Beim Klang seines Namens stellte Rollo die Ohren auf, schob die Nase in Ians suchende Hand und jaulte leise.
»Er hat nichts«, sagte ich zu dem Hund. »Keine Sorge. Und ja«, fügte ich, an Ian gerichtet, hinzu, »ich bringe ihm etwas. Meinst du, du bekommst ein bisschen Brot und Milch hinunter?«
»Nein«, sagte er entschlossen. »Einen Schluck Whisky vielleicht.«
»Nein«, sagte ich ebenso entschlossen und pustete die Lampe aus.
»Tante Claire«, sagte er, als ich mich der Tür zuwandte.
»Ja?« Ich hatte ihm eine einzelne Kerze als Licht dagelassen, und in ihrem flackernden, gelben Schein sah er sehr jung und blass aus.
»Warum, glaubst du, hätte Major MacDonald gern, dass ich im Wald auf Indianer gestoßen wäre?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich nehme an, Jamie weiß es. Oder hat es inzwischen herausgefunden.«
Kapitel 4
Eine Schlange in Eden
Brianna drückte die Tür der Hütte auf und lauschte dann argwöhnisch auf das Trippeln von Nagerfüßen oder das trockene Wispern von Schuppen auf dem Boden. Sie hatte schon einmal den Fuß in die Dunkelheit gesetzt und wäre um ein Haar auf eine kleine Klapperschlange getreten; zwar war die Schlange, fast genauso erschrocken wie sie selbst, hastig zwischen den Kaminsteinen davongeglitten, doch sie hatte ihre Lektion gelernt.
Diesmal hörte sie keine flüchtenden Mäuse, aber etwas Größeres war hier gewesen und wieder gegangen, nachdem es sich durch die Ölhaut geschoben hatte, die vor das Fenster genagelt war. Die Sonne ging gerade unter, und es war noch hell genug, um zu erkennen, dass der geflochtene Graskorb, in dem sie die gerösteten Erdnüsse aufbewahrte, von seinem Bord auf den Boden gestürzt war, sein Inhalt geknackt und gefressen war und die Schalen auf dem Boden verstreut lagen.
Lautes Rascheln ließ sie einen Moment erstarren, während sie lauschte. Da war es wieder, gefolgt von einem heftigen Scheppern, als auf der anderen Seite der Rückwand etwas zu Boden fiel.
»Du kleiner Schurke!«, zischte sie. »Du bist in meiner Vorratskammer!«
Rechtschaffen entrüstet, griff sie nach dem Besen und stürzte unter Mordsgeheul in den Schuppen. Ein enormer Waschbär, der friedlich auf einer Räucherforelle herumkaute, ließ bei ihrem Anblick seine Beute fallen, schoss zwischen ihren Beinen hindurch und machte sich unter lauten, surrenden Alarmgeräuschen davon wie ein fetter Bankier auf der Flucht vor seinen Gläubigern.
Während das Adrenalin noch ihre Nervenbahnen durchpulste, stellte sie den Besen beiseite und bückte sich, um leise fluchend aus dem Durcheinander zu retten, was sie konnte. Waschbären waren zwar weniger zerstörerisch als Eichhörnchen, die achtlos alles zerkauten und zerkleinerten – aber ihr Appetit war größer.
Weiß Gott, wie lange er schon hier gewesen ist, dachte sie. Lange genug, um die komplette Butter aus ihrer Form zu lecken und ein Bündel geräucherter Fische vom Dachbalken hinunterzuzerren. Wie ein so fettes Tier die dazu nötige Turnübung fertigbrachte … Zum Glück hatte sie ihre Honigwaben in drei einzelnen Gefäßen untergebracht, und es war nur eins vernichtet worden. Aber das Wurzelgemüse lag auf dem Boden, und der kostbare Krug mit dem Ahornsirup war umgestürzt, und dieser sickerte als klebrige Pfütze in den Staub. Der Anblick dieses Verlustes versetzte sie erneut in Wut, und sie drückte die Kartoffel, die sie gerade aufgehoben hatte, so fest, dass sich ihre Nägel in die Schale bohrten.
»Dummes, dummes, gemeines, böses Mistvieh!«
»Wer?«, sagte eine Stimme hinter ihr. Erschrocken fuhr sie herum und feuerte mit der Kartoffel auf den Eindringling, der sich als Roger entpuppte. Sie traf ihn mitten auf die Stirn, und er klammerte sich stolpernd an den Türrahmen.
»Au! Himmel! Au! Was zum Teufel ist denn hier los?«
»Waschbär«, antwortete sie knapp und trat einen Schritt zurück, so dass das schwindende Licht von der Tür her den Schaden beleuchten konnte.
»Er hat sich den Ahornsirup geschnappt? So ein Ärger! Hast du den Schuft erwischt?« Eine Hand an seine Stirn gepresst, betrat Roger gebückt den Vorratsschuppen und sah sich nach pelzigen Tierleichen um.
Es tröstete sie ein wenig zu sehen, dass ihr Mann sowohl dieselben Prioritäten hatte wie sie als auch die gleiche Entrüstung an den Tag legte.
»Nein«, sagte sie. »Er hat die Flucht ergriffen. Blutest du? Und wo ist Jem?«
»Ich glaube nicht«, sagte er. Er zog vorsichtig die Hand von seiner Stirn und sah sie an. »Au. Du hast ’ne ordentliche Vorhand, Kleine. Jem ist bei den McGillivrays. Lizzie und Mr. Wemyss haben ihn zu Sengas Verlobungsfeier mitgenommen.«
»Wirklich? Wen hat sie denn ausgewählt?« Ihre Entrüstung und ihr Bedauern wichen spontan der Neugier. Mit deutscher Gründlichkeit hatte Ute McGillivray die Lebenspartner ihres Sohnes und ihrer drei Töchter sorgsam nach ihren eigenen Kriterien ausgesucht – wobei Land, Geld und Respektabilität am meisten zählten und Alter, Aussehen und Charme ziemlich am Ende der Liste standen. Es war kaum überraschend, dass ihre Kinder andere Pläne hatten – doch Utes Charakter war eine solche Naturgewalt, dass sowohl Inge als auch Hilde Männer geheiratet hatten, die ihren Vorstellungen entsprachen.
Senga jedoch war die Tochter ihrer Mutter – was bedeutete, dass sie ähnlich feste Überzeugungen besaß und einen ähnlichen Mangel an Zurückhaltung, wenn es darum ging, diese auszudrücken. Seit Monaten schwankte sie schon zwischen zwei Freiern: Heinrich Strasse, einem schneidigen, aber armen jungen Mann – und dazu Lutheraner! – aus Bethania, und Ronnie Sinclair, dem Küfer. Ein wohlhabender Mann, gemessen am Standard von Fraser’s Ridge, und für Ute stellte die Tatsache, dass er dreißig Jahre älter war als Senga, kein Hindernis dar.
Senga McGillivrays Eheschließung war in den letzten Monaten Gegenstand heftigster Spekulationen in Fraser’s Ridge gewesen, und Brianna wusste von mehreren substantiellen Wetten, die auf ihren Ausgang abgeschlossen worden waren.
»Also, wer ist der Glückliche?«, wiederholte sie.
»Mrs. Bug weiß es nicht, und es treibt sie zum Wahnsinn«, erwiderte Roger und grinste breit. »Manfred McGillivray hat sie gestern Morgen abgeholt, aber Mrs. Bug war noch nicht im Haus, also hat Lizzie eine Notiz an die Hintertür geheftet, auf der stand, wohin sie gegangen waren – aber sie hat nicht daran gedacht zu erwähnen, wer der glückliche Bräutigam ist.«
Brianna warf einen Blick auf die sinkende Sonne, deren Scheibe selbst bereits aus dem Sichtfeld gesunken war, wenn auch die Strahlen, die zwischen den Kastanien hindurchfielen, den Hof noch erleuchteten und das Frühlingsgras wie dicken, weichen Smaragdsamt wirken ließen.
»Dann müssen wir wohl bis morgen warten, bevor wir es herausfinden«, sagte sie bedauernd. Bis zu den McGillivrays waren es gut fünf Meilen; es würde lange dunkel sein, bevor sie dort ankamen, und selbst nach der Schneeschmelze wanderte man nachts nicht ohne guten Grund in den Bergen umher – oder zumindest nicht, wenn man keinen besseren Grund hatte als bloße Neugier.
»Aye. Möchtest du im Haupthaus zu Abend essen? Major MacDonald ist da.«
»Oh, der.« Sie überlegte einen Moment. Sie hätte gern gehört, was für Neuigkeiten der Major mitbrachte – und es hatte seinen Reiz, wenn Mrs. Bug das Essen machte. Andererseits war ihr nach zwei trostlosen Tagen, einem langen Ritt und dem Überfall auf ihre Vorratskammer nicht nach Geselligkeit zumute.
Ihr wurde bewusst, dass Roger es sorgfältig vermied, seine eigene Meinung beizusteuern. Mit einem Arm gegen das Regal gelehnt, auf dem der schrumpfende Vorrat an Winteräpfeln ausgebreitet lag, liebkoste er beiläufig eine der Früchte und strich ihr mit dem Zeigefinger langsam über die runde gelbe Wange. Er sandte schwache, vertraute Vibrationen aus, die lautlos andeuteten, dass ein Abend zu Hause seine Vorteile haben könnte, ohne Eltern, Bekannte – oder das Baby.
Sie lächelte Roger an.