Schweigend blieb Negoro eine halbe Stunde stehen. (S. 118.)
Dazu fiel die Barometersäule auch stets fast sofort wieder herab und nichts ließ das Ende dieser schlechten Witterung als nahe bevorstehend voraussehen.
Eben traf ein entsetzlicher Windstoß das Schiff. (S. 125.)
Gleichzeitig brachen wiederholt schwere Gewitter los, welche Dick Sand ernsthafte Unruhe einflößten. Zwei-oder dreimal schlug ein Blitzstrahl auf die Wogen, nur einige Kabellängen vom Schiffe entfernt, nieder. Dann floß der Regen in Strömen und es entstanden jene Wirbel aus halbcondensirten Dünsten, die den »Pilgrim« in dichten Nebel hüllten.
Der Mann auf Wache hatte manchmal ganze Stunden lang nicht die geringste freie Aussicht und man segelte nur auf gut Glück dahin.
Obwohl das Fahrzeug, wenn es auch tief im Wasser ging, wirklich furchtbar hin und her geworfen ward, so ertrug Mrs. Weldon doch dieses Rollen und Stampfen glücklicher Weise ohne größere Belästigung. Ihr kleiner Sohn hatte dadurch freilich sehr hart zu leiden und bedurfte immer ihrer sorgsamsten, mütterlichen Pflege.
Was Vetter Benedict betrifft, so war dieser nicht kränker als die amerikanischen Motten, denen er Gesellschaft leistete, und die er eben so ruhig studirte, als hätte er dabei in seinem stillen Stübchen in San Francisco gesessen.
Zum größten Glück erwiesen sich auch Tom und seine Gefährten sehr unempfänglich für die Seekrankheit und vermochten dem jungen Leichtmatrosen stets Hilfe zu leisten, welch’ Letzterer übrigens vollkommen an die regellosen Bewegungen eines vor dem Sturme fliehenden Schiffes gewöhnt war.
Der »Pilgrim« lief trotz seiner wenigen Segel sehr schnell und doch sah Dick Sand schon voraus, daß man auch diese noch werde vermindern müssen. Doch er wollte nichts ändern, so lange das ohne Gefahr anging. Seiner Schätzung nach konnte die Küste nicht mehr fern sein. Der Wachdienst wurde also mit größter Sorgfalt geübt. Der Leichtmatrose konnte sich außerdem nicht auf die Augen seiner Gefährten verlassen, wo es sich um die Erkennung der ersten Anzeichen des Landes handelte. Denn trotz des schärfsten Gesichtssinnes ist Derjenige, welcher nicht gewöhnt ist, den Meereshorizont zu beobachten, gänzlich außer Stande, vorzüglich bei nebliger Luft, die ersten schwachen Umrisse eines Landes zu erkennen. Dick Sand mußte also meist selbst den Wachdienst übernehmen und stieg sogar häufig in die Takelage, um besser Ausschau halten zu können. Noch verrieth sich jedoch keine Spur der amerikanischen Küste.
Das erregte seine Verwunderung, welche auch Mrs. Weldon aus einigen Worten, die ihm entschlüpften, bald errieth.
Es war am 9. März Der Leichtmatrose befand sich auf dem Vorderdeck, sandte bald einen prüfenden Blick über das Meer und den Himmel, bald nach der Bemastung des »Pilgrim«, welche unter dem Drucke des Windes arbeitete.
»Du siehst noch nichts, Dick? fragte sie, als jener einmal das Fernrohr von den Augen nahm.
– Nichts, Mistreß Weldon, nichts, antwortete der Leichtmatrose, und doch scheint sich der Horizont bei dem heftigen, offenbar noch weiter zunehmenden Winde etwas aufzuhellen.
– Und Deiner Ansicht nach, Dick, könnte die amerikanische Küste jetzt nicht mehr fern sein?
– Das ist unmöglich, Mistreß Weldon, und wenn mich etwas Wunder nimmt, so ist es nur das, daß sie noch außer Sicht ist.
– Das Schiff, fuhr Mrs. Weldon fort, hat doch stets gute Fahrt gemacht?
– Stets, seit der Wind nach Nordwesten räumte, antwortete Dick Sand, d.h. seit dem Tage, da wir unseren unglücklichen Kapitän und seine Mannschaft verloren. Das war am 10. Februar. Heut’ ist der 9. März, das ergiebt siebenundzwanzig Tage.
– In welcher Entfernung von der Küste befanden wir uns aber damals? fragte die Dame.
– Etwa viertausendfünfhundert Meilen, Mistreß Weldon. Wenn ich auch über manches Andere in Zweifel sein kann, so stehe ich doch für diese Zahl bis auf zwanzig Meilen ab und zu ein.
– Und wie groß war die Schnelligkeit des Schiffes?
– Seit der Wind auffrischte, im Mittel hundertachtzig Meilen, erwiderte der Leichtmatrose. Ich selbst bin zwar erstaunt, noch nicht in Sicht des Landes zu sein, doch noch auffälliger erscheint es, daß wir noch keinem einzigen Schiffe begegneten, welche diese Gegenden doch so häufig besuchen.
– Solltest Du Dich bei der Abschätzung der Schnelligkeit nicht getäuscht haben, Dick?
– Nein, Mistreß Weldon, hierbei gewiß nicht. Jede halbe Stunde wurde das Log ausgeworfen, dessen Angaben ich sorgfältig notirte. Erlauben Sie, ich werde es sogleich auswerfen lassen, und Sie sollen sich überzeugen, daß wir jetzt mit der Schnelligkeit von zehn Meilen in der Stunde segeln, was für den Tag gar mehr als zweihundert Meilen ergäbe.«
Dick Sand rief Tom herbei und befahl ihm, das Log auszuwerfen – eine Arbeit, welche dem alten Neger jetzt vollkommen geläufig war.
Das mit dem Ende der Leine sorgfältig verknüpfte Instrument ward herbeigebracht und hinabgelassen.
Fünfundzwanzig Faden waren schon abgelaufen, als die Leine in Tom’s Hand plötzlich erschlaffte.
»O, Herr Dick! rief er.
– Was giebt’s, Tom?
– Die Leine ist gerissen!
– Gerissen! wiederholte Dick Sand, und das Log ist verloren!«
Der alte Tom zeigte das Ende der Leine, welches er in der Hand hielt.
Es war leider nur zu wahr. Der Knoten hatte sich nicht gelöst. Die Leine war in der Mitte zerrissen und doch bestand diese aus dem feinsten, besten Hause. Die Trossen mußten also an der Bruchstelle sehr abgenutzt sein. So war es in der That, wie Dick Sand sich überzeugen konnte, als er das Ende der Leine in der Hand hatte. Ob sie freilich durch den häufigen Gebrauch in diesen Zustand gekommen wären, das fragte sich der Leichtmatrose doch mit einigem Mißtrauen.
Auf jeden Fall blieb das Log jetzt verloren und Dick Sand besaß kein weiteres Mittel, die Fahrgeschwindigkeit des Schiffes mit einiger Genauigkeit zu messen. Sein ganzer Besitz an nautischen Instrumenten beschränkte sich auf einen einzigen Compaß, und er wußte nicht einmal, daß dessen Angaben falsch waren!
Mrs. Weldon sah, wie betroffen er über diesen Unfall war, und zog sich, um ihn nicht noch mehr zu bedrängen, schweren Herzens in ihre Cabine zurück.
Konnte aber die Geschwindigkeit des »Pilgrim«, und folglich auch der von ihm zurückgelegte Weg nicht mehr gemessen werden, so ließen sie sich doch leicht aus dem immer unverkürzten Kielwasserstreifen des Schiffes abschätzen.
Am nächsten Tage, dem 10. März, fiel das Barometer gar auf sechsundzwanzig zwei Zehntel Zoll (= 716 Mm.). Das war das Vorzeichen eines jener furchtbaren Windstöße, welche bis sechzig Meilen in der Stunde durcheilen.
Jetzt ward es dringend nöthig, noch einmal die Besegelung zu vermindern, um die Sicherheit des Schiffes nicht zu gefährden.
Dick Sand beschloß auch die Bramstange und die Gaffel einzunehmen und nur mit dem kleinsten Focksegel und dem dreimal gereesten Marssegel zu fahren.
Er rief Tom und seine Genossen, ihm bei dieser schwierigen Arbeit behilflich zu sein.
Die Zeit drängte, denn schon entfesselte sich der Sturm mit ungeheurer Gewalt.
Dick Sand, Austin, Acteon und Bat stiegen in die Takelage, während Tom am Steuer und Herkules auf dem Deck zurückblieb, um die Hißtaue zu lösen, wenn der Befehl dazu erging.
Nach vieler Anstrengung waren Gaffel und Bramstange herabgelassen, wobei die wackeren Leute wohl hundertmal Gefahr liefen, bei dem heftigen Rollen des Schiffes aus der Takelage in’s Meer gestürzt zu werden. Nachdem jene Rundhölzer herabgeschafft und der Fockmast gut befestigt war, trug die Brigg-Goëlette nur noch das kleinste Focksegel und das dreimal gereeste Marssegel.