Выбрать главу

In Dick Sand’s Geiste dämmerte es allmälig. Die Wahrheit lag für ihn auf der Hand. Er begriff endlich die ganze Zweideutigkeit in Negoro’s Benehmen; er erkannte seine Hand in jener ganzen Reihe von Unfällen, welche den Verlust des »Pilgrim« herbeigeführt, und Die, welche er trug, in so gefährliche Lage geführt hatten.

Für was aber sollte er jenen elenden Wicht halten? War er ein Seemann, was er doch stets zu verheimlichen suchte? War er wirklich im Stande, die fluchwürdigen Maßnahmen zu berechnen und auszuführen, welche das Schiff nach der Küste Afrikas treiben mußten?

Verhüllte die Vergangenheit aber auch noch einige dunkle Punkte, bezüglich der Gegenwart konnte davon gewiß keine Rede sein. Der junge Leichtmatrose wußte nur zu gut, daß er sich in Afrika befinde und höchst wahrscheinlich in der gefährlichen Provinz Angola, mehr als hundert Meilen weit von der Küste. Auch daß Harris die Rolle des Verräthers gespielt, unterlag bei ihm keinem Zweifel. Dann führte aber auch die einfache Logik zu der weiteren Schlußfolgerung, daß der Amerikaner und der Portugiese sich längst schon kannten, daß sie ein unseliger Zufall hier an der Küste zusammengeführt, und daß zwischen ihnen ein Plan verabredet worden sei, der für die Schiffbrüchigen des »Pilgrim« offenbar von den verderblichsten Folgen sein mußte.

Welches Motiv jedoch lag dieser häßlichen Handlungsweise zu Grunde? Daß Negoro sich mit List oder Gewalt Tom’s und seiner Genossen bemächtigen wollte, um diese als Sklaven zu verkaufen, konnte man wohl annehmen. Daß der Portugiese, von dem Gefühle des Hasses getrieben, sich an ihm, Dick Sand, der ihn nach Verdienst behandelt hatte, rächen wollte, war vielleicht auch zu begreifen. Was beabsichtigte der Elende aber mit Mrs. Weldon, mit der Mutter und deren unschuldigem Kinder

Hätte Dick Sand jenem Gespräche zwischen Harris und Negoro lauschen können, er würde gewußt haben, was jetzt drohte, welchen Gefahren Mrs. Weldon, die Neger und er selbst entgegengingen!

Gewiß, die Lage war entsetzlich, den jungen Leichtmatrosen lähmte sie nicht. Kapitän an Bord, wollte er auch Kapitän am Lande bleiben. Ihm lag die Pflicht ob, Mrs. Weldon, den kleinen Jack, alle Diejenigen, deren Loos der Himmel in seine Hand gegeben, zu erretten. Jetzt fing seine schwerere Aufgabe wirklich erst an. Er wollte und mußte sie zu Ende führen!

Nach zwei oder drei Stunden, während welchen er die guten und die schlechten Aussichten der Gegenwart und Zukunft gegen einander abwog – wobei freilich die schlechten ein großes Uebergewicht zeigten – erhob sich Dick Sand fest und entschlossen.

Die ersten Morgenstrahlen vergoldeten eben die hohen Gipfel der Bäume. Mit Ausnahme Tom’s und des Leichtmatrosen lagen Alle noch in tiefem Schlafe.

Dick Sand näherte sich dem alten Neger.

»Tom, begann er mit leiser Stimme, Ihr habt das Brüllen des Löwen gehört, habt die Werkzeuge eines Sklavenhändlers gefunden und erkannt, Ihr wißt, daß wir in Afrika sind?

– Ja, Herr Dick, das weiß ich.

– Nun gut, Tom; kein Wort hierüber! – weder gegen Mistreß Weldon noch gegen Eure Gefährten. Wir wollen diese Kenntniß für uns allein behalten, allein fürchten, was zu fürchten ist!…

– Allein… freilich… das ist nothwendig!… antwortete Tom.

– Tom, fuhr der Leichtmatrose fort, wir haben nun strenger zu wachen denn je. Wir sind im feindlichen Lande – und welche Feinde, welches Land! Es genügt, unseren Begleitern mitzutheilen, daß wir von Harris verrathen wurden, um sie zu warnen, auf ihrer Hut zu sein. Sie werden glauben, es drohe uns ein Angriff nomadisirender Indianer, das wird genügen.

– Sie können unbedingt auf ihren Muth und ihre Ergebenheit zählen, Herr Dick.

– Ich weiß es, ebenso wie ich auf Euren gesunden Verstand und Eure Erfahrung rechne. Ihr werdet mich doch unterstützen, mein alter Tom?

– Stets und in Allem, Herr Dick«’

Dick Sand’s Entschluß war gefaßt und fand die Zustimmung des alten Negers. Da Harris’ Verrath sofort, bevor noch die Stunde des Handelns gekommen, entdeckt wurde, so bedrohte den jungen Leichtmatrosen und seine Begleiter wenigstens keine augenblickliche Gefahr. Allem Anscheine nach hatte die Auffindung der von einigen Sklaven zurückgelassenen Eisen, sowie das unerwartete Gebrüll des Löwen das plötzliche Verschwinden des Amerikaners veranlaßt. Er hatte sich entdeckt gefühlt und war entflohen, wahrscheinlich bevor die kleine Gesellschaft, welche er in die Wildniß führte, die Stelle erreicht hatte, wo man sich ihrer bemächtigen wollte. Negoro, dessen Nähe Dingo während der letzten Reisetage offenbar gewittert hatte, mochte nun wohl mit Harris zur Berathschlagung weiterer Maßregeln zusammengetroffen sein. Jedenfalls vergingen einige Stunden, ehe Dick Sand und die Seinen eine Ueberrumpelung zu befürchten hatten, und diese galt es zu benutzen.

Der einzig in Frage kommende Plan lief darauf hinaus, so schnell als möglich die Küste wieder zu erreichen. Der junge Mann hatte allen Grund, anzunehmen, daß diese Küste die von Angola sei. Nach Erreichung derselben wollte Dick Sand nach Norden oder Süden ziehen, um eine portugiesische Ansiedlung zu treffen, in der seine Begleiter irgend eine Gelegenheit zur Rückkehr nach der Heimat in Ruhe und Sicherheit abwarten könnten.

Sollte man aber zur Rückreise nach der Küste den auf dem Herwege benutzten Weg einschlagen? Dick Sand dachte daran gar nicht, und hierin begegnete er Harris’ Muthmaßungen, der recht wohl vorausgesehen hatte, daß die Verhältnisse den jungen Leichtmatrosen nöthigen mußten, die kürzeste Route zu wählen.

In der That wäre es unvortheilhaft, um nicht zu sagen unklug gewesen, die beschwerliche Wanderung rückwärts durch den Wald zu wagen, welche im glücklichen Falle am ersten Ausgangspunkte endigen mußte. Dabei wäre es Negoro’s Spießgesellen auch geboten gewesen, ihnen auf sicherer Fährte nachzufolgen. Um ohne Hinterlassung sichtbarer Spuren davon zu kommen, blieb ihnen nur die Aufsuchung eines Wasserlaufes übrig, den sie geeigneten Falles zur Rückfahrt benutzen konnten. Gleichzeitig verminderten sich damit auch die Gefahren des Angriffs wilder Thiere, welche sich bis jetzt durch einen glücklichen Zufall noch in beruhigender Ferne gehalten hatten. Auch ein etwaiger Angriff von Seiten Eingeborner hatte unter diesen Umständen weniger Bedeutung. Einmal auf einem solid gebauten Flosse eingeschifft, befanden sich Dick Sand und seine Gefährten unter Berücksichtigung ihrer ausgezeichneten und hinreichenden Bewaffnung in der erwünschtesten Lage, sich wirksam zu vertheidigen. Alles kam nur darauf an, den ersehnten Wasserlauf zu finden.

Hierzu kommt noch, daß sich diese Art zu reisen für Mrs. Weldon und deren kleinen Jack unter den thatsächlichen Verhältnissen als die geeignetste empfahl. Das kränkliche Kind zu tragen, konnte es an willigen Armen nicht fehlen. In Ermangelung von Harris’ Pferde konnte ja im Nothfall eine Tragbahre aus Zweigen hergestellt werden, auf welcher Mrs. Weldon Platz fand. Freilich wurden zwei von den fünf Negern in Anspruch genommen und Dick Sand hielt mit Recht darauf, seine Gefährten im Falle eines plötzlichen Angriffes in ihrer Bewegung möglichst unbeschränkt zu wissen.

Kam man aber erst dahin, auf einem Strom flußabwärts zu fahren, so befand sich der junge Leichtmatrose wieder in seinem Elemente.

Die nächstliegende Frage zielte also dahin, zu wissen, ob sich in der Nachbarschaft ein geeigneter Wasserlauf vorfinde. Dick Sand setzte das, und zwar aus folgenden Gründen voraus:

Der am Orte des Schiffbruches ihres »Pilgrim« in den Atlantischen Ocean ausmündende Fluß konnte weder nach Norden, noch nach Osten weit in’s Land hineinreichen, da eine nicht allzu entfernte Bergkette – dieselbe, welche man früher irrthümlicher Weise für die Cordilleren hielt – den Horizont nach jenen beiden Richtungen zu abschloß. Jener Fluß strömte also offenbar direct von diesen Höhen hinab oder er wendete sich nach Süden; in beiden Fällen konnte Dick Sand nicht fehlgehen, dessen Bett anzutreffen. Vielleicht fanden sie auch noch vor jenem Flusse – denn es hatte den Anschein, als bilde er einen directen Küstenstrom des Oceans – einen seiner Nebenarme, welcher zur Fortschaffung der kleinen Gesellschaft schon wasserreich genug wäre. Auf jeden Fall jedoch konnte irgend ein Wasserlauf von hier nicht fern sein.