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Trotz dieser außerordentlichen Verminderung der Segelfläche schoß der »Pilgrim« doch noch immer mit rasender Schnelligkeit dahin.

Am 12. nahm die Witterung ein noch gefährlicheres Aussehen an. Am Morgen dieses Tages bemerkte Dick Sand mit Schrecken, daß das Barometer bis auf fünfundzwanzig neun Zehntel Zoll (= 709 Mm.) gefallen war.

Hiermit kündigte sich aber ein so gewaltiger Sturm an, daß der »Pilgrim« auch die noch übrige Leinwand unmöglich tragen konnte.

Da Dick Sand einsah, daß sein Marssegel durch den Druck des Windes zerreißen mußte, gab er Befehl, dasselbe schleunigst einzuziehen.

Vergeblich. Eben traf ein entsetzlicher Windstoß das Schiff und sprengte das auf’s höchste gespannte Segel. Austin, der sich schon auf der kleinen Marsraa befand, erhielt von den Backbordschooten einen heftigen Schlag, konnte jedoch, trotz seiner zum Glück nur leichten Verwundung, das Deck wieder erreichen.

Dick Sand’s Besorgniß stieg; er hatte nur noch den einen Gedanken, daß das mit so toller Gewalt dahingetriebene Schiff jeden Augenblick in Trümmer gehen werde, da seiner Schätzung nach die Uferklippen nicht mehr fern sein konnten. Er begab sich deshalb wiederholt nach dem Vorderdeck, konnte aber nichts entdecken, was einem Lande ähnlich gesehen hätte, und kehrte also immer wieder zu dem Steuer zurück.

Da erschien auch Negoro noch einmal auf dem Verdeck. Plötzlich streckte derselbe, scheinbar wider Willen, den Arm nach einem Punkte des Horizontes hin aus. Man konnte glauben, er erkenne ein hohes Land durch den vorliegenden Nebel…

Noch einmal – dann lachte er boshaft auf und ging, ohne sich mit einem Worte über das, was er gesehen, zu äußern, nach dem Wohnraume der Mannschaft zurück.

Fußnoten

1 Die englischen und amerikanischen Barometer sind nach Zollen und Linien eingetheilt. 26#x00B7;7 Zoll entsprechen nahe 728 Mm.

Zwölftes Capitel.

Am Horizonte.

Am nämlichen Tage nahm der Sturm seine schrecklichste Gestalt, die eines wüthenden Orkanes, an. Der Wind hatte nach Südwest geräumt. Die Luft flog mit der Geschwindigkeit von neunzig Meilen (= gegen 166 Kilometer) in der Stunde dahin.

Das war in der That ein Orkan, einer jener entsetzlichen Wirbelstürme, welche alle Schiffe von den Rheden auf die Küste werfen, und denen selbst auf festem Lande auch die solidesten Bauten nicht zu widerstehen vermögen. Ein ähnlicher Orkan verwüstete z.B. Guadeloupe am 25. Juli 1825. Wenn damals schwere Vierundzwanzigpfünder von ihren Lafetten gehoben wurden, kann man sich wohl denken, was aus einem Schiffe werden mag, das keinen anderen Stützpunkt hat als das wilderregte Meer! Und doch, gerade seine leichte Beweglichkeit wird oft zu seinem Heile! Es giebt den Stößen des Windes nach und vermag dadurch, wenn es sonst solid construirt ist, der furchtbarsten Bewegung des Meeres zu trotzen. In dieser Lage befand sich der »Pilgrim«.

Wenige Minuten nach dem Zerreißen des Marssegels ging auch das kleine Focksegel in Stücke. Dick Sand mußte sogar auf die Beisetzung eines Sturmsegels verzichten, was deshalb so bedauerlich erschien, weil sich ein Schiff, welches noch dieses kleine Segel von sehr starker Leinwand führt, weit leichter regieren läßt.

Der »Pilgrim« lief jetzt also gänzlich ohne Segel, der Wind drückte aber noch gegen seinen Rumpf, die Masten und die wenige Takelage, und das reichte vollkommen aus, ihm eine ungeheure Geschwindigkeit zu ertheilen. Manchmal schien er aus den Wogen ganz und gar herauszutauchen, so daß er dieselben kaum noch streifte.

Unter diesen Verhältnissen wurde das Rollen des auf den furchtbaren Wasserbergen geschaukelten Schiffes wirklich erschreckend. Jeden Augenblick mußte man darauf gefaßt sein, eine fürchterliche Sturzwelle von rückwärts zu erhalten. Die riesigen Wogen liefen noch schneller als die Brigg-Goëlette und drohten über deren Hinterdeck zusammenzubrechen, wenn sie sich nicht rasch genug erhob. Es liegt hierin übrigens für jedes vor dem Sturm fliehende Fahrzeug eine nicht zu unterschätzende Gefahr.

Was war aber zu thun, einem solchen Unfalle vorzubeugen? Man vermochte dem »Pilgrim« auf keine Weise noch mehr Schnelligkeit zu geben, da auch das kleinste Stückchen Segel der Gewalt des Windes nicht widerstanden hätte. Nur der eine Versuch blieb übrig, ihn mittelst des Steuers, dessen Wirkung oft versagte, möglichst in günstiger Richtung zu erhalten.

Dick Sand verließ den Helmstock gar nicht mehr. Er hatte sich ein Tau mitten um den Leib geknüpft, um nicht durch irgend eine Sturzwelle weggerissen zu werden. Auch Tom und Bat hatten sich festgebunden und hielten sich zur Aushilfe stets in seiner Nähe auf. Herkules und Acteon klammerten sich an das Bätingsholz und lugten über das Vorderdeck hinaus.

Mrs. Weldon, der kleine Jack, Vetter Benedict und Nan blieben auf Anordnung des Novizen in den Cabinen des Schiffes. Mrs. Weldon hätte es freilich vorgezogen, mit auf dem Verdeck zu sein; Dick aber hatte sich diesem Wunsche ausdrücklich widersetzt; er wollte sie nicht ohne Noth irgend welcher Gefahr aussetzen.

Alle Luken waren hermetisch verschlossen worden. Man durfte hoffen, daß sie auch dem Aufschlag einer größeren Wassermasse noch Widerstand leisten würden. Gaben sie unglücklicher Weise unter dem Drucke der Sturzwellen nach, so konnte das Fahrzeug leicht kentern und untergehen. Zum Glück war die Ladung so gut verstaut, daß sie, trotz der Neigung nach der einen Seite, ihren sicheren Platz innebehielt.

Dick Sand hatte seine Ruhestunden noch weiter vermindert, so daß Mrs. Weldon fürchtete, er werde noch erkranken. Nur ihrem ernstlichen Zureden gelang es, daß er sich dann und wann einen kurzen Schlummer gönnte.

Als er sich in der Nacht vom 13. zum 14. März ein wenig niedergelegt hatte, ereignete sich unerwartet ein neuer Zwischenfall.

Tom und Bat befanden sich eben im Hintertheil des Schiffes, als Negoro, der sich auf diesem Theil des Decks sonst nur selten erblicken ließ, auf sie zukam, scheinbar in der Absicht, eine Unterhaltung anzuknüpfen; Tom und dessen Sohn gaben ihm jedoch keine Antwort.

Plötzlich stürzte Negoro bei einer heftigen Bewegung des Schiffes nieder und wäre wohl in’s Meer geschleudert worden, hätte er sich nicht am Compaßhäuschen festgehalten.

Tom stieß aus Furcht, daß die Boussole Schaden gelitten habe, einen lauten Schrei aus.

Dick Sand, welcher immer nur in halbem Schlummer lag, hörte denselben, eilte auf das Deck und lief nach dem Hintertheile.

Negoro hatte sich schon wieder erhoben, hielt aber das Eisenstück in der Hand, das er unter dem Compaß schnell weggenommen, und versteckte dasselbe, bevor Dick Sand es wahrnahm.

Lag es wohl in Negoro’s Interesse, daß die Magnetnadel jetzt wieder richtig wies? Ja wohl, denn die herrschenden Südwestwinde kamen ihm vortrefflich zu statten…

»Was giebt es hier? fragte der Leichtmatrose.

– Dieser unselige Koch ist eben auf die Boussole gefallen!« berichtete Tom.

Dick Sand, den diese Worte nicht wenig beunruhigten, beugte sich über das Compaßhäuschen… es war unversehrt und der durch die Seitenlampen erhellte Compaß schwebte noch immer in den beiden concentrischen Ringen.

Der junge Mann athmete erleichtert auf. Zerbrach diese einzige an Bord befindliche Boussole, so wäre das ja ein unersetzlicher Verlust gewesen.

Eines aber hatte Dick Sand nicht bemerken können, daß die Nadel, nämlich nach Wegnahme jenes Eisenstückes, jetzt wieder in normaler Richtung spielte und genau nach dem magnetischen Nordpol zeigte.

Konnte man Negoro auch gerade nicht verantwortlich machen für einen unglücklichen Fall, der ja völlig unfreiwillig erschien, so hatte Dick Sand doch alle Ursache, sich darüber zu verwundern, daß jener sich um diese Zeit überhaupt auf dem Hinterdeck aufhielt.