Alles folgte Dick Sand in größter Eile. Bald erhob sich ein wüthender Wind. Große Tropfen zerplatzten auf der Erde. Binnen Kurzem mußte der Sturm unerträglich werden.
Bald ward einer jener Kegel, welche aus der Ebene hervorragten, erreicht, und so furchterweckend die Natur der Termiten auch sein mochte, man durfte nicht zögern, selbst im Falle man sie nicht heraustreiben konnte, die Wohnung mit ihnen zu theilen.
Am Fuße des Kegels, der aus röthlichem Thone errichtet war, zeigte sich eine sehr enge Oeffnung, welche Herkules mit seinem Jagdmesser bald so weit vergrößerte, daß selbst ein Mann von seiner Statur durch dieselbe kriechen konnte.
Zu Vetter Benedict’s größtem Erstaunen zeigte sich auch nicht eine einzige jener Tausende von Termiten, welche sonst gewiß diesen Bau bevölkerten.
Sollte er von ihnen verlassen sein?
Nach gehöriger Erweiterung des Einganges schlüpften Dick Sand und seine Genossen hinein und Herkules verschwand darin zuletzt, eben als der Regen in solchen Massen niederstürzte, daß er die Blitze fast verlöschen konnte.
Von der Unbill des Wetters war letzt aber nichts mehr zu fürchten. Ein glücklicher Zufall hatte der kleinen Gesellschaft dieses sichere, einem Zelte oder der Hütte eines Eingebornen jedenfalls vorzuziehende Obdach vermittelt.
Ein zweiter Blitz machte es möglich, deutlicher zu sehen. (S. 269.)
Dasselbe bestand, wie erwähnt, aus einem jener kegelförmigen Termitenbauten, welche nach Lieutenant Cameron’s Vergleiche, wenn man ihre Herstellung durch jene kleinen Insecten in Betracht zieht, erstaunlicher erscheinen als die durch Menschenhände errichteten Pyramiden Egyptens.
»Es verhält sich das so, sagte jener Reisende, als hätte eine Völkerschaft etwa den Mount Everest, einen der höchsten Gebirgsköpfe der Himalaya Kette, künstlich aufgethürmt!«
Fünftes Capitel.
Vortrag über die Ameisen, gehalten in einem Ameisenbau.
Das Unwetter brach letzt mit einer in gemäßigten Zonen völlig unbekannten Heftigkeit los.
Dick Sand und seine Genossen schlüpften hinein. (S. 271.)
Dick Sand und seine Gefährten hatten dieses Obdach gefunden, als hätte sie die Vorsehung selbst dahin geführt.
Der Regen fiel gar nicht mehr in einzeln abgegrenzten Tropfen, sondern stürzte gleich Wasserfäden von wechselnder Stärke hernieder. Manchmal bildete er eine wirklich compacte Masse, einen Wasserfall – noch mehr, einen Katarakt, einen Niagara! Stelle man sich ein in der Luft schwebendes Bassin mit einem ganzen Meere als Inhalt vor, das sich wie auf einen Schlag entleerte. Bei einem solchen Gusse brechen in den Boden tiefe Höhlen, verwandeln sich die Ebenen zu Seen, werden die Bäche zu rauschenden Strömen und überfluthen die austretenden Flüsse ungeheure Flächen. Hierzu kommt, daß in Afrika, entgegengesetzt dem Verhalten in gemäßigten Zonen, wo die Dauer der Gewitterstürme zu ihrer Heftigkeit in umgekehrtem Verhältnisse steht, derartige Unwetter gleich mehrere Tage hindurch ungeschwächt fortwüthen. Kaum begreift man, wie eine solche Menge Elektricität sich in den Wolken aufspeichern, wie so wahrhaft unermeßliche Dunstmassen sich ansammeln können. Dennoch ist es so, und man glaubt sich dabei fast in die außergewöhnlichsten Epochen der diluvianischen Zeit zurückversetzt.
Zum Glück erwies sich der dichtwandige Termitenbau als vollkommen undurchdringlich. Eine aus Lehm errichtete Biberwohnung hätte nicht trockener bleiben können. Und brodelte auch ein Bergstrom über den Kegel hinweg, durch seine Poren wäre kein Tröpfchen Wasser gedrungen.
Sobald Dick Sand und seine Begleiter von dem Ameisenbau Besitz genommen, suchten sie sich mit seiner inneren Einrichtung bekannt zu machen. Die Laterne ward angezündet und verbreitete hinlängliches Licht in dem Hause der Insecten. Der Kegel maß bei 3∙5 Meter innerer Höhe in Folge seiner zuckerhutähnlichen Gestalt am Boden 3 Meter in der Breite. Die Dicke seiner Wände mochte etwa 0∙3 Meter betragen und die dieselben auskleidenden Einzelzellen ließen in der Mitte einen Hohlraum von beträchtlicher Größe übrig.
Mit Recht erstaunt man über die Construction derartiger Monumente, welche den zarten Phalangen von Insecten ihre Entstehung verdanken, und doch finden sich solche Bauten, solche wahrhafte Riesenwerke gegenüber der Körpergröße der Bauleute (d.h. der Ameisen) im Innern Afrikas sehr häufig. Ein holländischer Reisender des letzten Jahrhunderts, Smeathman mit Namen, hat auf der Spitze eines solchen Hügels mit vier Begleitern ausreichenden Platz gefunden. In Loanda traf Livingstone wiederholt aus röthlichem Thone errichtete Ameisenbauten von 5, selbst 6 Meter Höhe.
Lieutenant Cameron hat in N’yangwe häufig solche in Gruppen bei einander stehende Kegel für Dörfer von Eingebornen gehalten. Er hat sogar am Fuße wirklicher Gebäude, nicht nur von 7, sondern von 13 bis 16 Meter Höhe gestanden, vor ungeheueren, abgerundeten, von einer Art Glockenthürmen flankirten Kegeln, ähnlich den Kuppeln von Kathedralen, wie sie in dieser Art nur Mittel-Afrika aufzuweisen hat.
Von welcher Gattung der Ameisen nun rührt die wahrhaft überraschende Errichtung jener Bauten her?
»Von der der kriegerischen Termiten!« hätte Vetter Benedict ohne langes Nachsinnen geantwortet, als er nur die Natur des zu ihrer Construction verwendeten Materiales erkannt.
In der That erwiesen sich die Wände aus einer röthlichen Thonart hergestellt. Wären sie aus grauem oder schwärzlichem Alluvium gebildet gewesen, so hätte man entweder die »bissigen« oder die »wilden« Termiten als Architekten voraussetzen müssen. Der Leser erkennt, daß diese Insecten lauter nur wenig vertrauenerweckende Namen führen, an denen höchstens ein so eingefleischter Entomolog wie unser Vetter Benedict Gefallen finden dürfte.
Der centrale Theil des Kegels, in welchem die kleine Gesellschaft zunächst Platz genommen hatte und der den inneren freien Hohlraum desselben bildete, hätte immerhin nicht ausgereicht, sie wirklich zu beherbergen; dafür bildeten weite, übereinander liegende Abtheilungen sozusagen Etagen, in welchen eine mittelgroße Person recht wohl Platz fand. Stelle man sich eine Reihe vorn offener Schubkästen vor, an deren Rückwänden Millionen früher von Termiten bewohnter Zellen, und man gewinnt damit leicht ein Bild von der inneren Einrichtung solcher Ameisenbauten. Diese Schubkästen liegen nun, wie die Schlafstätten in Schiffscabinen, einer über dem anderen, und in den oberen derselben fanden Mistreß Weldon, der kleine Jack, Nan und Vetter Benedict Platz. In den unteren Etagen richteten sich Austin, Bat und Acteon ein. Dick Sand, Tom und Herkules blieben in dem Mittelraume des Kegels.
»Meine Freunde, wendete sich jetzt der junge Leichtmatrose zu den Negern, der Erdboden hat sich voll Wasser gesaugt; wir werden ihn mittelst Thon aus den Wänden auffüllen, aber darauf Acht haben müssen, die Oeffnung, durch welche die Außenluft eindringt, nicht etwa zu verschließen.
– O, es handelt sich ja nur um eine einzige Nacht, meinte der alte Tom.
– Nun, so trachten wir ja darnach, daß diese uns nach so vielen Strapazen die möglichste Erholung bietet. Seit zehn Tagen ist es das erste Mal, daß wir nicht unter freiem Himmel übernachten.
– Zehn Tage! wiederholte Tom.
– Da dieser Kegel übrigens, fuhr Dick Sand fort, ein sehr gesichertes Obdach bietet, so dürfte es sich vielleicht empfehlen, hier während vierundzwanzig Stunden zu rasten. Inzwischen suche ich nach dem Flusse, der unser Wegweiser werden soll und der sich nicht fern von hier befinden muß. Ich halte sogar dafür, diese geschützte Wohnung nicht eher aufzugeben, als bis wir ein Floß gezimmert haben. Hier thut uns das Unwetter keinen Schaden. Schaffen wir uns also zunächst einen festeren trockenen Fußboden!«