Ebensowenig fehlte es an Süßwasser. Dick Sand sandte Herkules zuerst nach dem kleinen Flusse, um einige Pinten voll zu holen. Der Riese brachte auf seinen Schultern gleich darauf eine große Tonne voll herbei, nachdem er sie mit reinem, frischem Wasser gefüllt hatte, das sich bei der Ebbe ganz gut trinkbar erwies.
Um etwa Feuer anzuzünden, mangelte es in der Umgebung nicht an dürrem Holze, und die zahllosen Luftwurzeln der Manglien versprachen überdies so viel Brennmaterial zu liefern, als man irgend bedurfte.
Der alte Tom, ein leidenschaftlicher Raucher, besaß eine ausreichende Quantität Zündschwamm, der in einer hermetisch verschlossenen Büchse ganz gut verwahrt geblieben war, und er hätte jeden Augenblick damit ein Feuer entzünden können, wenn ihm auch nur die Kiesel des Strandes zu Gebote standen.
Es handelte sich also nur noch um die Entdeckung eines geeigneten Schlupfwinkels für die kleine Gesellschaft, wenn man es für angezeigt hielt, vor Antritt der Wanderung erst eine Nacht auszuruhen.
Und sieh’ da, dem kleinen Jack sollte die Auffindung des gewünschten Schlafraumes gelingen. Als er am Fuße der Uferwand hintrottete, entdeckte er hinter einer Einbuchtung der Felsmauer eine jener glattpolirten, wohl ausgehöhlten Grotten, welche das Meer nach und nach ausgräbt, wenn die vom Sturm geschwellten Wogen gegen die Küste toben.
Das Kind war ganz entzückt. Unter Freudengeschrei rief es seine Mutter hinzu und zeigte ihr triumphirend seine Entdeckung.
»Schön, lieber Jack, bemerkte Mrs. Weldon. Wären wir nun als Robinsons verurtheilt, längere Zeit an diesem Strande zu leben, so würden wir nicht unterlassen, dieser Grotte Deinen Namen beizulegen.«
Diese Grotte maß allerdings nur zwölf Fuß in der Tiefe und eben so viel in der Breite, den Augen des kleinen Jack aber erschien sie nichtsdestoweniger als eine gewaltige Höhle. Jedenfalls reichte sie aus, die Schiffbrüchigen aufzunehmen, und erwies sich, was Mrs. Weldon und Nan zu großer Befriedigung constatirten – als völlig trocken. Noch stand der Mond im ersten Viertel, also war nicht zu befürchten, daß die Fluth der nächsten Tage die Uferwand, viel weniger die Höhle selbst erreichen würde. Mehr bedurfte es ja nicht, um einige Stunden sorglos auszuruhen.
Zehn Minuten später lagerten auch schon Alle auf einer Decke von Varec. Selbst Negoro mußte es für gerathen gehalten haben, sich der Gesellschaft wieder anzuschließen, um auch seinen Theil an dem gesellschaftlichen Mahle zu erlangen. Jedenfalls mochte ihn die Aussicht, allein durch den dichten Wald, längs der vielen Krümmungen des jenen durchziehenden Flusses zu wandern, nicht allzu verlockend erschienen sein.
Es war um ein Uhr Mittags. Conservirtes Fleisch, Schiffszwieback und süßes Wasser mit einigen Tropfen Rum, von dem Bat ein kleines Fäßchen gerettet hatte, bildeten die Gerichte dieser frugalen Mahlzeit.
Wenn Negoro auch daran theilnahm, so mischte er sich doch mit keiner Silbe in das Gespräch, in dem die Maßnahmen besprochen wurden, welche die jetzige Lage der Schiffbrüchigen erheischte. Ohne es sich merken zu lassen, hörte er jedoch darauf und suchte gewiß zu seinem Vortheil auszubeuten, was ihm zu Ohren kam.
Während dieser Zeit wachte Dingo, den man natürlich nicht vergessen hatte, draußen vor der Grotte Man konnte deshalb ganz ruhig sein. Auf dem Strande hätte sich gewiß kein lebendes Wesen sehen lassen dürfen, ohne daß das treue Thier angeschlagen hätte.
Mrs. Weldon, welche ihren vor Müdigkeit schon halb eingeschlafenen Jack auf dem Arme hielt, nahm zuerst das Wort.
»Dick, mein Freund, sagte sie, im Namen aller Uebrigen spreche ich Dir unseren Dank aus für die Opferwilligkeit, welche Du bisher gezeigt hast; doch auch jetzt können wir derselben noch nicht entbehren. Du wirst zu Lande ebenso unser Führer sein, wie Du Kapitän warst auf dem Schiffe. Du hast unser Aller Vertrauen. Sprich also, was gedenkst Du zu thun?«
Mrs. Weldon, die alte Nan, Tom und seine Gefährten, Alle richteten die Augen auf den jungen Leichtmatrosen. Selbst Negoro betrachtete ihn mit offenbarer Aufmerksamkeit. Jedenfalls erregte die erwartete Antwort Dick Sand’s sein besonderes Interesse.
Dick Sand überlegte wenige Augenblicke. Dann begann er:
»Vor Allem, Mistreß Weldon, ist es wichtig zu wissen, wo wir uns überhaupt befinden. Ich bin der Meinung, daß unser Schiff nach demjenigen Theile des amerikanischen Ufers getrieben worden ist, welches die Küste Perus bildet. Der Wind und die Strömungen konnten es recht wohl bis in diese Breite verschlagen. Sind wir aber wirklich in einer der südlichen Provinzen Perus, d.h. in jenem am dünnsten bevölkerten Landestheile, der an die Pampas anstößt? Vielleicht. Angesichts dieses so wüsten Strandes, der sicher nur wenig besucht wird, glaube ich das um so lieber. In diesem Falle befinden wir uns freilich in ziemlich großer Entfernung von jeder Ansiedelung, und das wäre recht unangenehm.
– Nun, was sollen wir also beginnen? wiederholte Mrs. Weldon.
– Meine Ansicht, fuhr Dick Sand fort, geht dahin, diesen Zufluchtsort nicht zu verlassen, bevor wir über unsere Lage Aufklärung erlangt haben. Morgen nach einer Nachtruhe, können Zwei von uns auf Entdeckung ausgehen. Sie müßten, ohne sich allzuweit wegzuwagen, Eingeborne zu treffen suchen, würden von diesen Erkundigungen einziehen und dann nach dieser Grotte zurückkehren. Es ist kaum möglich, daß im Umkreis von zehn bis zwölf Meilen gar Niemand aufzufinden wäre.
– Wir sollen uns trennen! sagte Mrs. Weldon.
– Das erscheint mir nothwendig, erwiderte der Leichtmatrose. Ware freilich gar keine Aufklärung zu erlangen und die Umgegend unerwarteter Weise wirklich gänzlich menschenleer, nun, so müßten wir eben zusehen, uns anderswie zu helfen.
– Und wer sollte auf Entdeckung ausgehen? fragte Mrs. Weldon nach kurzem Besinnen.
– Das wäre zu überlegen, antwortete Dick Sand. Jedenfalls meine ich, daß Sie, Mistreß Weldon, Jack, Herr Benedict und Nan diese Grotte nicht verlassen dürften. Bat, Herkules, Acteon und Austin würden bei Ihnen bleiben, während Tom und ich uns auf den Weg machten.
– Negoro, fügte Dick Sand mit einem Seitenblicke auf den Küchenmeister hinzu, wird ohne Zweifel vorziehen, hier zurückzubleiben?
– Wahrscheinlich, entgegnete Negoro, der nicht der Mann dazu war, sich mehr als nöthig zu binden.
– Wir nehmen natürlich Dingo mit, fuhr der Leichtmatrose fort. Bei unseren Nachforschungen dürfte er von großem Nutzen sein.«
Als Dingo nur seinen Namen nennen hörte, erschien er auch schon am Eingang der Grotte und bellte voll Freude, als wolle er seine Zustimmung zu Dick Sand’s Vorhaben ausdrücken.
Während Dick Sand diese Vorschläge entwickelte, versank Mrs. Weldon in tiefes Nachdenken. Ihr Widerstreben gegen eine, wenn auch noch so kurze Trennung war gewiß nicht ungerechtfertigt. Konnte nicht der Schiffbruch des »Pilgrim« den Indianerstämmen, welche im Norden oder Süden von dieser Stelle hausen mochten, bekannt geworden sein, und wenn sich nun etwaige Strandräuber einfinden sollten, erschien es da nicht rathsamer, vereinigt zu bleiben, um sich ihrer zu erwehren?