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»Was macht Ihr hier? fragte er ihn.

– Was mir beliebt, antwortete Negoro.

– Was sagt Ihr… rief Dick Sand, der seinen aufwallenden Zorn nur mit Mühe zurückhalten konnte.

– Ich sage nur, antwortete der Küchenmeister, daß es keine Vorschrift giebt, welche es verböte, auf dem Hinterdeck umherzugehen.

Der Leichtmatrose zog einen Revolver aus der Tasche. (S. 130.)

– Gut, doch diese Vorschrift ertheile ich hiermit, erwiderte Dick Sand, und verbiete Euch ein für allemal, diesen Theil des Schiffes zu betreten.

– Sehr schön!« entgegnete der Küchenmeister.

Unwillkürlich machte er, obwohl er sich sonst so vollkommen beherrschte, eine drohende Bewegung.

Der Leichtmatrose zog einen Revolver aus der Tasche und richtete ihn auf Negoro.

»Vergeßt nicht, Negoro, sagte er, daß diese Waffe mich niemals verläßt, und daß ich Euch bei der ersten Insubordination den Schädel zerschmettere!«

In diesem Augenblicke fühlte sich Negoro unwiderstehlich auf das Verdeck niedergedrückt.

Herkules hatte nur seine wuchtige Hand auf seine Schulter gelegt.

»Kapitän Sand, begann der Riese, wünschen Sie, daß ich den Schurken über Bord werfe? Das wäre ein leckerer Bissen für die Fische, die ja nicht so wählerisch sind!

– Noch nicht!« antwortete Dick Sand.

Negoro erhob sich wieder, als die Hand des Negers nicht mehr auf ihm lastete.

»Verdammter Schwarzer, murmelte er, als er an Herkules vorüberschlich, das sollst Du mir noch entgelten!«

Inzwischen wechselte der Wind, oder schien wenigstens um fünfundvierzig Grade umgesprungen zu sein. Dennoch zeigte das Meer zum großen Erstaunen des Leichtmatrosen keine dem entsprechende Veränderung. Das Schiff steuerte noch immer denselben Kurs, doch trafen es der Wind und die Wellen statt wie früher von rückwärts, jetzt an der Backbordseite – eine nicht minder gefährliche Lage, in der ein schwerer Seegang ein Schiff ernstlich in Gefahr bringen kann. Dick Sand war gezwungen, um fünfundvierzig Grade beidrehen zu lassen, um wieder vor dem Sturm zu laufen.

Seine Aufmerksamkeit war jetzt aber mehr denn je erregt worden. Er legte sich die Frage vor, ob zwischen dem Sturze Negoro’s und dem Zerbrechen des ersten Compasses doch nicht ein innerer Zusammenhang obwalte. Was hatte der Küchenmeister da, wo er ihn traf, wohl vorgehabt? Hatte er vielleicht irgend ein Interesse daran, die zweite Boussole auch außer Dienst gesetzt zu sehen? Welches Interesse konnte das wohl sein? Auf diese Frage mußte er sich freilich jede Antwort schuldig bleiben. Mußte Negoro nicht ebenso gut wie alle Uebrigen wünschen, möglichst bald die amerikanische Küste zu erreichen?

Als Dick Sand der Mrs. Weldon von jenem Auftritte sprach, vermochte diese, obwohl sie sein Mißtrauen vollkommen theilte, doch keinen annehmbaren Grund zu entdecken, der den Küchenmeister zu einem solchen verbrecherischen Unternehmen hätte veranlassen können.

Inzwischen wurde Negoro aus Klugheitsrücksichten streng überwacht. Letzterer leistete übrigens den Befehlen des Leichtmatrosen unverbrüchlichen Gehorsam und vermied es, sich auf dem Hinterdeck, wohin ihn sein Dienst niemals rief, blicken zu lassen. Hier ward zum Ueberfluß auch Dingo stets gehalten, und der Küchenmeister hütete sich wohl, ihm nahe zu kommen.

Während der ganzen Woche schwächte sich der Sturm nicht im Mindesten ab. Noch immer sank das Barometer. Vom 14. bis zum 26. März war es vollkommen unmöglich, während einer etwaigen Windpause einige Leinwand beizusetzen. Der »Pilgrim« flog nach Nordosten mit einer Schnelligkeit, welche wenigstens zweihundert Meilen in vierundzwanzig Stunden betragen mußte, aber kein Land kam in Sicht. Und dieses ersehnte Land war doch das große Amerika, das sich in einer Länge von mehr als hundertzwanzig Graden als riesige Scheidewand zwischen dem Atlantischen und dem Pacifischen Oceane hinstreckt.

Dick Sand frug sich, ob er noch bei rechtem Verstande sei, ob er noch ungetrübte Empfindungen besitze, ob er nicht ohne Wissen, vielleicht schon seit vielen Tagen in ganz falscher Richtung segle. Nein, in dieser Hinsicht konnte er sich nicht täuschen! Immer noch stieg die Sonne, wenn sie der Dunstmassen wegen auch nicht frei sichtbar wurde, vor ihm auf und ging sie hinter ihm unter. Aber war denn etwa das ganze Land verschwunden? Jenes Amerika, an dem sein Schiff vielleicht zerschellen sollte, wo lag es, wenn nicht in der von ihm bestimmten Richtung? Ob er nun auf den nördlichen oder südlichen Theil dieses großen Continentes zusteuerte – denn bei diesem Chaos war ja Alles möglich – so konnte der »Pilgrim« doch einen oder den anderen nicht verfehlen! Was war denn geschehen seit dem Ausbruche dieses entsetzlichen Unwetters? Was mochte noch vorgehen, da diese Küste, welche Aller Heil oder Aller Untergang zu werden drohte, nicht erschien?

Dick Sand mußte voraussetzen, daß er durch die Boussole, deren Angaben er wegen Mangels eines zweiten Compasses zu controliren außer Stande war, getäuscht worden sei. Und wirklich, diese Furcht beschlich ihn auch, da auf jene Weise allein die Abwesenheit des Landes erklärlich schien.

Wenn er also nicht am Steuer stand, verschlang Dick Sand mit den Augen beinahe seine Karte Doch er mochte über ihr brüten wie er wollte, sie verhalf ihm nicht zur Lösung jenes Räthsels, das in der durch Negoros Frevelthat geschaffenen Lage für ihn eben so dunkel blieb, wie es für jeden Anderen geblieben wäre.

Da trat gegen acht Uhr Morgens, am 24. März, ein Ereigniß von höchster Bedeutung ein.

Herkules, der auf dem Vorderdeck auf Wache stand, rief plötzlich laut:

»Land! Land!«

Dick Sand sprang mit Windeseile nach vorn. Sollte sich Herkules, der ja kein Seemannsauge hatte, wohl getäuscht haben?

»Land? rief Dick fragend.

– Dort!« antwortete Herkules, und wies nach einem kaum wahrnehmbaren Punkte am nordöstlichen Horizonte.

Bei dem Rauschen des Meeres und dem Stürmen der Luft vernahm man kaum sein eigenes Wort.

»Ihr habt Land gesehen? fragte der Leichtmatrose noch einmal.

– Gewiß!« versicherte Herkules und nickte dazu mit dem Kopfe.

Noch einmal streckte er nach vorn den Arm über Backbord aus.

Der Leichtmatrose lugte in der bezeichneten Richtung aus – er sah nichts.

Da kam auch Mrs. Weldon, welche Herkules’ Ausrufe gehört hatte, nach dem Verdeck, trotz ihres Versprechens, dasselbe nicht zu betreten.

»Mistreß!…« rief Dick Sand.

Da Mrs. Weldon sich nicht verständlich zu machen vermochte, suchte auch sie das von dem Schwarzen gemeldete Land zu erkennen und schien dabei wirklich ihr ganzes Leben in den Augen concentrirt zu haben.

Herkules Hand mußte den betreffenden Punkt am Horizonte wohl nicht richtig andeuten, denn weder Mrs. Weldon, noch der Leichtmatrose waren im Stande, etwas zu entdecken.

Plötzlich jedoch streckte auch Dick Sand die Hand aus und rief:

»Ja! Ja! Land!«

Durch eine Lichtung in den Dunstmassen zeigte sich eine Art Berggipfel. Seine Seemannsaugen konnten nicht trügen.

»Endlich! rief er, endlich!«

Er klammerte sich mit fieberhafter Kraft an die Schanzkleidung.

Mrs. Weldon, welche Herkules unterstützte, blickte unausgesetzt nach dem fast unerwarteten Lande.

Die mit einer hohen Bergspitze gekrönte Küste erhob sich etwa zehn Meilen backbordwärts unter dem Winde. Als ein weiterer Riß in den Wolken eine bessere Aussicht gewährte, erkannte man dieselbe deutlicher. Offenbar war das irgend ein Vorgebirge des amerikanischen Festlandes. Ohne Segel war der »Pilgrim« nicht im Stande, gerade auf jenes zuzuhalten, doch mußte er ja auf jeden Fall an dasselbe stoßen.