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Vierzehntes Capitel.

Was nun?

Nach einer langen, erst durch Windstillen verzögerten, später durch die Winde aus Nordwest und Südwest beschleunigten Ueberfahrt – welche im Ganzen nicht weniger als vierundsiebzig Tage in Anspruch genommen hatte, lag der »Pilgrim« als Wrack auf dem Strande.

Dennoch dankten Mrs. Weldon und ihre Begleiter alle der Vorsehung für die gnädige Rettung aus schwerer Gefahr. Es war in der That ein Continent und nicht eine jener traurigen polynesischen Inseln, an welche der Sturm sie verschlagen hatte. Von jedem beliebigen Punkte Südamerikas, auf dem sie sich jetzt befinden mochten, schien ihnen eine Rückkehr nach dem Vaterlande nicht zu große Schwierigkeiten zu bieten.

Der »Pilgrim« freilich war als verloren zu betrachten. Er bestand ja nur noch aus einem werthlosen Rumpfe, dessen Trümmer die Brandung in wenigen Stunden zerstreuen mußte. An Bergung irgend eines Theiles seines Inhaltes war nicht zu denken gewesen. Winkte Dick Sand aber auch nicht mehr die Freude, seinem Rheder ein wohl erhaltenes Schiff wieder zuzuführen, so befanden sich doch Alle, die jenes vorher getragen, Dank seiner Umsicht, heil und gesund auf einer gastfreundlichen Küste – unter jenen auch die Gattin und das Kind Mr. James W. Weldon’s selbst.

An welchem Theile des südamerikanischen Gestades freilich der »Pilgrim« gescheitert sei, darüber hätte man wohl lange vergeblich verhandeln können. Sollte es, wie Dick Sand vorausgesetzt hatte, etwa an der Küste Perus geschehen sein? Vielleicht; denn er wußte ja durch die ihm in Sicht gekommene Osterinsel, daß der »Pilgrim« ebenso durch den Wind wie zweifelsohne unter dem Einflusse der Meeresströmungen in der Aequatorialzone nach Nordosten verschlagen worden war. Vom dreiundvierzigsten Grade der Breite hatte es recht wohl bis zum fünfzehnten abweichen können.

Es erschien demnach von Wichtigkeit, bald genau über den Ort der Strandung der Brigg-Goëlette unterrichtet zu sein. Angenommen, es war an der Küste Perus, so konnten hier Häfen, kleine Flecken und Dörfer nicht fehlen, und es empfahl sich von selbst, irgend eine bewohnte Ortschaft aufzusuchen. Die nächste Umgebung der Küste erwies sich verlassen.

Sie bestand hier aus einem schmalen, da und dort mit dunklen Felsen besetzten Strande mit einer mittelhohen Uferwand im Rücken, an der sich in Folge herabgestürzter Gesteinsmassen sehr tiefe Einschnitte in unregelmäßiger Anordnung zeigten. An manchen Stellen vermittelten sanftere Abhänge den Zugang zu dem Scheitel derselben.

Nach Norden zu und etwa eine Viertelmeile von dem Strandungsorte fand sich die Ausmündung eines kleinen Flusses, den man von der Ferne aus nicht hatte sehen können. Ueber seine Ufer hingen zahlreiche »Rhizophoren«, eine Art Wurzelträger, welche sich von ihren Namensvettern in Indien wesentlich unterscheiden.

Die Ufermauer selbst – das gewahrte man sehr bald – war von einem dichten Walde bedeckt. Seine grünen Blättermassen erstreckten sich bis zu den Bergen des Hinterlandes. Wäre Vetter Benedict Botaniker gewesen, wie viele ihm noch unbekannte Bäume hätten hier seine Bewunderung erweckt!

Da standen hohe Baobabs (Affenbrotbäume), denen man fälschlicher Weise eine besonders lange Lebensdauer zuschrieb, und deren Rinde dem Syenit Egyptens ähnelt; Latanen (Fächerpalmen), Weißtannen, Tamarindenbäume, Pfefferstanden besonderer Art und hundert andere Gewächse, die ein Amerikaner im Norden der Neuen Welt zu sehen nicht gewöhnt ist.

Merkwürdiger Weise aber begegnete man unter den vielen Species von Waldbäumen nicht einem einzigen Vertreter der Palmen, welche über tausend Abarten zählen und fast über den ganzen Erdball in großen Mengen verbreitet sind.

In dieser engen Straße wüthete das Meer noch gewaltiger. (S. 149.)

Ueber dem Strande tummelte sich eine erhebliche Anzahl laut schreiender Vögel, die in der Hauptsache verschiedenen Schwalbenarten angehörten und schwarzes Gefieder mit stahlblbauem Reflexe hatten, auf dem oberen Theile des Kopfes aber eine kastanienbraune Färbung zeigten. Da und dort flatterten auch einzelne graue, nackthälsige Rebhühner empor.

Kannte er wohl diese Gegend? (S. 154.)

Mrs. Weldon und Dick Sand bemerkten, daß alle diese Vögel nicht besonders scheu waren. Man konnte sich ihnen nähern, ohne daß sie entflohen. Hatten sie die Gegenwart der Menschen noch nicht fürchten gelernt und schallte der Knall eines Gewehres noch niemals über dieses wüste Gestade?

Am Strande stolzirten einige Pelikane von der Species »Pelicanus minor« umher, welche eben die sackförmige Erweiterung zwischen den beiden Theilen ihres Unterkiefers mit kleinen Fischen füllten.

Vereinzelte, von der offenen See her zufliegende Möven schwebten anmuthig um den »Pilgrim«.

Die genannten Vögel schienen auch die einzigen lebenden Wesen zu sein, die an diesem Gestade sich aufhielten – natürlich ohne eine Menge interessanter Insecten in Anschlag zu bringen, welche Vetter Benedict ohne Zweifel auffinden würde. Trotzdem der kleine Jack es wollte, konnte man von jenen freilich den Namen des betreffenden Landes leider nicht erfahren und mußte sich nothwendiger Weise an einen Eingebornen wenden

Zum Unglück war ein solcher aber nicht vorhanden, oder wenigstens jetzt nicht sichtbar. Keinerlei Wohnung, weder Hans noch Hütte, zeigte sich weder nach Norden zu jenseits des kleinen Flusses, noch gegen Süden, noch auf der Ufermauer oder unter den Bäumen des dichten Waldes. Kein Rauch wirbelte in die Luft empor. Kein Merkzeichen, kein Fußeindruck verrieth, daß dieser Theil des Continentes jemals von menschlichen Wesen besucht wurde.

Dick Sand machte das doch etwas unruhig.

»Wo sind wir? Wo können wir sein? fragte er sich. Wie? Niemand hier, mit dem man sich verständigen könnte?«

In Wahrheit Niemand, denn wenn sich ein Eingeborner genähert hätte, hätte ihn Dingo ohne Zweifel gewittert und durch sein Bellen angemeldet. Der Hund lief auf dem schmalen Strande mit eingeklemmtem Schwanze und leise knurrend hin und her, deutete aber auf keine Weise die Annäherung eines Menschen oder irgend eines Thieres an.

»Dick, sieh’ doch Dingo! sagte Mrs. Weldon.

– Wahrhaftig, das ist merkwürdig! erwiderte der Leichtmatrose. Er scheint sich zu bemühen, eine Spur wiederzufinden.

– Sehr merkwürdig, in der That!« murmelte Mrs. Weldon.

Dann fuhr sie fort:

»Was beginnt denn Negoro? fragte sie.

– Dasselbe wie Dingo, antwortete Dick Sand, er geht hier hin und dort hin… indeß, er ist hier sein eigener Herr. Ich habe kein Recht mehr, ihm Befehle zu ertheilen. Sein Dienst ist mit der Strandung des »Pilgrim« zu Ende!«

Negoro durchstreifte den Strand, drehte sich wiederholt um, betrachtete das Gestade und die Uferwand, so als ob Jemand seine Erinnerungen wachzurufen und zu klären suchte. Kannte er wohl diese Gegend? Wahrscheinlich hätte er doch jede Antwort verweigert, wenn man eine solche Frage an ihn stellte. Es erschien am gerathensten, sich mit seiner an und für sich ungeselligen Person nicht weiter zu beschäftigen. Dick Sand sah noch, wie jener sich nach der Gegend des kleinen Flusses wandte, doch als Negoro hinter einer Biegung des höheren Ufers verschwand, dachte er nicht mehr an ihn.

Dingo hatte zwar gebellt, als Negoro über den schmalen Strand dahinschritt, aber auch dieser schwieg bald darauf still.

Jetzt galt es nur an das Nöthigste zu denken. Am nöthigsten aber brauchte die Gesellschaft ein Unterkommen, irgend einen Schutz, wo Alle sich vorläufig einrichten und einige Nahrung zu sich nehmen konnten. Dann wollte man Rath halten und darüber entscheiden, was nun zu beginnen sei.

Wegen der Nahrungsmittel brauchte man sich keiner Sorge hinzugeben. Von den etwaigen Hilfsquellen des Landes ganz zu schweigen, hatte sich auch die Kambüse des Schiffes zum Vortheil der Ueberlebenden des »Pilgrim« freiwillig entleert. An verschiedenen Stellen der Klippen hatte die Brandung eine große Menge verschiedener Gegenstände abgelagert, welche jetzt nach Eintritt der Ebbe aus dem Schaume sichtbar heraustraten. Tom und seinen Genossen war es schon gelungen, mehrere Fässer mit Zwieback neben vielen Büchsen mit conservirten Nahrungsmitteln und gedörrtem Fleische zu bergen. Da sich Alles noch vom Wasser unbeschädigt erwies, so erschien die Ernährung der kleinen Gesellschaft auf längere Zeit gesichert, als diese ohne Zweifel gebrauchen konnte, um ein Dorf oder eine Ansiedelung zu erreichen. Nach dieser Seite war also nichts zu fürchten. Die geretteten Ueberreste von den Vorräthen des Schiffes brachte man auch sofort so weit in Sicherheit, daß sie bei wachsendem Wasser nicht mehr gefährdet waren.