Endlich konnten auch die Luken geöffnet werden, um die inneren Schiffsräume einmal zu lüften. Ueberall hin, in die Wohnung am Achter, in die Schlafräume der Mannschaft, in den unteren Raum drang die heilsame frische Luft ein. Nun wurden auch die Segel getrocknet, welche man auf dem Deck ausbreitete, wo sie eben Platz fanden. Das Verdeck selbst wurde gereinigt. Dick Sand wollte nicht, daß sein Schiff in irgend einen Hafen einliefe, ohne etwas Toilette gemacht zu haben. Einige Stunden jeden Tag, welche die Mannschaft nicht übermäßig anstrengten, mußten genügen, diese Absicht nach und nach zu erreichen.
Obwohl der Leichtmatrose jetzt kein Log mehr auszuwerfen vermochte, hatte er sich doch hinreichend geübt, aus dem Kielwasser eines Fahrzeuges dessen Geschwindigkeit ziemlich verläßlich abzuschätzen. Er hielt sich also für ganz sicher, vor Ablauf von sieben Tagen noch kein Land in Sicht zu bekommen und theilte seine Ansicht auch der Mrs. Weldon mit, nachdem er dieser den Punkt ihrer gegenwärtigen Lage auf der Karte gezeigt hatte.
»An welcher Stelle der Küste werden wir nun ankommen, lieber Dick? fragte die Dame.
– Hier, Mistreß, antwortete der Leichtmatrose, und zeigte auf das lang dahin gestreckte Gestade zwischen Peru und Chile. Bestimmter kann ich das nicht sagen. Hier liegt die Osterinsel, die wir im Westen hinter uns gelassen haben, und nach der beständig anhaltenden Windrichtung muß ich annehmen, daß wir Land zuerst im Osten erblicken werden. An dieser Küste giebt es der Nothhäfen genug; jetzt aber zu sagen, welcher uns einst aufnehmen wird, wenn wir an’s Land gehen, ist mir völlig unmöglich.
– Mag’s ein Hafen sein, welcher es will, Dick, er ist uns gleich willkommen!
– Gewiß, Mistreß Weldon, auch finden Sie ja überall Gelegenheit sicher und schnell nach San Francisco zurückzukehren. Die Dampfschiff-Compagnie des Pacifischen Oceans unterhält hier einen sehr gut organisirten Dienst. Ihre Dampfer berühren alle wichtigen Küstenpunkte und es wird Ihnen allemal leicht sein, sich auf einem derselben nach Kalifornien einzuschiffen.
– Du denkst also den »Pilgrim« nicht bis San Francisco zurückzuführen? fragte Mrs. Weldon.
– Gewiß, doch erst, wenn ich Sie an’s Land gesetzt habe. Gelingt es uns, einen Officier und einige Mannschaft zu heuern, so werden wir unsere Ladung in Valparaiso löschen, wie es Kapitän Hull in Absicht hatte. Dann kehren wir nach unserem Heimatshafen zurück. Doch das würde Sie zu sehr aufhalten, und so leid es mir thun wird, von Ihnen Abschied zu nehmen…
– Geduld, Dick, fiel Mrs. Weldon ein, wir werden später ja sehen, was zu thun ist. – Doch sage mir, Du scheinst Gefahren zu fürchten, welche das Land uns bringen könnte?
– Ja freilich, bestätigte der Leichtmatrose, doch hoffe ich noch, einem Schiffe in jener Gegend zu begegnen, und wundere mich nur, daß wir noch kein solches erblickt haben. Käme nur ein einziges hier vorüber, so würden wir uns mit ihm so weit in Verbindung setzen, um unsere genaue Lage zu erfahren, was die spätere Landung wenigstens erleichtern müßte.
– Doch wenn wir keinem Lootsen begegneten?… fuhr Mrs. Weldon fort, welche sich bemühte, zu erfahren, wie der junge Mann in bedrängter Lage sich behelfen würde.
– In diesem Falle, Mistreß Weldon, würde ich bei günstigem Wetter und brauchbarem Segelwinde der Küste entlang fahren, bis sich uns ein Hafen zeigte. Frischte der Wind freilich zu sehr auf, dann…
– Dann, was thätest Du dann, Dick?
– Dann möchte es sehr schwierig sein, mit dem »Pilgrim« unter den gegebenen Verhältnissen, wenn er einmal in der Nähe des Landes ist, wieder in See zu stechen!
– Ja, was wäre aber sonst zu thun? wiederholte Mrs. Weldon.
»An welcher Stelle der Küste werden wir nun ankommen, lieber Dick?« (S. 142.)
– Ich wäre dann gezwungen, das Schiff auf die Küste laufen zu lassen, antwortete der Leichtmatrose, dessen Stirn sich einen Augenblick lang verdüsterte. O, das ist eine harte Nothwendigkeit, und Gott gebe, daß wir unsere Zuflucht nicht noch dazu nehmen müssen. Doch ich wiederhole Ihnen, Mistreß Weldon, das Aussehen des Himmels ist ganz beruhigend, und es erscheint mir ganz unglaublich, daß uns nicht ein Schiff oder ein Lootse begegnen sollte. Guten Muth also! Unser Steven weist nach dem Lande, wir werden dasselbe bald vor Augen haben!«
Sein Schiff auf die Küste zu setzen, ist freilich die letzte Zuflucht, an welche auch der entschlossenste Kapitän nicht ohne Schrecken denkt. Auch Dick Sand nahm dieses Hilfsmittel keineswegs in Aussicht, so lange er noch einigermaßen hoffen durfte, sich auf andere Weise zu retten.
Während einiger Tage gestaltete sich der Zustand der Atmosphäre so veränderlich, daß der Leichtmatrose auf’s Neue unruhiger wurde. Der Wind hielt sich immer als steife Brise und wiederholte Schwankungen des Barometers deuteten darauf hin, daß er noch weiter auffrischen werde. Dick Sand legte sich schon die Frage vor, ob er nicht wieder genöthigt sein werde, ohne Segel zu fahren. Doch lag es zu sehr in seinem Vortheil, wenigstens das Marssegel zu erhalten, und er gedachte auch dasselbe nicht einzuziehen, so lange der Sturm es ihm nicht gerade zu entführen drohte. Zur Sicherung und Haltbarkeit der Masten ließ er die Wanten, Pardunen und Stagen noch einmal anziehen. Vor Allem kam es darauf an, ihre Lage nicht durch den etwaigen Verlust der Masten noch weiter und empfindlicher zu verschlimmern.
Als das Barometer ein-oder zweimal wieder stieg, mußte man ein Umschlagen des Windes, vielleicht gar nach Osten, befürchten. Dann wäre man aber wieder gezwungen gewesen, dicht an demselben zu segeln.
Eine neue Besorgniß für Dick Sand. Was sollte er bei widrigem Winde beginnen? Mußte er sich entschließen, zu laviren? Wenn dem nicht zu entgehen war, gab es aber auf’s Neue unliebsame Verzögerungen, und dazu lag die Gefahr nahe, wieder in’s Meer hinausgetrieben zu werden.
Glücklicher Weise gingen diese Befürchtungen nicht in Erfüllung. Der Wind wechselte zwar mehrere Tage lang, blies bald aus Norden, bald aus Süden, gestaltete sich aber zuletzt zu einem dauernden Westwinde. Doch behielt er dabei den Charakter einer frischen Kühlte, welche der Takelage arg mitspielte.
Es war am 5. April. Mehr als zwei Monate waren schon seit der Abfahrt des »Pilgrim« aus Neu-Seeland verflossen. Zwanzig Tage hindurch hielten ihn andauernde Windstillen zurück. Dann hatte er sich unter günstigen Bedingungen befunden, das Land schnell zu erreichen. Während des Sturmes mußte seine Schnelligkeit sogar eine sehr beträchtliche gewesen sein; Dick Sand schätzte sie zu nicht weniger als zweihundert Meilen den Tag. Warum bekam er die Küste noch immer nicht in Sicht? Wich sie etwa selbst vor dem »Pilgrim« zurück? Es erschien ihm ganz unbegreiflich.
Und doch war noch kein Land gemeldet worden, obwohl einer der Neger sich jetzt beständig auf einer Mars aufhielt.
Häufig stieg auch Dick Sand selbst hinaus. Mit dem Fernrohr vor den Augen, suchte er von diesem erhöhten Standpunkte aus Spuren eines Landes zu entdecken. Die Kette der Anden steigt ja sehr hoch empor. In der Region der Wolken mußte man also nach einer Bergspitze auslugen, welche sich über die Dünste des Horizonts erhob.
Tom und seine Gefährten ließen sich mehrmals schon durch trügerische Anzeichen eines Landes irre führen. Immer waren es nur sonderbare Wolkenformationen, welche in der Ferne schwebten. Es kam sogar vor, daß die braven Leute ihre Beobachtungen gegenseitig bestätigten, und dennoch waren sie bald darauf gezwungen, einzugestehen, daß sie einer optischen Täuschung unterlegen waren. Was sie als Land erkannten, wechselte seine Stelle und Gestalt und löste sich zuletzt in ein Nichts auf.