mein Wunsch, es Jocasta Cameron wieder fortzunehmen. Doch nachdem ich das getan hatte …« Seine Stimme erstarb, dann schüttelte er sich.
»Ich stehe zu meinem Wort, Seaumais mac Brian. Ich habe meinem Häuptling einen Eid geschworen – und ihn bis zu seinem Tod gehalten. Ich habe dem König jenseits des Wassers –«, er meinte James Stuart, »– meinen Eid geschworen. Doch auch er ist jetzt tot. Und dann – habe ich George von England die Treue geschworen, als ich hier an Land gegangen bin. Und jetzt sagt mir, wem ich verpflichtet bin?«
»Mir habt Ihr auch einen Eid geschworen, Archibald mac Donagh«, erinnerte Jamie ihn.
Da lächelte Arch, voll Ironie, doch zumindest ein Lächeln.
»Und dieses Eides wegen seid Ihr noch am Leben, Seaumais mac Brian«, sagte er. »Ich hätte Euch letzte Nacht im Schlaf umbringen und mich davonmachen können.«
Jamies Mund verzog sich zu einer Miene, die beachtlichen Zweifel an dieser Behauptung ausdrückte, doch er verkniff es sich zu widersprechen.
»Ich befreie Euch von Eurem Eid mir gegenüber«, sagte er formell auf Gälisch. »Nehmt Euer Leben aus meiner Hand entgegen.« Dann wies er mit einer Neigung seines Kopfes auf den Goldbarren. »Und nehmt das – und geht.«
Arch starrte ihn einen Moment reglos an. Dann bückte er sich, hob den Goldbarren auf und ging.
»Du hast ihn ja gar nicht gefragt, wo das Gold jetzt ist«, merkte ich an, während ich beobachtete, wie der hochgewachsene Alte auf die Hütte zuging, um seine Frau zu wecken.
»Glaubst du, er hätte es mir gesagt?« Er stand auf, reckte sich, schüttelte sich wie ein Hund und trat an die Schuppentür. Er lehnte sich mit den Armen an den Türrahmen und spähte hinaus. Es fing wieder an zu schneien.
»Wie ich sehe, sind nicht nur die Frasers so stur wie Felsbrocken«, sagte ich, als ich an seine Seite trat. »Schottland lebt, in der Tat.« Das brachte ihn zum Lachen.
Er legte seinen Arm um mich, und ich schmiegte den Kopf an seine Schulter.
»Dein Haar riecht nach Rauch, Sassenach«, sagte er leise.
»Alles riecht nach Rauch«, sagte ich genauso leise.
Die heruntergebrannten Ruinen des Hauses waren noch so warm, dass der Schnee nicht darauf liegen blieb, doch das würde vorübergehen. Wenn es weiterschneite, würde das Haus bis morgen verschwunden sein, so weiß wie die Felsen und Bäume. Und wir auch, irgendwann.
Ich dachte an Duncan und Jocasta, die in Kanada in Sicherheit waren, von ihren Verwandten willkommen geheißen. Wohin würden die Bugs gehen – zurück nach Schottland? Einen Moment lang sehnte ich mich danach, auch zu gehen. Fort von Verlust und Trostlosigkeit. Heim.
Doch da fiel es mir wieder ein.
»Solange noch hundert von uns am Leben sind …«, zitierte ich.
Jamie legte den Kopf kurz an den meinen, hob ihn und wandte sich mir zu, um mich anzusehen.
»Und wenn du zum Bett eines Kranken gehst, Sassenach – zu einem Verletzten oder einer Geburt –, wie kommt es, dass du selbst dann aus dem Bett aufstehst, wenn du zu Tode erschöpft bist, und dich allein im Dunklen auf den Weg machst? Warum wartest du nie, warum sagst du niemals nein? Warum lässt du es nie sein, auch wenn du weißt, dass ein Fall hoffnungslos ist?«
»Ich kann es nicht.« Ich hielt den Blick auf die Ruine des Hauses gerichtet, dessen Asche vor meinen Augen erkaltete. Ich wusste, was er meinte, die unangenehme Wahrheit, die er von mir hören wollte – doch zwischen uns konnte es nur die Wahrheit geben, und sie musste ausgesprochen werden. »Ich kann nicht … kann mir nicht … eingestehen …, dass es eine andere Möglichkeit gibt, als zu gewinnen.«
Er nahm mein Kinn in die Hand und hob mein Gesicht, so dass ich ihn ansehen musste. Sein Gesicht war mitgenommen von der Müdigkeit, die Falten um Augen und Mund tief eingegraben, doch die Augen selbst waren klar, kühl und unauslotbar wie das Wasser einer verborgenen Quelle.
»Ich auch nicht«, sagte er.
»Ich weiß.«
»Immerhin kannst du mir den Sieg versprechen«, sagte er, doch es lag der Hauch einer Frage in seiner Stimme.
»Ja«, sagte ich und berührte sein Gesicht. Meine Stimme klang erstickt, und es verschwamm mir vor den Augen. »Ja, das kann ich dir versprechen. Diesmal.« Keine Erwähnung dessen, was dieses Versprechen nicht enthielt, dessen, was ich nicht garantieren konnte. Weder Überleben noch Sicherheit. Weder Heim noch Familie; weder Gesetz noch Erbe. Nur das eine – oder vielleicht noch etwas.
»Den Sieg«, sagte ich. »Und dass ich bei dir bleibe bis ans Ende.«
Er schloss einen Moment die Augen. Schneeflocken rieselten auf ihn hinunter und schmolzen, sobald sie in seinem Gesicht landeten, blieben eine Sekunde weiß an seinen Wimpern kleben. Dann öffnete er die Augen wieder.
»Das ist genug«, sagte er leise. »Um mehr bitte ich gar nicht.«
Dann streckte er die Hände aus, nahm mich in die Arme und hielt mich einen Moment dicht an sich gedrückt, während uns der Hauch von Schnee und Asche kalt umwehte. Dann küsste er mich, ließ mich los, und ich holte tief Luft, kalt und rauh und voller Brandgeruch. Ich strich mir eine Ascheflocke vom Arm.
»Na schön … gut. Wunderbar. Äh …« Ich zögerte. »Was schlägst du als Nächstes vor?«
Er stand mit zusammengekniffenen Augen da und betrachtete die verkohlten Ruinen, dann zog er die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken.
»Ich glaube«, sagte er langsam, »wir fahren nach –« Plötzlich hielt er inne und runzelte die Stirn. »Was in Gottes Namen …?«
An der Seite des Hauses bewegte sich etwas. Ich blinzelte die Schneeflocken beiseite und stellte mich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
»Oh, das ist doch nicht möglich!«, sagte ich, doch es war so. Unter großem Gewühl im Schnee und Schmutz und im verkohlten Holz schob sich die weiße Sau ans Tageslicht. Als sie ganz im Freien stand, schüttelte sie ihre massigen Schultern, zuckte gereizt mit ihrer rosa Schnauze und marschierte zielsicher auf den Wald zu. In der nächsten Minute kam auf dieselbe Weise eine kleinere Version hervor – und noch eine und noch eine … und acht halb ausgewachsene Ferkel, teils weiß, teils gefleckt und eines so schwarz wie die Balken des Hauses, trotteten im Gänsemarsch davon und folgten ihrer Mutter.
»Schottland lebt«, sagte ich noch einmal und kicherte hemmungslos. »Äh – wohin, sagtest du, fahren wir?«
»Nach Schottland«, sagte er, als läge das auf der Hand. »Um meine Druckerpresse zu holen.«
Sein Blick war immer noch auf das Haus gerichtet, doch seine Augen hefteten sich auf etwas jenseits der Asche, weit jenseits dieser Stunde. Tief im Wald rief eine Eule, aufgeschreckt aus ihrem Schlaf. Eine Weile blieb er noch wortlos stehen, dann schüttelte er seine Erinnerung ab und lächelte mich an. In seinen Haaren schmolz der Schnee.