»Achtung! rief Kapitän Hull, stoßt nicht vergeblich zu! Zielt gut, Jungens! Alles fertig, Howick?
– Alles, Herr, antwortete der Hochbootsmann, aber eins gefällt mir nicht, daß die Bestie, nachdem sie zuerst so rasch entfloh, jetzt so ruhig geworden ist.
– Das kommt mir selbst verdächtig vor, Howick.
– Seien wir also auf unserer Hut!
– Ja wohl, aber vorwärts müssen wir!«
Der Kapitän wurde nach und nach hitziger.
Das Boot glitt noch näher heran. Der Jubart drehte sich nur langsam auf der Stelle. Der junge Walfisch war noch nicht nachgekommen; vielleicht suchte er ihn zu finden.
Plötzlich machte er eine Bewegung mit dem Schweife, die ihn um dreißig Schritte entfernte.
Schickte er sich noch einmal zu fliehen an und sollte diese endlose wilde Jagd über das Wasser zum zweiten Male beginnen?
»Achtung! rief Kapitän Hull, der Walfisch holt zum Angriff aus und wird sich auf uns stürzen! Leg’ um, Howick, weich aus!«
In der That hatte sich der Jubart so gewendet, daß er der Jolle gerade gegenüber stand. Dann peitschte er das Meer mit seinen gewaltigen Flossen und schoß pfeilschnell vorwärts. Der Hochbootsmann hatte diesen directen Angriff vorausgesehen und steuerte so geschickt, daß der Jubart an der Jolle vorüberflog, ohne diese jedoch zu berühren.
Kapitän Hull und die beiden Matrosen brachten ihm mit den Lanzen drei kräftige Stiche bei, wobei sie möglichst lebenswichtige Organe desselben zu treffen suchten.
Der Jubart hielt an, spritzte zwei Säulen mit blutgetränktem Wasser hoch empor und wendete sich auf’s Neue gegen das Boot, indem er wüthend halb aus dem Wasser heraussprang.
Es gehörten wahrlich so geübte und beutegierige Fischer dazu, wie die Leute vom »Pilgrim« es waren, um hierbei den Kopf nicht zu verlieren.
Howick wich auch diesem Angriffe kaltblütig aus und lenkte die Jolle rechtzeitig zur Seite.
Noch einmal brachten die Anderen dem Jubart drei weitere Lanzenstiche bei. Im Vorüberschwimmen schlug er aber das Wasser so furchtbar mit dem riesigen Schweife, daß eine ungeheure Woge sich erhob, welche überstürzend die Jolle halb mit Wasser füllte.
»Die Eimer! Die Eimer!« rief Kapitän Hull.
Die beiden letzten Matrosen verließen die Ruder und beeilten sich, das Boot auszuschöpfen, während Kapitän Hull die jetzt offenbar überflüssig gewordene Leine kappte.
Nein, das durch den Schmerz vor Wuth aufschäumende Thier dachte gar nicht daran, zu fliehen. Im Gegentheil, es wiederholte seine Angriffe, welche dem Boote gefährlich zu werden drohten.
Zum dritten Male kehrte es zurück und stürmte gegen die Jolle an. Das vom Wasser noch immer zum Theil erfüllte Boot vermochte nicht mehr so schnell wie vorher auszuweichen – wie würde es dem drohenden Stoße nun entgehen können? Wenn es dem Steuer nicht mehr gehorchte, so konnte es natürlich noch weniger eilig entfliehen.
Doch so schnell die Ruder es auch je hätten treiben können, der furchtbare Jubart hätte es allemal mit einigen Bewegungen eingeholt. Jetzt handelte es sich also nicht mehr darum, anzugreifen, sondern nur, sich zu vertheidigen.
Kapitän Hull erkannte das recht gut.
Schon der dritte Angriff konnte nicht mehr ordentlich parirt werden.
Im Vorüberstreichen glitt die enorme Rückenflosse desselben über die Jolle hin, und das mit solcher Gewalt, daß Howick von seiner Bank gestürzt ward.
In Folge der heftigen Bewegungen des Bootes verfehlten die drei Lanzen diesmal ihr Ziel.
»Howick! Howick! rief Kapitän Hull, der selbst Mühe gehabt hatte, sich an seiner Stelle zu erhalten.
– Hier!« antwortete der Hochbootsmann, sich erhebend.
Da bemerkte er aber, daß sein Riemen beim Fallen mitten entzwei gebrochen war.
»Ein anderes Ruder! befahl Kapitän Hull.
– Ist zur Hand!« erwiderte Howick.
In diesem Augenblicke entstand im Wasser, einige Faden entfernt, ein Schäumen und Tosen.
Der junge Walfisch kam wieder zum Vorschein. Der Jubart sah denselben und schwamm auf ihn zu.
Dieser Zustand mußte dem Kampfe nothwendiger Weise einen noch gefährlicheren Charakter verleihen. Der Jubart wehrte sich nun für zwei.
Kapitän Hull blickte nach der Seite des »Pilgrim« hinaus und bewegte kräftig die Gaffel, an der der Wimpel hing.
Was konnte Dick Sand jetzt beginnen, was er nicht schon auf das erste Signal des Kapitäns hin gethan hätte? Die Segel des »Pilgrim« waren gerichtet und langsam begann der Wind sie zu schwellen. Zum Unglück besaß die Goëlette keine Schraube, deren Wirkung man hätte steigern können, um ihren Lauf zu beschleunigen. Ein weiteres Boot in’s Meer hinabzulassen und dem Kapitän mit Hilfe der Neger zur Unterstützung zu eilen, wäre ohne beträchtlichen Zeitverlust auch nicht möglich gewesen, und zudem hatte der Leichtmatrose Ordre, das Schiff nicht zu verlassen, es möchte geschehen, was da wolle. Doch ließ er für jeden Fall das Boot am Stern von seinen Davids herunter und schleppte es im Wasser nach, damit der Kapitän und seine Begleiter sich in dasselbe retten könnten, wenn es nothwendig wäre.
Der Jubart, der jetzt sein Junges mit dem eigenen Körper deckte, war wieder gefechtsbereit und schien noch einmal direct auf die Jolle losgehen zu wollen.
»Achtung, Howick!« rief Kapitän Hull zum letzten Male.
Der Hochbootsmann war aber schon so zu sagen entwaffnet. Statt eines Hebels, der durch seine Länge kräftiger wirkte, hielt er jetzt nur ein verhältnißmäßig kurzes Ruder in der Hand.
Er versuchte eine andere Richtung einzuschlagen.
Es erschien ihm unmöglich.
Die Matrosen sahen ein, daß sie verloren waren. Alle erhoben sich und stießen einen entsetzlichen Schrei aus, der vielleicht auf dem »Pilgrim« gehört werden konnte..
Ein furchtbarer Schlag mit dem Schweife des Ungeheuers traf die Jolle von unten her.
Mit unwiderstehlicher Gewalt in die Höhe geschleudert, stürzte das Boot in die durch die Bewegungen des Thieres entsetzlich aufgeregten Wogen zurück.
Die unglücklichen Matrosen hätten trotz ihrer schweren Verwundungen wohl noch die Kräfte gehabt, sich entweder schwimmend oder durch Erfassen eines Stückes Holz eine Zeit lang zu erhalten.
Auch versuchte das der Kapitän, der sogar noch den Hochbootsmann in ähnlicher Weise zu retten suchte. Doch noch einmal drehte der wüthende Jubart um, stürzte sich mitten in den schrecklichen Todeskampf der Leute und peitschte mit dem gewaltigen Schweife die Wogen, zwischen denen die Unglücklichen schwammen.
Einige Minuten lang sah man nichts Anderes als eine schaumige Trombe, welche strahlenförmig nach allen Seiten aufschoß.
Das Boot vermochte nicht so schnell auszuweichen. (S. 86.)
Eine Viertelstunde später, als Dick Sand, der mit den Schwarzen in ein Boot gesprungen war, den Schauplatz der Katastrophe erreichte, waren alle lebenden Wesen verschwunden und nichts mehr übrig als einzelne Trümmer der Jolle, welche auf dem blutgerötheten Wasser trieben.
Fußnoten
1 Eine Kabellänge, d.i. ein specielles Seemaß, umfaßt eine Länge von 120 Faden, gleich 200 Meter.
Neuntes Capitel.
Käpitan Sand.
Der erste Eindruck, den die Passagiere des »Pilgrim« angesichts dieser schauerlichen Katastrophe hatten, war der des Mitleids und des Schreckens.
Es stürzte in die aufgeregten Wogen. (S. 87.)
Sie dachten zunächst an nichts Anderes als an den schrecklichen Tod des Kapitän Hull und seiner fünf Seeleute. Jene entsetzliche Scene spielte sich ja sozusagen unter ihren Augen ab, ohne daß sie im Stande gewesen wären, etwas zur Rettung zu unternehmen. Sie vermochten ja nicht einmal rechtzeitig einzutreffen, um ihre unglücklichen verwundeten Gefährten aufzunehmen und den festen Rumpf des »Pilgrim« den furchtbaren Schlägen des Jubart entgegenzustellen. Kapitän Hull und seine Leute waren auf Nimmerwiedersehen verschwunden.