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Die einzig mit ihrem Jack beschäftigte Mrs. Weldon fühlte zwar die Ermüdung nicht, doch ihre Kräfte waren vollständig erschöpft. Mehr oder weniger abgemattet waren Alle. Dick Sand hielt eine wahrhaft übernatürliche Energie, eine Folge seines strengen Pflichtgefühls, noch aufrecht.

Gegen vier Uhr Nachmittags fand der alte Tom im Grase einen Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Waffe, eine Art Messer von besonderer Gestalt, mit breiter, gebogener Klinge, welche in einem grob verzierten Handgriffe von Elfenbein befestigt war.

Tom brachte Dick Sand dieses Messer. Letzterer prüfte es und zeigte es zuletzt dem Amerikaner, indem er sagte:

»Ohne Zweifel sind nun Eingeborne in der Nähe.

– Ja, wahrhaftig, antwortete Harris, und doch…

– Doch? wiederholte Dick Sand und sah Harris scharf in’s Gesicht.

– Wir müßten jetzt eigentlich bei der Hacienda sein, fuhr Harris zögernd fort, und doch erkenne ich nicht…

– Sie haben sich also doch verirrt? fragte Dick Sand schnell.

– Verirrt, nein… Die Hacienda kann jetzt keine drei Meilen weit von uns sein. Ich dachte aber, durch den Wald den nächsten Weg einzuschlagen, und daran that ich vielleicht unrecht.

– Vielleicht, antwortete Dick Sand.

– Es wird am Besten sein, ich gehe allein voraus, sagte Harris.

– Nein, Herr Harris, erwiderte Dick Sand in entschiedenem Tone wir trennen uns jetzt nicht!

– Ganz wie Sie wünschen, lenkte der Amerikaner ein. Während der Nacht würde ich Sie jedoch schwerlich weiter führen können.

– Das thut nichts, antwortete Dick Sand, so machen wir noch einmal Halt. Mistreß Weldon wird nichts dagegen haben, noch eine Nacht unter freiem Himmel zuzubringen, und morgen am hellen Tage setzen wir unseren Weg fort. Noch zwei oder drei Meilen, das wird in etwa einer Stunde abgemacht sein.

– Meinetwegen!« erwiderte Harris.

Da ließ Dingo ein wüthendes Bellen hören.

»Hierher, Dingo, hier! rief Dick Sand, Du weißt, daß hier Niemand ist und wir in der Einöde wandern!«

Man entschloß sich also zu diesem letzten Halt. Mrs. Weldon ließ ihre Gefährten schalten, ohne ein Wort dazu zu sagen.

Der vom Fieber ergriffene kleine Jack ruhte in ihren Armen.

Man suchte die geeigneteste Stelle zu einem Nachtlager.

Unter einer großen Baumgruppe gedachte Dick Sand die nöthigen Vorbereitungen zum Ausruhen zu treffen. Da hielt der alte Tom, der ihm bei seiner Arbeit half, ihn plötzlich an und rief:

»Herr Dick! Sehen Sie da!

– Was giebt’s, mein alter Tom? fragte Dick Sand mit dem ruhigen Tone eines Mannes, der auf Alles gefaßt ist.

– Da… da…, flüsterte Tom, unter jenen Bäumen… Blutspuren!… Und dort… auf der Erde… verstümmelte Gliedmaßen!…«

Dick Sand eilte nach der vom alten Tom bezeichneten Stelle. Dann kam er zurück und sagte:

»Schweig’ Tom, schweig’ nur jetzt!«

Wirklich lagen dort auf der Erde abgeschnittene Hände und neben diesen menschlichen Ueberresten einige zerbrochene Zwingen und eine gesprengte Kette.

Zum Glück hatte Mrs. Weldon dieses grausige Bild nicht gesehen.

Harris hielt sich bei Seite, und wer ihn jetzt beobachtet hätte, würde über die Veränderung betroffen gewesen sein, die mit ihm vorgegangen war. Aus seinem Antlitz sprach eine trotzige Wildheit.

Dingo war Dick Sand nachgelaufen und bellte wüthend vor diesen blutigen Ueberbleibseln.

Der Leichtmatrose hatte große Mühe, ihn davon wegzutreiben.

Der alte Tom stand beim Anblick dieser Zwingen und der zersprengten Kette unbeweglich da, als seien seine Füße im Erdboden festgewurzelt. Die Augen weit geöffnet, die Hände krampfhaft geballt, starrte er darauf hin und murmelte unzusammenhängende Worte.

»Ich sah sie… ich sah sie schon früher… diese Zwingen… noch ganz klein… da hab’ ich sie gesehen!…«

Offenbar erwachten in ihm wieder einige dunkle Erinnerungen aus seiner frühesten Kindheit. Er wollte sprechen.

»Schweig’, lieber Tom! wiederholte Dick Sand, um Mistreß Weldon, um unser Aller willen, schweig’!«

Der Leichtmatrose führte den alten Tom weg

In einiger Entfernung wurde ein anderer Platz ausgewählt und Alles für die Nacht vorbereitet.

Eine Mahlzeit ward aufgetragen, doch kaum angerührt. Die Ermüdung besiegte den Hunger. Alle unterlagen dem unerklärlichen Eindrucke einer Unruhe, welche fast an Schrecken grenzte.

Allmälig sank die Dunkelheit herab. Bald war es tiefe Finsterniß. Der Himmel hatte sich mit mächtigen Gewitterwolken bedeckt. Am westlichen Horizonte sah man zwischen den Bäumen manchmal etwas Wetterleuchten. Der Wind hatte sich gelegt, kein Blättchen rührte sich in den Bäumen. Auf das Geräusch des Tages folgte eine Todtenstille; man hätte glauben mögen, die von Elektricität gesättigte, bleischwere Atmosphäre sei nicht mehr im Stande, Schallwellen fortzupflanzen.

Dick Sand, Austin und Bat wachten miteinander. Sie bemühten sich, in der dunklen Nacht zu sehen und zu hören, ob irgend ein Lichtschein, irgend ein verdächtiges Geräusch ihre Augen oder Ohren träfe. Nichts unterbrach indeß weder die Ruhe, noch die Finsterniß des Waldes. Tom, der weniger erschöpft, als in seine Erinnerungen versunken war, blieb unbeweglich, als hätte ihn ein Blitzstrahl getroffen.

Mrs. Weldon wiegte ihr Kind im Arme und hatte keine Gedanken für etwas Anderes.

Vetter Benedict war vielleicht der Einzige, welcher schlief, da sich auf ihn die allgemeine Stimmung nicht übertrug. So weit ging sein Vorgefühl eben nicht.

Plötzlich gegen elf Uhr ertönte ein langes, dumpfes Gebrüll, dem sich ein scharfer, lauter Ton beimischte.

Tom sprang auf und wies mit der Hand nach einem höchstens eine Meile entfernten dichten Gebüsche.

Dick Sand ergriff seinen Arm, konnte aber nicht hindern, daß Tom noch mit lauter Stimme ausrief:

»Der Löwe! der Löwe!«

Das Brüllen, welches er in seiner Kindheit so oft gehört, mußte der alte Neger wohl wieder erkennen!

»Der Löwe!« sagte er noch einmal.

Dick Sand vermochte sich nicht länger zu bemeistern, sondern stürzte, das Jagdmesser in der Hand, nach dem Platze, den Harris einnahm.

Harris war nicht mehr da und sein Pferd mit ihm verschwunden.

In Dick Sand’s Geiste ward es jetzt vollständig Tag… er war nicht, wo er zu sein glaubte!

Es war also die amerikanische Küste nicht, an der der »Pilgrim« aus Land kam. Auch die Osterinsel konnte es nicht gewesen sein, nach der der Leichtmatrose seine Position im Meere draußen bestimmt hatte, sondern irgend eine andere Insel, welche etwa ebenso im Westen des Continentes liegen mußte, wie die Osterinsel im Osten von Amerika!

Während eines Theiles der Reise täuschte ihn der Compaß, wovon wir ja die Ursache kennen. Vom Sturm in falscher Richtung verschlagen, hatte er das Cap Horn umschifft und war aus dem Stillen Ocean in den Atlantischen gekommen. Ohne sein Wissen segelte das Schiff, dessen Geschwindigkeit er nur mangelhaft zu bestimmen vermochte, von dem furchtbaren Orkane getrieben, noch einmal so schnell, als er geglaubt hatte.

Deshalb also fehlten die Kautschuk-und Chinabäume, die Erzeugnisse Südamerikas in diesem Lande, das weder das Plateau von Atacama, noch die Pampa von Bolivia war!

Giraffen waren es gewesen und keine Strauße, welche nahe der Waldlichtung entflohen, Elefanten, welche durch das dichte Buschwerk brachen! Flußpferde, deren Ruhe im hohen Grase Dick Sand gestört hatte. Die Tetse war es, die Diptere, welche Vetter Benedict gefangen, die furchtbare Tetse, deren Stich die Thiere der Karawanen tödtet.

Das Brüllen des Löwen endlich war es gewesen, das eben aus dem Walde dröhnte! Und diese Zwingen, diese Kette, das eigenthümliche Messer, das waren Werkzeuge eines Sklavenhändlers. Jene verstümmelten Hände gehörten einst unglücklichen Gefangenen an!