Darin allerdings hatte Harris Recht, daß die Civilisation dem Fuße jener kühnen Pionniere, deren Namen unaufhörlich mit der Geschichte der Erforschung des äquatorialen Afrika verwebt sind, langsam, aber stetig nachfolgt. Voran David Livingstone, nach ihm Grant, Speke, Vogel, Burton, Cameron, Stanley – Alle hinterlassen den unvergänglichsten Nachruhm als opferfreudige Wohlthäter der Menschheit.
Harris kannte jetzt die letzten zwei Jahre aus dem Leben Negoro’s. Der langjährige Agent des Sklavenhändlers Alvez, der Flüchtling aus dem Bagno von Loanda, erschien noch ganz ebenso, wie er sich früher gezeigt, d.h. bereit und entschlossen zu Allem. Noch wußte Harris jedoch nicht, was Negoro mit den Schiffbrüchigen vom »Pilgrim« im Sinne hatte und fragte ihn deshalb darüber.
»Was denkst Du nun, sagte er, mit jenen Leuten zu beginnen?
– Ich trenne sie zunächst in zwei Theile, antwortete Negoro im Tone eines Mannes, dessen Plan schon lange im Kopfe fertig ist, erstens diejenigen, welche als Sklaven verkauft werden sollen, und die…«
Der Portugiese vollendete seinen Satz zwar nicht, doch seine trotzig wilde Physiognomie sprach für ihn deutlich genug.
»Welche von jenen denkst Du zu verkaufen? fragte Harris.
– Natürlich die Neger, welche Mistreß Weldon begleiten, erklärte Negoro. Der alte Tom hat vielleicht keinen großen Werth, die anderen Bier aber sind stämmige Burschen, aus denen auf dem Markte zu Kazonnde ein gut Stück Geld herauszuschlagen ist.
– Das will ich glauben, Negoro! stimmte Harris bei, das sind ja vier wohlgebaute, an Arbeit gewöhnte Neger, welche sich von dem aus dem Inneren kommenden – Vieh recht vortheilhaft unterscheiden. Gewiß, diese wirst Du theuer verkaufen. In Amerika geborne und nach dem Markte von Kazonnde abgeführte Sklaven sind eine seltene Waare! – Doch, setzte der Amerikaner hinzu, Du sagtest mir noch gar nicht, ob sich an Bord des »Pilgrim« nicht auch einiges Geld vorfand?
– O, nur wenige hundert Dollars, die ich zu retten vermochte. Zum Glück rechne ich auf gewisse Einkünfte…
– Und welche denn, Kamerad? fragte Harris neugierig.
– Ah, nichts… nichts! antwortete Negoro, der schon zu bedauern schien, daß er mehr, als ihm lieb war, gesprochen hatte.
– Es bleibt also unsere nächste Aufgabe, diese ganze Waare für möglichst hohen Preis abzusetzen, sagte Harris.
– Sollte das so schwer sein? fragte Negoro.
– Nein, Kamerad. An der Coanza, nur zehn Meilen von hier, lagert eine von dem Araber Ibn Hamis geführte Sklaven-Karawane, welche nur meine Rückkehr abwartet, um nach Kazonnde aufzubrechen. Dort befinden sich mehr eingeborne Soldaten, als zur Gefangennahme Dick Sand’s und seiner Genossen nöthig sind. Dazu gehörte also nur, daß mein junger Freund auf den Gedanken käme, sich nach der Coanza zu wenden…
– Wird das aber der Fall sein? fragte Negoro.
– Gewiß, behauptete Harris, da er intelligent ist und die ihm hier drohende Gefahr nicht argwöhnen kann. Dick Sand kann gar nicht daran denken, auf dem von uns gemeinschaftlich verfolgten Wege zurückzukehren; er müßte sich inmitten jener unbegrenzten Wälder verirren. Ohne Zweifel wird er also einen nach der Küste zu strömenden Fluß zu erreichen und auf diesem mittelst Flosses abwärts zu fahren versuchen. Er kann keinen anderen Ausweg ergreifen, er wird es thun.
– Ja… vielleicht!… meinte Negoro nachdenklich.
– Nicht »vielleicht«, »bestimmt« mußt Du sagen, erwiderte Harris. Siehst Du, Negoro, das liegt Alles so, als hätte ich mit meinem jungen Freunde am Ufer der Coanza ein Stelldichein verabredet.
– Gut denn, antwortete Negoro, brechen wir also auf! Ich kenne Dick Sand. Er wird keine Stunde zögern; wir müssen ihm zuvorkommen.
– Vorwärts, Kamerad!«
Harris und Negoro erhoben sich, als das Geräusch, das die Aufmerksamkeit des Portugiesen schon einmal erregt hatte, sich von Neuem hören ließ. Es rührte von einer Bewegung der Stengel in den hohen Papyrusstauden her.
Negoro stand still und ergriff Harris’ Hand.
Plötzlich ließ sich ein verhaltenes Knurren vernehmen. An dem schrägen Bachesufer erschien, zum Sprunge bereit, ein Hund mit geöffneter Schnauze.
»Dingo! rief Harris.
– Ah, diesmal soll er mir nicht davon kommen!« antwortete Negoro.
Dingo verschwand zwischen der Doppelwand von Büschen. (S. 247.)
Eben wollte sich Dingo auf ihn stürzen, als Negoro, der Harris’ Gewehr ergriffen hatte, schnell anlegte und Feuer gab.
Ein langes, schmerzliches Geheul antwortete dem Krachen des Schusses und Dingo verschwand zwischen der Doppelwand von Büschen am Ufer des Baches.
»Ihr habt das Brüllen gehört?« (S. 252.)
Negoro eilte sofort nach jener Stelle.
An den Papyrusstengeln zeigten sich einzelne Blutflecken und eine lange röthliche Spur verlief über die Kiesel des Baches.
»Endlich hat das verdammte Thier seine Rechnung bezahlt bekommen!« rief Negoro.
Ohne ein Wort zu sprechen, hatte Harris dem ganzen Vorgange beigewohnt.
»Alle Kuckuck, Negoro, sagte er, der Hund schien es ganz besonders auf Dich abgesehen zu haben?
– So scheint es, Harris, doch letzt hat er seinen Theil.
– Und warum hegte er einen solchen Haß gegen Dich, Kamerad?
– O, das rührt noch von einer alten Geschichte zwischen ihm und mir her.
– Von einer alten Geschichte?…« wiederholte Harris.
Negoro gab keine weitere Antwort und Harris schloß daraus, daß ihm der Portugiese irgend einen Vorfall aus der Vergangenheit verheimlicht habe; doch ließ er die Sache ruhen.
Wenige Minuten später wandten sich Beide von dem Bette des Baches weg quer durch den Wald nach der Coanza.
Drittes Capitel.
Unterwegs.
Afrika! Dieser unter den gegebenen Umständen so entsetzliche Name, der von nun an an die Stelle des Namens Amerika zu treten hatte, verschwand keinen Augenblick aus den Augen Dick Sand’s. Versetzte sich der junge Leichtmatrose im Geiste um einige Wochen zurück, so legte er sich nur die Frage vor, wie der »Pilgrim« habe dazu gelangen können, diese gefährliche Küste anzulaufen, wie er das Cap Horn umsegelt und von einem Ocean in den anderen gerathen sei? Jetzt freilich erklärte er sich wenigstens den Umstand, daß sich trotz der Schnelligkeit seines Schiffes immer kein Land habe zeigen wollen, da sich die Wegeslänge bis zur Küste Amerikas ohne sein Wissen nahezu verdoppelt hatte.
»Afrika! Afrika!« wiederholte Dick Sand noch immer.
Da kam ihm plötzlich, während er mit zäher Willenskraft die Ereignisse dieser unerklärlichen Ueberfahrt an seinem inneren Auge vorüberziehen ließ, der Gedanke, daß sein Compaß falsch gewiesen haben müsse. Er erinnerte sich auch, daß der eine Compaß zerbrach, daß die Logleine zerriß und ihm die Möglichkeit genommen wurde, die Schnelligkeit des Schiffes zu beurtheilen.
»Ja, ja! dachte er, es blieb nur noch ein Compaß übrig, dessen Angaben ich nicht zu controliren vermochte!.. Und in einer Nacht ward ich durch einen Schrei des alten Tom erweckt… Negoro befand sich gleichzeitig auf dem Hinterdeck… er war auf das Compaßhäuschen gefallen… konnte dadurch nicht eine Störung hervorgerufen werden?…«