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– Gewiß, Tom, und noch dazu, daß er in diesem Augenblick nicht sehr entfernt ist.

– Aber… weshalb? sagte Tom.

– Entweder kannte Negoro dieses Land nicht, erwiderte Dick Sand, und dann lag es in seinem Interesse, uns nicht aus dem Gesichte zu verlieren…

– Oder?… fragte Tom, den Leichtmatrosen fast ängstlich anblickend.

– Oder, fuhr Dick Sand fort, er kannte es, und dann…

– Doch wie sollte Negoro diese Gegend kennen? Er hat sie niemals gesehen!

– Niemals gesehen? murmelte Dick Sand. Jedenfalls steht das Eine fest, daß Dingo sich so benimmt, als ob der von ihm gehaßte Mann sich uns genähert hätte!…«

Er unterbrach sich, um den Hund zu rufen, der nach einigem Zögern herbeikam.

»He, rief er, Negoro! Negoro!«

Ein wüthendes Bellen war Dingo’s Antwort. Jener Name übte auf ihn den gewohnten Einfluß und er sprang voraus, als wäre Negoro hinter einem Gebüsche versteckt.

Harris hatte den ganzen Auftritt mit angesehen. Mit fest aufeinander gepreßten Lippen näherte er sich dem Leichtmatrosen.

»Was wollen Sie denn von Dingo? fragte er.

– O, eigentlich gar nichts, antwortete scherzend der alte Tom. Wir fragten ihn nur um Nachricht über unseren früheren Schiffsgenossen, der uns verschwunden ist.

– Ah so, entgegnete der Amerikaner, über jenen Portugiesen, den Schiffskoch, von dem Sie mir schon sprachen?

– Von demselben, bestätigte Tom; wenn man Dingo hört, möchte man glauben, daß Negoro in der Nähe sei.

– Wie hätte er hierher kommen sollen? antwortete Harris. So viel ich weiß, hat er dieses Land ja nie gesehen.

– Wenn er uns das nicht verschwiegen hat, meinte Tom.

– Das wäre doch sonderbar, sagte Harris. Doch wenn Sie wollen, suchen wir das Gebüsch ab. Es ist ja möglich, daß der arme Teufel Hilfe braucht, daß er in Noth ist…

– Das ist wohl unnöthig, Herr Harris, lehnte Dick Sand ab. Wußte Negoro bis hierher zu gelangen, so wird er sich auch weiter zu finden wissen. Er ist der Mann dazu, sich aus der Verlegenheit zu helfen.

– Ganz wie Sie wünschen, antwortete Harris.

– Allons, Dingo, sei still!« rief Dick Sand dem Hunde befehlend zu, um dem Gespräch ein Ende zu machen.

Die andere, dem Leichtmatrosen auffallende Beobachtung bezog sich auf das Pferd des Amerikaners.

Es schien nicht, als ob dasselbe »den Stall röche«, wie man das an Pferden von seiner Race bemerkt. Es zog die Luft nicht begieriger ein, beeilte seinen Gang nicht, erweiterte nicht die Nase und stieß nicht jenes Wiehern aus, wodurch es das Ende einer Reise andeutet. Alles in Allem verhielt es sich ebenso indifferent, als ob die Hacienda, nach der es mehrmals gekommen war und die ihm einigermaßen bekannt sein mußte, noch Hunderte von Meilen entfernt wäre.

»Das ist kein Pferd, welches seine Behausung wittert!« dachte der junge Leichtmatrose.

Dennoch sollten, nach Harris’ Angaben vom Tage vorher, nur noch sechs Meilen zurückzulegen sein, und von diesen letzten sechs Meilen waren um fünf Uhr Abends gewiß schon vier durchwandert. Sowie das Pferd nichts vom Stall roch, dessen es doch selbst recht nöthig bedurfte, so deutete auch kein anderer Umstand auf die Nähe einer großen Ansiedelung hin, wie die Hacienda de San Felipe es ja sein sollte.

Mrs. Weldon, der sonst Alles, was nicht ihr Kind betraf, so ziemlich gleichgiltig war, verwunderte sich doch über diese so öde Gegend. Wie! Nicht ein Eingeborner, kein Beamter, kein Knecht der Hacienda, die nun so nahe lag! Hätte Harris sich dennoch verirrt? Nein, er versicherte das Gegentheil. Eine weitere Verzögerung wäre für den kleinen Jack der Tod gewesen!

Harris schritt unverdrossen vorwärts; doch er schien sich im Walde umzusehen und nach rechts und links auszulugen, wie Jemand, der seiner selbst oder seines Weges nicht ganz sicher ist.

Mrs. Weldon schloß die Augen, um ihn nicht ferner zu sehen.

Nach einer etwa eine Meile breiten offenen Ebene folgte wiederum Wald, wenn auch nicht so dicht wie im Westen, und die kleine Gesellschaft verschwand auf’s Neue unter den großen Bäumen.

Gegen sechs Uhr Abends erreichte man ein Dickicht, durch das kurz vorher eine Anzahl großer Thiere gebrochen zu sein schienen.

Dick Sand faßte die ganze Umgebung scharf in’s Auge.

In einer Höhe, weit über der des menschlichen Körpers, waren die Zweige geknickt oder abgerissen. Durch das niedergetretene Gras leuchtete der Boden, der ein wenig sumpfig war, und dabei sah man die Abdrücke von Tatzen, welche Jaguaren oder Couguaren nicht angehören konnten.

Waren es nun »Ais« oder andere Faulthiere gewesen, die den Erdboden so gezeichnet hatten? Wie sollte man dann aber das Abbrechen der Zweige in so großer Höhe erklären?

Elefanten hätten wohl dergleichen Fußspuren hinterlassen und eine solche Oeffnung in das Dickicht reißen können. Elefanten giebt es aber in Amerika nicht. Diese ungeheueren Dickhäuter gehören der Neuen Welt nicht weder ursprünglich an, noch hat man sie jemals daselbst acclimatisirt.

Die Hypothese, daß hier Elefanten vorüber gekommen seien, erschien also ganz unzulässig.

Was hier auch vorlag, jedenfalls machte Dick Sand Niemand von seinen Gedanken über diese unerklärliche Erscheinung Mittheilung. Er fragte hierüber nicht einmal den Amerikaner. Wessen hatte er sich auch von einem Manne zu versehen, der versucht hatte, ihm Giraffen für Strauße auszugeben? Harris hätte gewiß irgend eine mehr oder weniger plausible Erklärung bei der Hand gehabt, die an der gegebenen Lage doch nichts zu ändern im Stande war.

Doch wie dem auch sei, Dick Sand’s Urtheil über Harris stand nun fest. Er sah ihn für das, was er war, für einen Verräther an! Er wartete nur noch auf die Gelegenheit, seine Nichtswürdigkeit vollständig zu beweisen, und Alles verrieth ihm, daß diese Gelegenheit nicht mehr fern sein könne.

Was konnte aber Harris’ heimlicher Endzweck sein? Welches Schicksal stand den Ueberlebenden vom »Pilgrim« wohl bevor? Dick Sand sagte sich wiederholt, daß seine persönliche Verantwortlichkeit mit dem Schiffbruche noch nicht zu Ende sei.

Es lagen dort auf der Erde abgeschnittene Hände. (S. 219.)

Ihm lag es jetzt fast mehr als je ob, für das Heil Derjenigen zu sorgen, welche das Unglück auf diese Küste geworfen hatte: diese Frau, das junge Kind, jene Neger, alle seine Schicksalsgefährten erwarteten ihre Rettung allein von ihm. Wenn er aber auch im Stande gewesen war, auf dem Schiffe so Manches für sie zu leisten, so lange er als Seemann auftrat, was sollte er hier gegenüber den ihnen noch drohenden Gefahren beginnen?

Dick Sand, das Jagdmesser in der Hand…. (S. 221.)

Dick Sand wollte vor der entsetzlichen Wirklichkeit, welche jeden Augenblick an sie herantreten konnte, die Augen nicht verschließen. War er auf dem »Pilgrim« der Kapitän von fünfzehn Jahren gewesen, in der jetzigen Noth ward er es wieder! Er wollte jedoch nichts sagen, was die arme Mutter ängstigen konnte, bevor für ihn der Augenblick zum Handeln gekommen wäre.

Und er sagte nichts, selbst als er am Ufer eines ziemlich breiten Flusses, der etwa hundert Schritte vor den Wanderern lag, eine Anzahl ungeheuerer Thiere unter dem Gesträuch des Flußrandes verschwinden sah.

»Flußpferde! Flußpferde!« wollte er ausrufen.

In der That, es waren solche Pachydermen mit enormem Kopfe und dicker Schnauze, deren Mundöffnung mit über fußlangen Zähnen bewaffnet ist, mit den kurzen kräftigen Beinen und der haarlosen, rothbraunen Haut! Flußpferde in Amerika!

Mit großer Mühe wanderte man auch diesen Tag weiter. Die Anstrengung lähmte allmälig auch die Kräftigsten. Es war wirklich hohe Zeit, an’s Ziel zu gelangen, oder man mußte sich zu einem längeren Aufenthalt entschließen.