– Ich glaube lieber, daß nicht der Zufall, sondern daß Gott uns hierher geführt hat, Herr Harris.
– Gott! Ja wohl, Gott!« erwiderte Harris mit dem Tone eines Mannes, der von dem Eingreifen der Vorsehung in die Angelegenheiten dieser Welt nicht besonders viel hält.
Da indessen Niemand von der kleinen Gesellschaft weder das Land, noch dessen Erzeugnisse kannte, machte sich Harris ein Vergnügen daraus, die Namen der merkwürdigsten Bäume dieses Waldes zu nennen.
Es war in der That ärgerlich, daß in Vetter Benedict neben dem Entomologen nicht auch ein Botaniker stak! Wenn er bis jetzt keine seltenen Insecten gefunden hatte, so würde er dafür die herrlichsten Entdeckungen auf botanischem Gebiete haben machen können. Hier wucherten in Menge Vegetabilien aller Art, deren Vorhandensein in den tropischen Wäldern der Neuen Welt noch Niemand constatirt hatte. Unzweifelhaft hätte Vetter Benedict seinen Namen durch eine dieser Pflanzenfamilien verewigt. Doch, er liebte weder die Botanik, noch war er in diesem Fache bewandert. Er hegte von Natur sogar eine gewisse Abneigung gegen die Blumen, weil sich einige derselben die Freiheit nahmen, in ihren Korollen Insecten einzufangen und durch ihren giftigen Saft zu tödten.
Zuweilen wurde der Wald nahezu sumpfig. Man fühlte unter den Füßen das Netz von Wasseradern, welche die kleinen Nebenzweige des Flusses speisten. Einige solche etwas breitere Bäche konnten auch nur überschritten werden, indem man schmälere Stellen derselben aufsuchte.
An ihren Ufern wuchs häufig eine Schilfart, welche Harris »Papyrus« nannte.
Nach Ueberschreitung dieses sumpfigeren Theiles schloß sich wieder ein dichtes Blätterdach über den engen Pfaden des Waldes zusammen.
Harris zeigte Mrs. Weldon und Dick Sand sehr schöne Exemplare von Ebenholzbäumen, welche größer waren als die gewöhnlichen Arten und ein schwärzeres Holz als das im Handel vorkommende liefern. Dann traf man wieder auf Mangobäume, welche trotz der Entfernung vom Meere noch ziemlich zahlreich vorkamen. Bis in die höheren Zweige hinauf bedeckte dieselben ein dichter Ueberzug von Orseille. Ihr kühler Schatten und ihre köstlichen Früchte machen sie zu sehr schätzenswerthen Bäumen, und doch hätte, wie Harris erzählte, kein Eingeborner gewagt, sie selbst zu vermehren.
»Wer einen Mangobaum pflanzt, der stirbt!« so lautete ein abergläubiges Sprichwort des Landes.
Während der zweiten Hälfte dieses ersten Reisetages gelangte die kleine Gesellschaft nach eingenommenem Mahle auf ein leicht wellenförmiges Terrain, das zwar noch nicht die Ausläufer des Gebirgskammes durchzogen, sondern das nur eine Art hügeliger Ebene darstellte, welche weiter nach rückwärts an den Bergkamm grenzte.
Da hier die Bäume mehr vereinzelt oder nur in kleineren Gruppen zusammenstanden, wäre der Weg leichter gewesen, hätten nicht dichte, hohe Gräser den ganzen Boden bedeckt, so, als befände man sich in den Dschungeln Ostindiens. Die Vegetation erschien wohl minder üppig als in der Fluß niederung, übertraf aber noch beiweitem die der gemäßigten Zonen der Alten und der Neuen Welt. Die Indigopflanze wuchs hier in großer Menge und galt nach Harris’ Aussage mit Recht als das gefürchteteste, Alles überwuchernde Unkraut in der ganzen Umgebung.
Gerade ein Baum, der sonst in diesem Theile des Continentes sehr allgemein war, schien jedoch dem Walde zu fehlen – der Kautschukbaum. In der That giebt es die »Ficus primoïdes«, die, »Castilloa elastica«, die »Cecropia peltata«, die »Collophora utilis«, die »Cameraria latifolia« und vorzüglich die »Syphonia elastica«, welche verschiedenen Familien angehören, in Mittelamerika sonst wirklich in Ueberfluß. Auffallender Weise sah man hier von keinem dieser Bäume auch nur ein einziges Exemplar.
Nun hatte Dick Sand seinem Freunde Jack leider versprochen, ihm Kautschukbäume zu zeigen. Man kann sich also die arge Enttäuschung des kleinen Burschen vorstellen, der sich ja einbildete, daß auf solchen Bäumen gleich sprechende Babies, bewegliche Polichinells und elastische Ballons fix und fertig wüchsen. Er hielt mit seinen Klagen auch nicht zurück.
»Nur Geduld, mein kleines Männchen, tröstete ihn Harris, Deine Kautschukbäume werden wir in der Umgebung der Hacienda noch zu Hunderten antreffen.
– Recht schöne und elastische? fragte der kleine Jack.
– So elastisch wie nur irgend etwas sein kann. – Doch halt, möchtest Du wohl so eine schöne Frucht, um den Aerger zu vergessen?«
Harris pflückte bei diesen Worten schon von einem nahen Baume eine so saftige Frucht, wie eine Pfirsiche.
»Wissen Sie, Herr Harris, daß diese Früchte nicht schädlich sind? fragte Mrs. Weldon.
– Das kann ich versichern, Mistreß Weldon, antwortete der Amerikaner, der selbst eine solche Frucht anbiß. Das ist eine Mangofrucht.«
Ohne sich viel bitten zu lassen, folgte der kleine Jack dem Beispiele Harris. Er erklärte, daß »die Birnen da« ausgezeichnet wären, und bald wurde der Baum herzhaft geplündert.
Diese Mangobäume gehörten derjenigen Species an, deren Früchte im März und April schon reisen, während andere erst im September eßbare Früchte tragen.
»Ei, das schmeckt schön, das schmeckt schön! rief der kleine Jack entzückt und mit vollem Munde. Mein Freund Dick hat mir aber Kautschukbäume versprochen, wenn ich recht artig wäre, und ich will nun auch Kautschukbäume.
– Du wirst ja welche finden, mein Jack, beruhigte ihn Mrs. Weldon. Herr Harris hat es Dir versprochen.
– Das ist noch nicht Alles, fuhr Jack fort, mein Freund Dick hat mir noch ganz andere Sachen versprochen.
– Was hat Dein Freund Dick denn zugesagt? fragte Harris lächelnd.
– Kolibris, Herr Harris!
– Du sollst auch noch Kolibris haben, mein Söhnchen, aber fern… fern von hier!« antwortete der Amerikaner.
Der kleine Jack hatte gewiß nicht so Unrecht, sich einige dieser reizenden Kolibris zu wünschen, denn er befand sich in einem Lande, wo es solche in Menge geben mußte. Die Indianer, welche die Federn dieser Vögel so kunstvoll zu behandeln verstehen, haben an die Edelsteine der gefiederten Welt die sinnigsten Namen verschwendet. Sie nennen sie z.B. die »Strahlen« oder die »Haare der Sonne«, hier flattert der »König der Blumen«, dort die »Himmelsblume, welche die irdischen Blüthen liebkost«. Daneben wiegt sich das »Sträußchen von Edelsteinen, das im Licht des Tages flimmert«. Man kommt zu dem Glauben, daß ihre rege Einbildungskraft für jede der fünfhundert Abarten, welche die Familie der Kolibris zählt, einen neuen poetischen Namen erfunden habe.
So zahlreich diese winzigen Vöglein aber in den Wäldern Bolivias auch hätten sein müssen, der kleine Jack mußte sich vorläufig mit Harris Versprechen genügen lassen. Nach der Aussage des Amerikaners befand man sich jetzt noch zu sehr in der Nähe der Küste, und die Kolibris lieben die dem Ocean benachbarten Wälder bekanntlich nicht. Die Gegenwart des Menschen verscheucht sie dagegen nicht, und auf der Hacienda sollte man den ganzen Tag ihr »Teretere« hören und das dem Schnurren eines Spinnrades ähnliche Summen ihrer Flügel vernehmen.
»Ei, ich möchte schon dort sein!« rief der kleine Jack entzückt.
Das sicherste Mittel, die Hacienda bald zu erreichen, war nun gewiß darin zu sehen, daß man sich unterwegs möglichst wenig aufhielt. Mrs. Weldon und ihre Begleiter gönnten sich deshalb auch nur die unumgänglich nöthige Zeit zur Ruhe.
Die Umgebung wechselte ihr Aussehen. Zwischen den verstreuten Bäumen öffneten sich viele Lichtungen. Wo die Sonne den Gräserteppich durchdrang, zeigte sie den röthlichen Granit und Syenit des Bodens, welch’ letzterer manchmal Platten von Lapis-lazuli ähnlich aussah.
Auf höheren Stellen wucherte die Sarsaparille, eine Pflanze mit fleischigen Höckern, welche einen fast unentwirrbaren Knäuel bildet. Alles in Allem hätte man doch dem Wald mit seinen schmalen Pfaden den Vorzug gegeben.