Jack, der vor seiner Mutter saß, erklärte ihr, daß er das »Pferd des Herrn« ganz gut zu führen verstehe.
Man gab ihm denn auch die Zügel in die Hand und der kleine Mann hielt sich unstreitig für den eigentlichen Anführer der Caravane.
Sechzehntes Capitel.
Unterwegs.
Wenn Dick Sand’s Befürchtungen bis jetzt auch nichts zu bestätigen schien, so betrat er, nachdem jene dreihundert Schritt am Ufer zurückgelegt waren, doch nicht ohne ein unangenehmes Vorgefühl den dichten Wald, den er mit seinen Gefährten volle zwölf Tage lang auf beschwerlichen Fußpfaden durchreisen sollte.
Mrs. Weldon dagegen, welche als Frau und Mutter doch leicht doppelt unruhig sein mußte, hatte das beste Zutrauen.
Zwei nicht unwichtige Gründe trugen zu ihrer Beruhigung bei: erstens, daß diese Gegend der Pampas weder rücksichtlich der Eingebornen, noch rücksichtlich reißender Thiere besonders zu fürchten war, und dann, daß man sich unter Harris’ Leitung, d.h. unter der eines so zuversichtlichen Führers, wie der Amerikaner es zu sein schien, nicht wohl verirren konnte.
Die während des Marsches so gut als möglich einzuhaltende Zugordnung war folgende:
An der Spitze der kleinen Gesellschaft marschirten Dick Sand und Harris, Beide bewaffnet, der Eine mit seiner langen Flinte, der Andere mit dem Remington-Gewehre.
Ihnen folgten Bat und Austin, Beide gleichmäßig mit Büchsen und Jagdmessern ausgestattet.
Hinter ihnen kamen Mrs. Weldon und der kleine Jack zu Pferde; dann Nan und Tom.
Den Schluß bildeten Acteon mit dem vierten Remington-Gewehr und Herkules mit einer Axt im Gürtel.
Dingo lief, wie Dick Sand bald bemerkte, unruhig hin und her, als spürte er einer Fährte nach. Sein ganzes Benehmen erschien, seit der Schiffbruch des »Pilgrim« ihn an’s Land geworfen, sichtbar verändert. Fast ohne Aufhören ließ er ein dumpfes, mehr klägliches als zorniges Knurren vernehmen. Es fiel das Allen auf, ohne daß es Jemand zu erklären wußte.
Dem Vetter Benedict hätte man ebenso unmöglich einen bestimmten Platz im Zuge anweisen können wie Dingo. Ohne an der Schnur geführt zu werden, hätte er doch nicht Ordnung gehalten. Er streifte mit seiner umgehangenen Blechkapsel, das Netz in der Hand und die große Loupe am Halse tragend, bald voraus, bald hinterher durch die hohen Gräser, und spürte den Orthopteren, sowie jedem anderen Insect, dessen Namen nur die Endung »ptere« hatte, nach, selbst auf die Gefahr hin, von einer giftigen Schlange gebissen zu werden.
Mrs. Weldon, welche sich darüber beunruhigte, rief ihn in der ersten Stunde wohl hundertmal zurück. Das half aber Alles nichts.
»Vetter Benedict, sagte sie endlich, ich bitte Sie nun ernstlich sich nicht zu weit zu entfernen, und ermahne Sie zum letzten Male, meine Worte nicht in den Wind zu schlagen.
– Recht gern, Cousine, antwortete der unverbesserliche Entomologe, wenn ich aber gerade ein Insect entdecke…
– Wenn Sie ein Insect entdecken, fuhr Mrs. Weldon fort, so werden Sie gut thun, es in Frieden laufen oder fliegen zu lassen, wenn ich mich nicht gezwungen sehen soll, Ihre Trommel einstweilen zu confisciren.
– Mir meine Trommel nehmen! rief Vetter Benedict, als handelte es sich darum, ihm das Herz aus dem Leibe zu reißen.
– Ihre Trommel und Ihr Netz, allerdings! erklärte Mrs. Weldon unerbittlich.
– Mein Netz auch, Cousine! Und warum nicht die Brille dazu? – Nein, Sie scherzen nur, das wagen Sie nicht zu thun!
– Selbst Ihre Brille, die ich vergessen hatte. Ich danke Ihnen, Vetter Benedict, daß Sie mich selbst an das Mittel erinnert haben, Sie blind und dadurch zwangsweise klug zu machen!«
Diese dreifache Drohung hatte doch die Wirkung, den Vetter Benedict etwa eine Stunde lang etwas im Zuge zu halten. Dann begann er aber doch wieder, auszuschwärmen, und da er das auch ohne Netz, ohne Trommel und Brille gethan hätte, mußte man es eben dabei bewenden lassen. Herkules übernahm es, den Gelehrten speciell zu behüten – ein Auftrag, der seiner Natur entsprach – und sollte im Nothfalle mit jenem ebenso verfahren, wie Vetter Benedict mit einem Insect, d.h. ihn eventuell einfangen und ebenso sorgsam zurücktragen, wie es jener mit der allerseltensten Lepidopiere gethan hätte.
Nach dieser Verabredung kümmerte man sich nicht mehr allzu ängstlich um Vetter Benedict.
Die kleine Gesellschaft war, wie wir wissen, gut bewaffnet und wohl auf ihrer Hut. Harris versicherte jedoch wiederholt, daß nichts Anderes, als höchstens ein Zusammentreffen mit nomadisirenden Indianern zu fürchten sei, und auch solche werde man vielleicht gar nicht zu Gesicht bekommen.
Jedenfalls versprachen die getroffenen Vorkehrungen zu deren Abhaltung auszureichen.
Die Fußpfade, welche den Wald in verschiedener Richtung durchschnitten, verdienten allerdings kaum diesen Namen. Es waren mehr Fährten von Thieren, als Wege für Menschen, auf denen man nur mit Mühe vorwärts kommen konnte, so daß die kleine Gesellschaft binnen zwölf Stunden im Mittel nicht mehr als fünf bis sechs Meilen zurücklegte.
Die Witterung war sehr schön. Die Sonne näherte sich dem Zenith, indem sie ihre Strahlenströme fast lothrecht niedersandte. Auf offener Ebene wäre, wie Harris mehrfach bemerkte, die Hitze jetzt unausstehlich gewesen; unter diesem undurchdringlichen Laubdache machte sie sich dagegen weit weniger fühlbar.
Dick Sand betrat den dichten Wald. (S. 181.)
Die allermeisten Bäume dieses Waldes waren sowohl Mrs. Weldon, als auch ihren weißen und schwarzen Gefährten völlig unbekannt. Ein Sachverständiger würde freilich die Beobachtung gemacht haben, daß sie weit bemerkenswerther waren durch ihre Arten, als etwa durch ihren Wuchs.
Einige solche etwas breitere Bäche… (S. 187.)
Hier stand eine »Bauhinia« oder Eiseneiche; dort ein »Molompi« (identisch mit dem Pterocarpus), mit haltbarem leichten Holze, aus dem man Pageien oder Ruder fertigt und dessen Stämme ein gewisses Harz in Ueberfluß ausschwitzen; weiterhin fanden sich »Fusteten« (Gelbholzbäume) mit reichlichem Farbstoffe und »Guajacs«, welche wohl zwölf Fuß im Durchmesser haben, die aber an Qualität die gewöhnlichen Guajacbäume nicht erreichen.
Unterwegs erkundigte sich Dick Sand bei Harris nach dem Namen aller dieser Baumarten..
»Sie haben also diesen Küstenstrich Südamerikas noch niemals gesehen? fragte Harris, bevor er die Anfrage des Anderen beantwortete.
– Niemals bei meinen Seefahrten, erwiderte der Leichtmatrose, hatte ich Gelegenheit, diese Gestade zu sehen, und offen gestanden, ich glaube, es hat mir auch noch Niemand, der sie genauer kannte, von denselben gesprochen.
– Sie haben aber mindestens die Küste von Columbia oder die von Chili und Patagonien besucht?
– Nein, auch diese nicht.
– Doch Mistreß Weldon hatte vielleicht Gelegenheit, diesen Theil der Neuen Welt kennen zu lernen? fragte Harris. Die amerikanischen Damen fürchten ja die Reisen nicht und ohne Zweifel…
– Nein, Herr Harris, antwortete Mrs. Weldon, die Handelsinteressen meines Mannes führten ihn stets nur nach Neu-Seeland und ich habe ihn nie wo andershin begleitet. Unter uns kennt also noch Niemand diesen Theil des unteren Bolivia.
– Nun, Mistreß Weldon, Sie und Ihre Gefährten werden also ein sehr eigenartiges Land zu sehen bekommen, das mit Peru, der Argentinischen Republik und Brasilien auffallend contrastirt. Seine Fauna und Flora würden die Bewunderung jedes Naturforschers erregen. Wahrlich, man möchte behaupten, Sie hätten an einem sehr glücklich gewählten Punkte Schiffbruch gelitten, und wenn man jemals dem Zufalle danken soll…