– Wahrhaftig!« bestätigte Harris, der sein Gewehr ergriff und sich schußfertig machte.
Negoro und er erhoben sich, schauten rings umher und lauschten mit gespanntester Aufmerksamkeit.
»Es ist nichts, erklärte Harris bald darauf. Der Bach ist in Folge des letzten Gewitters angeschwollen und fließt jetzt mit lauterem Rauschen dahin. Binnen zwei Jahren, Kamerad, hast Du die Sprache der Wälder verlernt; wirst Dich schon wieder daran gewöhnen. Erzähle Deine Abenteuer ruhig weiter. Wenn ich Deine Vergangenheit kennen gelernt, wollen wir über die Zukunft sprechen!«
Negoro und Harris hatten sich am Fuße der Banane wieder niedergesetzt. Der Portugiese fuhr also fort:
»Achtzehn Monate lang vegetirte ich in Auckland. Nach Ankunft des Dampfers konnte ich unbemerkt von Bord gehen; aber keinen Piaster, keinen Dollar in der Tasche! Um leben zu können, mußte ich jedes Geschäft ergreifen…
– Auch das eines ehrlichen Mannes, Negoro?
– Wie Du sagst, Harris.
– Armer Junge!
– Ich wartete dabei immer auf eine Reisegelegenheit, welche doch gar nicht kommen wollte, bis der Walfischfänger, der »Pilgrim«, im Hafen von Auckland einlief.
– Derselbe, der an der Küste von Angola auffuhr?
– Derselbe, Harris, und auf dem gleichzeitig Mrs. Weldon, ihr Kind und ihr Vetter überfahren wollten. Als gefahrener Seemann, denn ich war ja selbst einmal zweiter Officier an Bord eines Sklavenschiffes, brachte es mich nicht in Verlegenheit, auf einem Fahrzeuge Dienst zu nehmen. Ich stellte mich demnach dem Kapitän des »Pilgrim« vor, dessen Mannschaft freilich schon complet war. Zu meinem Glücke hatte sich der Koch der Brigg-Goëlette heimlich davon gemacht. Einen Seemann, der nicht in der Küche Bescheid wüßte, giebt es bekanntlich nicht. Ich bot mich also als Schiffskoch an. In Ermangelung eines Besseren wurde ich als solcher angestellt und wenige Tage darauf schon hatte der »Pilgrim« Neu-Seeland außer Sicht verloren.
– Nach dem aber, warf Harris ein, was mein junger Freund gelegentlich erzählte, segelte der »Pilgrim« keineswegs nach der Küste von Afrika. Wie kam er nun hierher?
– Das wird Dick Sand freilich noch nicht durchschaut haben und es voraussichtlich niemals einsehen, antwortete Negoro; Dir, Harris, will ich’s jedoch erklären, und wenn Dir’s Vergnügen macht, kannst Du es Deinem jungen Freunde ja einmal wieder mittheilen.
– Also wie? fragte Harris noch einmal, erzähle, Kamerad!
– Der »Pilgrim«, begann Negoro, steuerte auf Valparaiso. Als ich mich einschiffte, dachte ich auch nur, dadurch bis Chile zu gelangen. Das war immerhin die gute Hälfte des Weges von Neu-Seeland nach Angola und ich näherte mich damit der Küste Afrikas ja um mehrere tausend Meilen. Da traf es sich, daß Kapitän Hull, der Befehlshaber des »Pilgrim«, drei Wochen nach der Abfahrt von Auckland bei Gelegenheit einer Walfischjagd mit der ganzen Mannschaft zu Grunde ging! Seitdem befanden sich nur noch zwei eigentliche Seeleute an Bord, der Leichtmatrose und der Koch Negoro.
– Und Du übernahmst die Führung des Schiffes? fragte Harris.
– Daran dachte ich wohl im ersten Augenblick, doch ich sah, daß man mir nicht traute. An Bord befanden sich nämlich auch fünf stämmige, freie Neger. Ich hätte mich nicht als Befehlshaber behaupten können und blieb nach reiflicher Ueberlegung, was ich vorher gewesen, der Koch auf dem »Pilgrim«.
– Demnach wäre das Schiff nur zufällig nach der Küste Afrikas gelangt?
– O nein, Harris, antwortete Negoro, dem Zufall ist hierbei nichts weiter zu verdanken, als daß ich Dich auf einem Deiner Streifzüge gerade an demjenigen Küstenpunkte treffen mußte, wo der »Pilgrim« scheiterte. Daß wir aber nach Angola gekommen sind, das geschah nach meinem unbemerkt wirkenden Willen. Dein junger Freund ist noch etwas gar zu sehr Neuling in der Navigation und vermochte seine Position nur mittelst Log und Boussole zu bestimmen. Nun, siehst Du, eines Tages ging das Log auf den Grund und in einer dunklen Nacht ward der Compaß in seiner Weisung gestört, so daß der von heftigem Sturme getriebene »Pilgrim« einen falschen Kurs einhielt. Die lange Dauer der Ueberfahrt erschien Dick Sand freilich unbegreiflich, was dem erfahrensten Seemanne nicht anders ergangen wäre. Ohne daß unser Leichtmatrose es wissen oder nur muthmaßen konnte, ward das Cap Horn doublirt, wobei ich es übrigens mitten im Nebel ganz sicher erkannte. Nachher nahm die Compaßnadel durch meine Veranstaltung wieder die wahre Richtung an und das von einem beispiellosen Orkane gejagte Schiff flog nach Nordosten und ging an der Küste von Angola, nach der ich ja zu gelangen strebte, jämmerlich zu Grunde.
– Und genau zu der Zeit, Negoro, fuhr nun Harris fort, führte mich der Zufall eben dorthin, um Dich zu empfangen und jene wackeren Leute in’s Innere zu führen. Sie glaubten – sie konnten ja nicht anders – in Amerika zu sein, und es gelang mir leicht, diese Provinz für Unter-Bolivia auszugeben, mit der sie wirklich einige Aehnlichkeit hat.
– Gewiß, sie glaubten das ebenso, wie Dein junger Freund die Osterinsel vor sich zu haben wähnte, als wir Tristan d’Acunha in Sicht hatten!
– Darin hätte sich jeder Andere ebenso getäuscht, Negoro.
– Ich weiß, Harris, und ich rechnete nicht wenig darauf, aus diesem Irrthum Nutzen zu ziehen. Nun, jetzt haben wir ja Mistreß Weldon und ihre Begleiter hundert Meilen im Innern von Afrika, wohin ich sie bringen wollte.
– Aber, meinte Harris, sie wissen nun, wo sie sind.
– O, das hat jetzt auch nichts mehr zu bedeuten! rief Negoro.
– Und was denkst Du mit ihnen zu beginnen? fragte Harris.
– Was ich mit ihnen anfange, wiederholte Negoro… Ja, bevor wir davon sprechen, erzähle Du mir von unserem alten Herrn, dem Sklavenhändler Alvez, den ich seit zwei Jahren nicht gesehen habe.
– O, der alte Spitzbube befindet sich vorzüglich gut, sagte Harris, und wird sich freuen, Dich wieder zu sehen.
– Ist er etwa auf dem Markte in Bihe? fragte Negoro.
– Nein, Kamerad, seit einem Jahre verlegte er sein Etablissement nach Kazonnde.
– Und das Geschäft blüht?
– Ja, bei allen Teufeln! rief Harris, obwohl der Sklavenhandel, mindestens an dieser Küste, von Tag zu Tag schwieriger wird. Die portugiesischen Behörden auf der einen und die englischen Kreuzer auf der anderen Seite bereiten dem Export immer mehr Schwierigkeiten. Nur in der Umgebung von Messamedes, im Süden von Angola, ist die Einschiffung von Negern noch mit einiger Aussicht auf Erfolg zu versuchen. Eben jetzt sind die Baracken vollgestopft mit Sklaven, welche die Schiffe zu ihrer Ueberführung nach spanischen Besitzungen erwarten. Sie über Benguela oder San Pablo de Loanda zu führen, ist jetzt rein unmöglich. Die Gouverneure nehmen keine Vernunft mehr an, und die Chefs (Titel der portugiesischen Statthalter in den Niederlassungen zweiten Ranges) ebenso. Man mußte sich aus diesem Grunde nach den Factorien des Binnenlandes wenden, und das gedenkt der alte Alvez ebenfalls zu thun. Er will nun längs des N’yangwe und Taganyika seine Stoffe gegen Elfenbein und Sklaven austauschen. Mit Ober-Egypten und der Küste von Mozambique, welche Madagaskar versorgt, sind noch immer gute Geschäfte zu machen. Immerhin fürchte ich, wird die Zeit kommen, da es mit dem Sklavenhandel zu Ende ist. Die Missionäre dringen immer weiter vor und untergraben uns den Boden. Dieser Livingstone, den Gott verderben möge, will sich, wie man sagt, nach Durchforschung des Gebietes der großen Seen nach Angola wenden. Dann verlautet auch von einem Lieutenant Cameron, er wolle den Continent von Osten nach Westen durchwandern. Nebenbei fürchtet man von dem Amerikaner Stanley dasselbe. Diese Besuche müssen unsere Operationen unzweifelhaft schädigen, Negoro, und wenn wir noch eine Empfindung für unsere Interessen besitzen, darf keiner jener Reisenden nach Europa zurückkehren, um dort indiscreter Weise zu berichten, was er in Afrika gesehen hat!«
Glaubt man nicht, wenn man diese Schurken so reden hört, die Verhandlungen achtbarer Kaufleute zu vernehmen, deren Thätigkeit eine Handelskrise für den Augenblick bedroht und lahm legt? Wer kommt auf den Gedanken, daß es sich hier statt um Kaffeeballen und Zuckerfässer um den Export menschlicher Wesen handelt? Für Recht und Unrecht haben diese Sklavenhändler kein Gefühl. Die Moral fehlt ihnen ganz und gar, und besäßen sie solche zuerst wirklich, inmitten der teuflischen Grausamkeiten des afrikanischen Negerhandels ginge sie ihnen doch schnell und unmerklich verloren.