Auch Mrs. Weldon lobte die wackeren Leute.
Selbst der kleine Jack erhielt seinen Antheil, denn er hatte ganz hübsch mitgearbeitet.
»Ich glaube sogar, bemerkte Herkules lächelnd, daß Sie es waren, der das Jölltau zerrissen hat! Was für eine hübsche kleine Faust Sie doch haben! Ohne Sie hätten wir doch nichts Ordentliches zu Stande gebracht!«
Der kleine Jack schüttelte, ganz stolz über dieses Lob, die Hand seines Freundes Herkules nach Kräften.
Noch war die Besegelung des »Pilgrim« nicht ganz vollständig. Es fehlten ihm noch die obersten Segel, deren Mitwirkung bei günstigem Seitenwinde nicht zu unterschätzen ist. Wenn die Brigg-Goëlette auch noch ihr Bram-, Top-und Stagsegel führte, konnte sie nur an Fahrgeschwindigkeit gewinnen, und Dick Sand beschloß, jene noch beizusetzen.
Die Ausführung dieses Vorhabens war freilich viel schwieriger als die früheren Manöver, wenn auch nicht bezüglich der Stagsegel, die man von unten aus hissen, reesen und befestigen konnte, wohl aber für die oberen viereckigen Segel des Fockmastes. Um sie zu entfalten, mußte man bis zu den Raaen derselben klettern, und da Dick Sand Niemand von seiner improvisirten Mannschaft in Gefahr bringen wollte, unterzog er sich dieser Arbeit selbst.
Er rief also Tom herbei und stellte ihn am Steuer an, indem er ihm zeigte, wie er das Schiff halten sollte. Dann wurden Herkules, Bat, Acteon und Austin an ihre Plätze gewiesen, die Einen an die Jölltaue des Top-, die Anderen an die Taue des Bramsegels, während Dick selbst in die Takelage kletterte. Die Wanten und Putings des Fockmastes, dann die der Bramstange zu ersteigen und auf die Raaen hinaus zu gleiten, das war für den jungen Leichtmatrosen nur ein Spiel.
Binnen einer Minute befand er sich schon auf der Laufleine der Raa des Topsegels und löste die Seisinge, welche dasselbe hielten. Dann begab er sich nach der Marsraa, befestigte dort die unteren Enden jenes Segels und knüpfte das Bramsegel los.
Nach Beendigung dieser Arbeit ergriff er die Pardunen des Steuerbords und glitt wieder auf’s Deck nieder.
Der kleine Jack schüttelte die Hand seines Freundes Herkules. (S. 103.)
Dort wurden die beiden Segel seiner Anordnung nach fest gemacht und vollends richtig gestellt. Als dann noch die Stagsegel zwischen Groß- und Fockmast gehißt waren, hatte das Schiff all’ seine Leinwand entfaltet.
Herkules zerriß und zerbrach dieses Mal nichts.
Dick Sand hätte nun höchstens noch die Beisegel an Backbord ansetzen können, doch erschien das unter den obwaltenden Umständen selbst schon zu schwierig, und vorzüglich wäre man nicht im Stande gewesen, sie im Nothfalle schnell genug reesen zu können. Der Leichtmatrose sah also von der Beisetzung derselben ab.
Tom ward seines Postens am Steuer wieder enthoben und Dick Sand nahm diesen aufs Neue wieder ein. Die Brise frischte etwas auf.
Der »Pilgrim« neigte ein wenig nach Steuerbord über und glitt jetzt schnell über das Wasser dahin, wobei er einen sehr glatten Streifen Kielwasser, als Beweis der Richtigkeit seiner Constructionslinien, hinter sich zurückließ.
»Jetzt wären wir ja auf recht gutem Wege, Mistreß Weldon, sagte Dick Sand, nun gebe Gott, daß dieser günstige Wind aushält.«
Mrs. Weldon drückte dem jungen Leichtmatrosen die Hand.
Dann zog sie sich, erschöpft von der Aufregung der letzten Stunden, nach ihrer Cabine zurück und verfiel in eine Art schmerzliche Betäubung, welche man Schlaf nicht wohl nennen konnte.
Die neue Schiffsmannschaft verblieb auf dem Deck der Brigg-Goëlette und lugte wachsam über das Vordercastell hinaus, bereit, Dick Sand’s Befehlen zu gehorchen, d.h. die Stellung der Segel, je nach den Veränderungen des Windes zu besorgen; so lange die Brise die jetzige Richtung und Stärke beibehielt, war ja absolut nichts zu thun.
Was trieb denn nun Vetter Benedict während dieser Zeit?
Vetter Benedict war damit beschäftigt, unter der Loupe ein kleines Gliederthierchen zu studiren, das er endlich an Bord entdeckt hatte, eine einfache Orthoptere, deren Kopf unter dem Prothorax vollständig verschwand, ein Insect, mit flachen Flügeldecken, rundlichem Leibe und langen Flügeln, das der Familie der Motten, und zwar der amerikanischen Motten angehörte.
Bei Durchsuchung der Küche Negoro’s hatte er diesen für ihn kostbaren Fund gemacht, als der Küchenmeister eben das genannte Insect unbarmherzig tödten wollte, was den Gelehrten nicht wenig zornig machte, während Negoro sich darum nicht im Geringsten zu kümmern schien.
Wußte denn Vetter Benedict aber von den Veränderungen an Bord seit der Zeit, da Kapitän Hull mit seinen Leuten sich nach der so verderblichen Jagd auf den Jubart vom Schiffe wegbegab? Ohne Zweifel. Er befand sich ja selbst auf dem Deck, als der »Pilgrim« in die Gegend kam, wo die Trümmer der Jolle umherschwammen. Die Mannschaft der Brigg-Goëlette war also unter seinen Augen umgekommen.
Wollte man behaupten, dieser Unglücksfall hätte ihn nicht schmerzlich berührt, so träte man seinem guten Herzen gewiß zu nahe. Jenes Mitleid für seinen Nächsten, das Jedermann fühlt, ging ihm sicherlich nicht ab. Auch die Situation, in welche seine Cousine hierdurch gerieth, war für ihn sehr peinlich. Er hatte Mrs. Weldon selbst einmal die Hand gedrückt, wie um sagen zu wollen: »Fürchten Sie sich nicht! Ich bin ja hier! Ich bleibe hier!«
Dann war auch Vetter Benedict in seine Cabine zurückgekehrt, jedenfalls um die Folgen dieses entsetzlichen Zwischenfalles und die Maßregeln zu überlegen, welche unter diesen Umständen zu ergreifen wären.
Auf seinem Wege entdeckte er die bewußte Motte, und da seine Absicht dahin ging, zu beweisen, daß diese Mottenart, welche sich schon durch ihre auffälligen Farben auszeichnet, ganz andere Gewohnheiten habe als andere Arten – wogegen übrigens manche Entomologen streiten – so vertiefte er sich eiligst in das Studium derselben, worüber er eben so schnell vergaß, daß ein Kapitän Hull den »Pilgrim« commandirt hatte, und daß jener mit seiner Mannschaft elend umgekommen sei. Die Motte erfüllte alle seine Gedanken! Er bewunderte dieselbe nicht weniger und machte ebensoviel Aufhebens davon, als ob dieses jämmerliche Insect ein wahrer Goldkäfer gewesen wäre.
Das Leben an Bord nahm also wieder seinen gewöhnlichen Verlauf, obwohl Jedermann noch lange Zeit den schmerzlichen Eindruck jener traurigen und unerwarteten Katastrophe empfand.
Im Laufe dieses Tages mußte Dick Sand sich wirklich verdoppeln und Jedem seinen Platz anweisen, um gegen alle Vorfälle gerüstet zu sein. Die Neger kamen seinen Anordnungen voll Eifer nach. An Bord des »Pilgrim« herrschte die musterhafteste Ordnung. Man durfte sich also der Hoffnung hingeben, daß Alles noch glücklich ablaufen werde.
Negoro seinerseits machte keinen weiteren Versuch, sich der Autorität Dick Sand’s zu widersetzen. Er schien diese schweigend anzuerkennen. Da ihn seine Beschäftigung wie immer in der engen Küche zurückhielt, sah man ihn auch nicht häufiger als früher. Uebrigens war Dick Sand entschlossen, jenen beim geringsten Widerspruch, beim ersten Zeichen der Insubordination in den Raum des Schiffes für den Rest der Fahrt einzusperren. Auf das leiseste Zeichen von ihm hätte Herkules den Küchenmeister am Halse gepackt und unschädlich gemacht. In diesem Falle hätte Nan, welche ja die Küche verstand, die Functionen des Küchenmeisters übernommen. Negoro mußte sich also sagen, daß er keineswegs unentbehrlich sei, und da man ein scharfes Auge auf ihn hatte, schien er sich Mühe zu geben, jeden berechtigten Vorwurf von sich abzuhalten.
Der Wind nahm bis gegen Abend noch etwas zu, machte aber keinerlei Veränderung in der Segelstellung des »Pilgrim« nothwendig.
Während der Nacht pflegt man meistens die Segel etwas zu mindern und vorzüglich die höchsten derselben mindestens zu reesen. Es ist das ein Gebot der Klugheit, weil ein Schiff unversehens von einer starken Böe überrascht werden kann. Dick Sand glaubte aber, sich für heute dieser Vorsicht entschlagen zu können. Der ganze Zustand der Atmosphäre erschien nach keiner Seite drohend und überdies gedachte der junge Leichtmatrose diese erste Nacht auf dem Deck zu bleiben, aber auf Alles ein wachsames Auge zu haben. Ihm kam es vor Allem darauf an, möglichst schnell zu segeln, um bald in weniger verlassene Gegenden zu kommen.