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Gegen fünf Uhr Abends endlich war der Sumpf überwunden; der Boden erlangte in Folge seiner thonigen Natur hinreichende Festigkeit; man fühlte jedoch noch immer seinen feuchten Untergrund. Offenbar lag diese Landstrecke tiefer, als benachbarte Flüsse, und drang das Wasser überall in und durch die Poren des Untergrundes.

Die Hitze war allmälig sehr stark geworden. Sie wäre vielleicht unerträglich gewesen, hätten sich nicht dicke Gewitterwolken zwischen die brennende Sonne und die Erde gelagert. In der Ferne zerrissen schon die Blitze dann und wann die Wolken und in den Tiefen des Himmels grollte ein dumpfer Donner. Allen Anzeichen nach drohte ein heftiges Gewitter.

Diese Naturerscheinungen erreichen in Afrika eine uns ganz unbekannte Stärke. Wolkenbruchartige Platzregen, Windstöße, denen oft auch die festesten Bäume nicht zu widerstehen vermögen, Schlag auf Schlag knattert der furchtbarste Donner – das ist etwa der Kampf der Elemente in jenen Breiten. Dick Sand wußte das recht gut und wurde außerordentlich unruhig. Ohne Obdach konnte man die Nacht unbedingt nicht hinbringen. Die Ebene wurde wahrscheinlich überschwemmt und zeigte auch nirgends eine Erhöhung, nach welcher man sich hätte flüchten können.

Wo in dieser tiefliegenden Einöde, ohne Baum, ohne Strauch, sollte man aber ein Obdach finden? Selbst die Eingeweide der Erde konnten ein solches hier nicht bieten. Schon 0∙5 Meter unter der Oberfläche wäre man auf Wasser gekommen.

Inzwischen schien nach Norden zu eine Reihe niedriger Hügel die sumpfige Niederung zu begrenzen. Sie glich dem natürlichen Rande dieser Bodendepression. An einem vereinzelten hellen Theile des Horizontes, den die Wolken noch nicht bedeckten, sah man auch einige Bäume auf demselben.

Fehlte nun auch dort scheinbar jedes Obdach, so lief die kleine Gesellschaft doch mindestens nicht weiter Gefahr, von einer Ueberschwemmung überrascht zu werden. Dort winkte vielleicht die Rettung für Alle!

»Vorwärts, meine Freunde, vorwärts! drängte Dick Sand wiederholt. Noch drei Meilen und wir sind weit mehr in Sicherheit, als hier in dieser Niederung.

– Munter, munter!« rief Herkules.

Der wackere Neger hätte gern alle Welt auf den Arm genommen, um sie allein zu tragen.

Seine Worte trieben die muthigen Leute von Neuem an, und trotz der Anstrengung eines vollen Marschtages, schritten sie jetzt rüstiger und schneller voran, als im Anfange der Etappe.

Beim Ausbruch des Unwetters lag das zu erreichende Ziel noch gegen zwei Meilen vor ihnen. Die ersten Blitze – das machte die Sache noch gefährlicher – begleitete noch kein Regenfall; fast jeder derselben schlug zwischen den Wolken und der Erde über. Dazu war es beinahe dunkel geworden, obwohl die Sonne hinter dem Horizont noch nicht verschwunden war. Nach und nach senkten sich jedoch die schweren Dunstmassen, als drohten sie zusammenzubrechen – was also zweifellos einen furchtbaren Platzregen erwarten ließ. Röthliche und bläuliche Blitze durchzuckten sie in allen Richtungen und umhüllten sozusagen die ganze Ebene mit einem unentwirrbaren Feuernetze.

Zwanzigmal waren Dick Sand und seine Genossen in Gefahr, vom Blitz getroffen zu werden.

Auf dieser baumlosen Fläche bildeten sie ja allein solche hervorspringende Punkte, welche elektrische Entladungen vorzüglich anziehen. Jack, der von dem Krachen des Donners erwacht war, verbarg sich in Herkules’ Armen. Er hatte wohl Furcht, der arme Kleine, aber er wollte sie seiner Mutter nicht bemerken lassen, um diese nicht noch mehr zu ängstigen. Herkules schritt tapfer vorwärts und tröstete ihn dabei nach Kräften.

»Keine Angst, mein kleiner Jack, sagte er. Wenn uns der Donner zu nahe kommt, breche ich ihn entzwei; sieh! hier mit der einen Hand! Ich bin stärker als er!«

Und in der That, die Kraft des Riesen beruhigte den kleinen Jack nicht wenig.

Inzwischen konnte es nicht mehr lange währen, bis der Regen kam, und dann mußten wahre Sturzbäche aus den sich condensirenden Wolken herabfallen. Was sollte aus Mrs. Weldon nebst ihren Begleitern werden, wenn sie bis dahin keine Unterkunft fanden?

Dick Sand blieb einen Augenblick neben dem alten Tom stehen.

»Was nun? fragte er.

– Unseren Weg fortsetzen, Herr Dick, antwortete Tom, auf dieser Ebene, die der Regen schnell zum Sumpfe verwandeln wird, können und dürfen wir nicht bleiben!

– Nein, Tom, gewiß nicht! Aber ein Obdach! Wo? Welches? Wär’s nur eine erbärmliche Hütte!…«

Dick Sand hatte seine Worte kurz abgebrochen. Ein hellleuchtender Blitz zuckte eben über die ganze Ebene vor ihnen.

»Was seh’ ich dort, eine Viertelmeile von hier?… rief Dick Sand.

– Ja wohl, ich, ich sah es auch!… antwortete der alte Tom kopfschüttelnd.

– Ein Lager, nicht wahr?

– Ja, Herr Dick… das muß ein Lager sein… aber ein Lager von Eingebornen!«

Ein zweiter Blitz machte es möglich, das vermuthete Lager, das einen Theil der ungeheuren Ebene bedeckte, deutlicher zu sehen.

In der That, dort erhoben sich etwa einhundert konische Hügel in symmetrischer Anordnung und in einer Höhe von 3∙5 bis 4∙5 Meter. Ein Krieger war dabei nicht zu erblicken. Hatten sich diese nun in jene Zelte (so schien es von hier aus) verkrochen, um das Ungewitter vorübergehen zu lassen, oder war das ganze Lager verlassen?

Im ersteren Falle hätte Dick Sand, der Himmel mochte nun noch so furchtbar drohend erscheinen, so schnell als möglich entfliehen mögen; im zweiten bot sich dort vielleicht das gesuchte Obdach.

»Darüber werd’ ich bald im Reinen sein!« sagte er.

Dann wandte er sich an den alten Tom:

»Bleibt Ihr hier, fuhr er fort. Daß mir kein Mensch folge! Ich will jenes Lager näher in Augenschein nehmen.

– Gestatten Sie, daß Einer von uns Sie begleite, Herr Dick.

– Nein, Tom, ich gehe allein. Ich kann mich unbemerkt nahe schleichen; Ihr erwartet mich hier zurück!«

Die kleine Gesellschaft, der Tom und Dick Sand sonst voranschritt, machte Halt. Der junge Leichtmatrose verließ sie und verschwand bald in der Finsterniß, welche eine vollständige war, so lange nicht ein Blitz die schwarzen Wolken zerriß.

Jetzt fielen einige schwere Tropfen nieder.

»Was ist geschehen?« fragte Mrs. Weldon, die an den alten Neger herantrat.

– Wir haben ein Lager gesehen, Mistreß Weldon, antwortete der alte Tom, ein Lager… vielleicht auch ein Dorf, und unser Kapitän wollte es erst in Augenschein nehmen, bevor er uns dahinführt!«

Mrs. Weldon beruhigte sich bei dieser Antwort.

Drei Minuten später schon war Dick Sand zurück.

»Kommt! Kommt! rief er mit einer Stimme, welche seine volle Befriedigung deutlich heraushören ließ.

– Ist das Lager leer? fragte Tom.

– Das ist kein Lager, auch keine Ansiedlung, antwortete der junge Leichtmatrose. Das sind Ameisenbauten!

– Ameisen!… rief Vetter Benedict, dem dieses Wort sozusagen in die Glieder fuhr.

– Ja wohl, Herr Benedict, Ameisenbauten von mindestens 3∙5 Meter Höhe, in welchen wir unterzukommen versuchen müssen.

– Dann müßten das aber Bauten der sogenannten kriegerischen oder gefräßigen Termiten sein, erwiderte der Gelehrte. Nur diese Insecten errichten derartige Bauwerke, um welche sie die größten Architekten beneiden!

– Mögen das nun Termiten sein oder nicht, Herr Benedict, antwortete Dick Sand, wir werden sie austreiben und uns an ihre Stelle setzen.

– Doch sie zehren uns auf! Sie sind dabei in ihrem Rechte!

– Vorwärts! Vorwärts!…

– Aber so warten Sie doch, begann Vetter Benedict noch einmal, ich glaubte, solche Termitenbauten gebe es nur in Afrika!…

– Vorwärts!« drängte Dick Sand zum letzten Male befehlend, weil er fürchtete, Mrs. Weldon könnte das letzte Wort des Entomologen gehört haben.