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Am 6. April endlich schwand jeder Zweifel.

Es war um 8 Uhr Morgens. Dick Sand stieg eben auf den Mast. Die Wolken condensirten sich unter den ersten Strahlen der Sonne und der Horizont zeigte sich seinem Blicke in voller Klarheit.

Da entrang sich endlich Dick Sand’s Lippen der längst erwartete Ausruf:

»Land! Land in Sicht gerade vor uns!«

Diese Worte lockten alle Welt nach dem Verdeck, den kleinen Jack, den die seinem Alter eigenthümliche Neugierde trieb, Mrs. Weldon, deren Leiden und Prüfungen mit dem Betreten des Landes ein Ende finden sollten, Tom und seine Genossen, welche den Fuß endlich wieder auf amerikanischen Boden zu setzen hofften, selbst den Vetter Benedict, welcher die Hoffnung hegte, eine ihm noch neue Sammlung von Insecten zusammenzubringen.

Negoro allein erschien nicht.

Jeder erkannte, was Dick Sand gesehen hatte, die Einen ganz bestimmt, die Anderen nur, weil sie es glaubten.

Seitens des Leichtmatrosen, mit seiner langen Gewohnheit, den Horizont zu beobachten, war jedoch kein Irrthum möglich, und eine Stunde später mußte Jeder zugestehen, daß er sich nicht getäuscht hatte.

In der Entfernung von etwa vier Meilen im Osten erstreckte sich eine niedrige Küste hin. Weiter rückwärts mußte diese von der mächtigen Kette der Anden beherrscht sein, eine dort schwebende Wolkenschicht verbarg den Blicken noch deren Gipfel.

Der »Pilgrim« lief direct und sehr schnell auf dieses Gestade zu, welches sich über Sehweite hinaus ausbreitete.

Zwei Stunden später war es nur noch drei Meilen entfernt.

Im Nordosten lief jene Küste in ein ziemlich hohes Vorgebirge aus, das eine offene Rhede beschützte. Nach Südosten dagegen verlängerte sie sich gleich einer schmalen Landzunge.

Das niedrige Ufer bedeckten einige Bäume, deren Silhouetten sich vom Himmel scharf abhoben. Nach dem ganzen geographischen Charakter des Landes mußte man jedoch annehmen, daß es nur ein Vorland der Anden bildete.

Nirgend zeigte sich eine menschliche Wohnung, ein Hafen oder eine Flußmündung, welche einem Schiff als Zuflucht hätte dienen können.

Der »Pilgrim« fuhr jetzt gerade auf die Küste zu. Mit seinen verminderten Segeln und dem nach jener Küste hin wehenden Winde wäre es Dick Sand unmöglich gewesen, von derselben wieder abzukommen.

Nach vorn machte sich eine lange Reihe Klippen bemerkbar, über welchen das Meer mit weißem Schaume aufsprudelte.

Bis zur halben Uferhöhe schlugen die Wogen empor. Dort mußte also eine gewaltige Brandung vorhanden sein.

Nachdem sich Dick Sand zur Betrachtung der Küste eine Zeit lang am Vorderkastell aufgehalten, ging er, ohne ein Wort zu äußern, zurück und ergriff wieder das Steuer.

Der Wind frischte immer mehr auf. Bald befand sich die Brigg-Goëlette nur noch eine Meile weit vor der Küste.

Da erkannte Dick Sand eine kleine Einbuchtung, auf welche er zuzusteuern beschloß; bevor er diese jedoch erreichen konnte, mußte das Schiff die Riffe passiren, durch welche eine Fahrstraße zu finden nicht leicht sein mochte. Ueberall sah man an dem Wirbeln des Wassers, daß es nur wenig über den Steinen stehen konnte.

Da sprang Dingo, der sonst auf dem Deck hin und her lief, nach dem Vordertheil zu und fing, als er das Land gewahr wurde, jämmerlich zu bellen an. Man hätte glauben können, er erkenne diesen Landstrich wieder und sein Instinct riefe ihm eine schmerzliche Erinnerung wach.

Negoro mochte ihn wohl gehört haben, denn auch er trat jetzt aus seiner Küche hervor und lehnte sich, trotz der zu fürchtenden Anwesenheit des Hundes, auf die Schanzkleidung.

Glücklicher Weise schien ihn Dingo, dessen trauriges Gebell nur dem Lande galt, nicht zu bemerken.

Negoro’s Blick weilte auf der fürchterlichen Brandung; ihm flößte sie offenbar keinen Schrecken ein. Mrs. Weldon, welche ihn im Stillen beobachtete, glaubte zu sehen, daß sein Antlitz eine leichte Röthe überflog und seine Gesichtszüge sich ein wenig verzerrten.

Kannte Negoro wohl diesen Punkt des Festlandes, nach dem die Winde den »Pilgrim« trieben?

In diesem Augenblicke verließ Dick Sand das Steuer, das er dem alten Tom überließ. Noch einmal faßte er die kleine Bucht, die sich jetzt etwas weiter öffnete, in’s Auge.

»Mistreß Weldon, begann er dann mit fester Stimme, ich habe keine Hoffnung mehr, einen rettenden Hafen zu finden. Noch vor Ablauf einer halben Stunde wird der »Pilgrim«, trotz aller Versuche, auf den Klippen sitzen. Wir müssen auf den Grund zu treiben suchen. Ich werde Ihr Schiff nach gar keinem Hafen zurückführen können. Ich bin jetzt gezwungen, es verloren zu geben, um Sie zu retten! Doch zwischen Ihrem Heil und dem seinigen ist keine lange Wahl möglich!

– Du hast gethan, was zu thun möglich war? fragte Mrs. Weldon.

– Alles!« antwortete der Leichtmatrose.

Sofort traf er nun seine Anstalten für die Strandung. Zuerst mußten sich Mrs. Weldon, der kleine Jack, Vetter Benedict und Nan mit Rettungsgürteln versehen. Dick Sand, Tom und die Neger hofften als geübte Schwimmer die Küste zu erreichen, im Falle sie in’s Meer geschleudert würden.

Herkules wurde speciell die Sorge für Mrs. Weldon aufgetragen. Der Leichtmatrose nahm Jack unter seinen Schutz. Vetter Benedict erschien übrigens merkwürdig ruhig, mit seiner Entomologentrommel am Bande, wieder auf dem Verdeck. Der Leichtmatrose empfahl ihn an Bat und Austin. Negoro’s ruhiges Benehmen ließ erkennen, daß er Niemandes Hilfe brauchte.

Aus übergroßer Vorsicht ließ Dick Sand auch ein Dutzend Thranfässer der Ladung nach dem Vordertheil schaffen.

Dieses Oel sollte, wenn der »Pilgrim« sich in der Brandung befand, auf das Wasser gegossen werden, um dasselbe wenigstens für kurze Zeit zu beruhigen, indem es die Wassermoleküle sozusagen schlüpfrig machte. Man erwartete, daß das Schiff durch dieses Manöver leichter durch die Klippen gleiten sollte.

Dick Sand wollte eben nichts unterlassen, was zum allgemeinen Besten dienen konnte.

Nachdem alle Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, nahm er wiederum am Steuer Platz.

Der »Pilgrim« segelte jetzt nur noch zwei Kabellängen vom Ufer, d.h. er berührte fast schon die Klippen.

Seine Steuerbordseite badete sich schon in dem weißen Schaume der Brandung. Jeden Augenblick erwartete der Leichtmatrose das Aufstoßen des Kiels gegen die Felsen unter dem Wasser.

Plötzlich erkannte Dick an einem Streifen dunkleren Wassers eine Furth zwischen dem Klippenkranze. Diese galt es ohne Zögern zu benutzen, um doch erst so nahe wie möglich von der Küste zu stranden.

Der Leichtmatrose besann sich keinen Augenblick. Eine Wendung des Steuers brachte das Fahrzeug in den enger gewundenen Kanal hinein.

In dieser engen Straße wüthete das Meer noch gewaltiger und die Wogen schlugen fast bis zum Deck hinaus.

Die Neger standen auf dem Vordertheile neben den Oelfässern in Erwartung der Befehle ihres Kapitäns.

»Gießt das Oel aus! Schnell, gießt aus!« rief Dick Sand.

Sobald sich das Oel auf den Wellen verbreitete, glättete sich das Meer zwar, aber nur, um den nächsten Moment desto empörter aufzubrausen. Der »Pilgrim« flog über die schlüpfrigen Wogen dahin, in gerader Richtung auf das Ufer zu.

Plötzlich erfolgte ein Stoß. Erst erhob sich das Schiff auf dem Rücken einer furchtbaren Woge, dann saß es auf dem Grunde fest, wobei seine Masten gebrochen und zusammengestürzt waren, zum Glück ohne Jemanden zu verletzen.

Der Rumpf des »Pilgrim« hatte dabei einen großen Leck bekommen, durch den das Wasser in vollen Strömen eindrang. Das Ufer lag jedoch nur noch eine halbe Kabellänge vor ihnen und eine Kette kleinerer Felsen gestattete, es verhältnißmäßig leicht zu erreichen.

Zehn Minuten darauf standen Alle, welche der »Pilgrim« trug, glücklich am Fuße der Küste.