»Was macht dein armer Kopf?«
Er musterte sie kurz, und die verblassenden Sonnenstrahlen vergoldeten seinen Nasenrücken und ließen seine Augen grün aufblitzen. Er räusperte sich.
»Du könntest ihn vielleicht küssen«, schlug er zögerlich vor. »Wenn dir danach wäre.«
Sie stellte sich gehorsam auf die Zehenspitzen, strich ihm das dichte, schwarze Haar aus der Stirn und küsste sie sanft. Er hatte eine merkliche Beule, auch wenn sie sich noch nicht verfärbte.
»Ist es so besser?«
»Noch nicht. Versuch’s besser noch einmal. Vielleicht etwas tiefer?«
Seine Hände ließen sich auf der Rundung ihrer Hüften nieder, und er zog sie an sich. Sie war fast genauso groß wie er; ihr war schon öfter aufgefallen, wie gut sie zueinander passten, aber jetzt kam ihr diese Erkenntnis erneut mit Nachdruck. Sie wand sich sacht vor Vergnügen, und Roger holte tief und rasselnd Luft.
»Nicht ganz so tief«, sagte er. »Jedenfalls noch nicht.«
»Ganz schön wählerisch«, sagte sie geduldig und küsste ihn auf den Mund. Seine Lippen waren warm, doch der Geruch bitterer Asche und feuchter Erde haftete an ihm – genau wie an ihr –, und sie erschauerte ein wenig und wich zurück.
Er ließ seine Hand leicht auf ihrem Rücken liegen, langte mit der anderen an ihr vorbei und fuhr mit dem Finger über die Kante des Bordes, auf dem der Ahornsirup umgekippt war. Er strich ihr sacht mit dem Finger über die Unterlippe, dann sich selbst. Er beugte sich erneut vor, um sie zu küssen, und Süße stieg zwischen ihnen auf.
»Ich weiß gar nicht mehr, wann ich dich das letzte Mal nackt gesehen habe.«
Sie kniff ein Auge zu und sah ihn skeptisch an.
»Vor ungefähr drei Tagen. War wohl keine bleibende Erinnerung.« Es war eine große Erleichterung gewesen, die Kleider abzulegen, die sie während der letzten drei Tage und Nächte getragen hatte. Doch selbst nackt und nach einer hastigen Wäsche roch sie noch Staub in ihrem Haar und spürte den Schmutz der Reise zwischen ihren Zehen.
»Oh, nun ja, aye. Das meine ich aber nicht – ich meine, es ist lange her, dass wir bei Tageslicht miteinander geschlafen haben.« Er lag ihr zugewandt auf der Seite und lächelte, während er mit der Hand sacht über die Rundungen ihrer Taille und Hüfte fuhr. »Du hast ja keine Ahnung, wie schön du so aussiehst, splitternackt mit der Sonne im Rücken. Pures Gold, als hätte man dich hineingetaucht.«
Er zwinkerte mit einem Auge, als ob ihn der Anblick benommen machte. Sie bewegte sich, und die Sonne schien ihm ins Gesicht und ließ sein offenes Auge wie einen Smaragd glitzern, bevor er es den Bruchteil einer Sekunde später zukniff.
»Mmm.« Sie streckte gemächlich die Hand aus und zog seinen Kopf an sich, um ihn zu küssen.
Sie wusste, was er meinte. Es war ein merkwürdiges Gefühl – beinahe verrucht, auf eine angenehme Art und Weise. Meistens liebten sie sich nachts, wenn Jemmy schlief, und flüsterten in den Schatten des Kaminfeuers miteinander, suchten einander unter den raschelnden, verborgenen Lagen der Quilts und ihrer Nachtwäsche. Und Jemmy schlief zwar normalerweise, als hätte man ihn mit der Axt betäubt, doch sie waren sich des kleinen, tief atmenden Hügelchens unter der Decke seines Rollbetts stets bewusst.
Merkwürdigerweise war sie sich Jemmys jetzt, da er nicht da war, genauso bewusst. Es war ein seltsames Gefühl, von ihm getrennt zu sein; nicht ständig genau zu wissen, wo er war, ihn nicht als kleine, äußerst bewegliche Erweiterung ihres Körpers zu spüren. Diese Freiheit versetzte sie in ein Hochgefühl, auf das Beklommenheit folgte, als hätte sie etwas Kostbares verlegt.
Sie hatten die Tür offen gelassen, um die Flut aus Licht und Luft auf ihrer Haut zu genießen. Doch die Sonne war jetzt fast untergegangen, und die Luft glomm zwar noch wie Honig, doch es lag ein kühler Schatten darin.
Ein plötzlicher Windstoß schüttelte die Ölhaut, die vor das Fenster genagelt war, wehte durch das Zimmer und knallte dann die Tür zu, so dass sie sich abrupt im Dunkeln wiederfanden.
Brianna schnappte nach Luft. Roger grunzte überrascht und schwang sich aus dem Bett, um die Tür zu öffnen. Er stieß sie weit auf, und Brianna schluckte die Frische der Luft und des Sonnenscheins. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie den Atem angehalten hatte, als die Tür zuschlug, und sich einen Moment lang gefühlt hatte wie in einer Gruft.
Roger schien das Gleiche zu empfinden. Er stand in der Tür, an den Rahmen gelehnt, und ließ den Wind durch seine dunklen, gelockten Körperhaare fahren. Sein Haar war nach wie vor zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden; er hatte sich nicht die Mühe gemacht, es zu lösen, und sie verspürte das plötzliche Verlangen, hinter ihn zu treten, das Lederband aufzuknoten und ihre Finger durch die weiche, glänzende Schwärze gleiten zu lassen, das Erbe eines Spaniers, der vor langer Zeit bei den Kelten Schiffbruch erlitten hatte.
Sie war auf den Beinen und tat es, noch bevor sie sich bewusst dazu entschlossen hatte, und kämmte ihm mit den Fingern winzige gelbe Weidenkätzchen und Zweige aus den Locken. Er erschauerte, unter ihrer Berührung oder der des Windes, doch sein Körper war warm.
»Du bist gebräunt wie ein Bauer«, sagte sie. Sie hob ihm das Haar aus dem Nacken und küsste ihn auf den Knochen in seinem Genick.
»Ach was. Bin ich denn kein Bauer?« Seine Haut zuckte unter ihren Lippen wie das Fell eines Pferdes. Sein Gesicht, sein Hals und seine Unterarme waren den Winter über blasser geworden, waren aber immer noch dunkler als die Haut auf Rücken und Schultern – und rings um seine Taille war eine schwache Linie zu sehen, die die Grenze zwischen der sanften Lederfarbe seines Oberkörpers und der überraschenden Blässe seines Hinterteils markierte.
Sie nahm genüsslich seine runden, festen Pobacken in die Hände, und er atmete tief durch und lehnte sich rückwärts an sie, so dass sich ihre Brüste an seinen Rücken drückten, ihr Kinn auf seiner Schulter ruhte und sie an ihm vorbeisehen konnte.
Es herrschte immer noch eine Spur von Tageslicht. Die letzten langen Lichtschäfte der sinkenden Sonne fielen zwischen den Kastanien hindurch, deren zartes Frühlingsgrün von kaltem Feuer entflammt wurde und hoch über den länger werdenden Schatten leuchtete. Der Abend war nah, aber es war Frühling; die Vögel plapperten und flirteten noch. Eine Nachtigall sang in der Nähe im Wald, ein Medley aus Trillerlauten, fließenden Melodien und komischen Jaulgeräuschen, die sie von Claires Kater gelernt haben musste, dachte Brianna.
Die Luft wurde jetzt frisch, und Gänsehaut überzog ihre Arme und Oberschenkel, doch Rogers Körper lehnte warm an ihr. Sie schlang die Arme um seine Taille und ließ die Finger einer Hand beiläufig mit seinen kurzen Locken spielen.
»Was siehst du da?«, fragte sie leise, denn er hatte den Blick auf das gegenüberliegende Ende des Hofes gerichtet, wo der Weg aus dem Wald kam. Die Mündung des Weges lag kaum sichtbar im Schatten der dunklen Kiefern – doch sie war leer.
»Ich halte Ausschau nach einer Schlange, die uns Äpfel bringt«, sagte er und lachte, dann räusperte er sich. »Hast du Hunger, Eva?« Er ließ die Hand sinken, um sie mit der ihren zu verschränken.
»Ich arbeite daran. Und du?« Er musste am Verhungern sein; sie hatten mittags nur eilig eine Kleinigkeit gegessen.
»Aye, habe ich, aber –« Er brach zögernd ab, und seine Finger hielten die ihren fester. »Du hältst mich bestimmt für verrückt, aber – würde es dir etwas ausmachen, wenn ich Jem heute Abend noch hole, anstatt bis morgen zu warten? Ich würde mich einfach wohler fühlen, wenn wir ihn zurückhätten.«
Sie drückte ihm zur Erwiderung die Hand, und ihr Herz wurde leichter.
»Wir gehen zusammen. Es ist eine tolle Idee.«
»Das mag sein, aber es sind fast fünf Meilen bis zu den McGillivrays. Es wird stockdunkel sein, wenn wir dort ankommen.« Doch er lächelte, und sein Körper streifte ihre Brüste, als er sich zu ihr umdrehte.
Vor ihrem Gesicht bewegte sich etwas, und sie fuhr heftig zurück. Eine winzige Raupe, leuchtend grün wie die Blätter, von denen sie sich ernährte, richtete sich vor Rogers dunklen Haaren S-förmig auf und sah sich vergeblich nach einer Zuflucht um.