So brütete Dick Sand über seinen Gedanken, als er etwas wie einen Hauch über seine Stirn streichen fühlte. Eine Hand berührte hierauf seine Schulter und eine tiefbewegte Stimme flüsterte ihm in’s Ohr:
»Ich weiß Alles, mein armer Dick, doch Gott vermag uns auch jetzt noch zu retten! Sein unerforschlicher Wille geschehe!«
Sechstes Capitel.
Die Taucherglocke.
Auf diese unvermuthete Offenbarung vermochte Dick Sand nicht zu antworten. Uebrigens hatte Mrs. Weldon ihren Platz neben dem kleinen Jack schon wieder eingenommen. Sie hatte offenbar nicht mehr sagen wollen und der junge Leichtmatrose hätte sonst auch nicht den Muth gehabt, sie daran zu hindern.
Mrs. Weldon wußte also, woran sie war. Die verschiedenen Reise-Erlebnisse hatten auch sie aufgeklärt, vielleicht das Wort »Afrika!« das Vetter Benedict den Tag vorher unglücklicher Weise ausgesprochen hatte.
»Mistreß Weldon weiß Alles, wiederholte sich Dick Sand. Nun, vielleicht ist es besser so. Die muthige Frau verzweifelt nicht. Und ich?…. Niemals!«
Jetzt sehnte sich Dick Sand wirklich nach dem Wiederanbruch des Tages, um die Umgebung des Termitendorfes näher in Augenschein nehmen zu können. Einen Küstenstrom des Atlantischen Oceans und seinen schnellen Lauf, das mußte er finden, um seine kleine Gesellschaft fortzuschaffen, und ihn verließ das Vorgefühl nicht, daß dieser ersehnte Wasserlauf nicht fern sein könne. Vor Allem kam es ihm darauf an, ein Zusammentreffen mit Eingebornen zu vermeiden, welche von Harris und Negoro vielleicht schon zu ihrer Verfolgung ausgesendet sein konnten.
Noch wollte es aber nicht Tag werden. Durch die Oeffnung im unteren Theile des Kegels drang kein Lichtstrahl ein. Das in Folge der dicken Wände nur dumpf ertönende Rollen des Donners bewies, daß das Unwetter ungeschwächt fortwüthete. Durch Anlegen des Ohres vernahm Dick Sand auch deutlich, wie der Regen zwar an die Basis des Termitenbaues anschlug, aber nicht mehr den festen Erdboden traf, woraus er auf eine Ueberschwemmung der ganzen Umgebung schließen mußte.
Es mochte gegen elf Uhr sein. Dick Sand fühlte, daß er in Folge einer halben Betäubung, vielleicht auch wirklichen Müdigkeit, wohl einschlafen würde. Immerhin hätte er einiger Ruhe genossen. Doch als er sich dieser schon hingeben wollte, kam ihm der Gedanke, daß die Eingangsöffnung durch Erweichung des aufgeschütteten thonigen Bodens verschlossen werden könne. Damit wäre aber jeder Lustzutritt von außen abgeschnitten gewesen und die Athmung der eingeschlossenen zehn Personen dadurch auf’s höchste gefährdet worden, daß die Luft durch ausgeathmete Kohlensäure verdorben wurde.
Dick Sand glitt also nach dem, mit dem Thongemisch aus den unteren Zellenreihen erhöhten Boden herab.
Die künstlich geschaffene Erhöhung erwies sich noch völlig trocken und die Oeffnung frei. Ungehindert drang die Luft in das Kegel-Innere ein und mit ihr ein schwacher Widerschein der Blitze des Gewitters, welche selbst ein diluvianischer Regenguß nicht zu löschen vermochte.
Dick Sand überzeugte sich, daß Alles in gutem Stande war. Vorläufig schienen den an die Stelle der Neuropteren-Kolonie getretenen menschlichen Termiten irgend welche Gefahren nicht zu drohen. Der junge Leichtmatrose gedachte sich also durch einige Stunden Schlaf, den er sich schon übermannen fühlte, neu zu stärken.
Fast aus übertriebener Vorsicht legte sich Dick Sand auf der Thonauffüllung des Kegelbodens, in gleicher Höhe mit der Eingangsöffnung nieder. So konnte draußen nichts geschehen, ohne daß er es zuerst bemerkte. Der anbrechende Tag mußte ihn erwecken und sofort wollte er dann die Umgebung untersuchen.
Den Kopf an die Wand gelehnt und das Gewehr unter der Hand, legte Dick Sand sich also nieder und schlief sofort ein.
Wie lange sein tiefer Schlummer gedauert habe, vermochte er nicht zu sagen, als ihn eine lebhafte Empfindung von Kälte erweckte.
Er erhob sich und wurde zur größten Bestürzung gewahr, wie das Wasser in den Termitenbau, und zwar mit solcher Schnelligkeit eindrang, daß es die von Tom und Herkules eingenommene Abtheilung binnen wenigen Secunden erreichen mußte.
Dick Sand machte die Genannten wach und setzte sie von dem Zustande der Dinge in Kenntniß.
Die schnell wieder angezündete Laterne erhellte das Innere des Kegels.
Bis 11/2 Meter Höhe war das Wasser gestiegen und verharrte dann bei diesem Stande.
»Was giebt es, Dick? fragte Mrs. Weldon.
– Nichts von Bedeutung, antwortete der junge Leichtmatrose. Das Erdgeschoß unserer Wohnung steht unter Wasser. Wahrscheinlich ist ein Bach in der Nähe über seine Ufer getreten.
– Schön! meinte Herkules, das beweist, daß unser Fluß gefunden ist.
– Gewiß, bestätigte Dick Sand, und er wird uns nach der Küste tragen. Beruhigen Sie sich, Mistreß Weldon, das Wasser kann weder Sie erreichen, noch den kleinen Jack, Nan oder Herrn Benedict!«
Mrs. Weldon antwortete nicht und der seelenruhige Vetter schlief wie eine leibhaftige Termite.
Die Neger blickten auf die im Scheine der Laterne reflectirende Wasserfläche herab und warteten, was Dick Sand, der noch einmal die Wassertiefe maß, zu thun für räthlich finden werde.
Dick Sand sagte aber nichts, sondern bemühte sich nur, die Mundvorräthe und Waffen vor der Ueberfluthung zu sichern.
»Das Wasser ist durch den Eingang eingedrungen? begann Tom.
– Ja, erwiderte Dick Sand, und es macht nun jede Erneuerung der Luft unmöglich.
– Sollten wir dann nicht über dem Wasserniveau ein Loch durch die Wand brechen? fragte der alte Neger.
– Gewiß… Tom; allein… ja, wenn wir hier drinnen 1 1/2 Meter Wasser haben, so steht es draußen möglicher Weise zwei, zwei ein halb oder noch mehr Meter hoch!
– Sie glauben, Herr Dick?
– Ich denke, Tom, daß das Wasser, als es im Innern dieses Kegels emporstieg, die Luft in dessen oberen Theilen comprimiren mußte und daß diese allein es jetzt am Höhersteigen verhindert. Bieten wir der Luft aber durch eine andere Oeffnung Gelegenheit zum Abzug, so wird sich der Wasserstand nothwendiger Weise erhöhen, bis er demjenigen außerhalb der Wände gleichkommt, und wenn er bis über die neue Oeffnung stiege, würde er die Luft darüber noch einmal zusammenpressen. Wir befinden uns hier in der Lage von Arbeitern in einer Taucherglocke.
– Was ist also zu thun? forschte Tom weiter.
»Ich weiß Alles, mein armer Dick!« (S. 284.)
– Wohl zu überlegen, bevor wir handeln, belehrte ihn Dick Sand. Eine Unklugheit könnte uns das Leben kosten!«
Diese Bemerkung des jungen Leichtmatrosen war sehr richtig und die Vergleichung des Kegels mit einer Taucherglocke unter Wasser ganz zutreffend. In letzterem Apparate jedoch wird die Luft mittelst Pumpen fortwährend erneuert, so daß die Taucher ungehindert athmen können und keinen anderen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sind, als denen, welche der längere Aufenthalt in einer über ihre Normalspannung comprimirten Luft mit sich führt.
Die angezündete Laterne erhellte das Innere. (S. 287.)
Außer diesen Beschwerden kam hier aber die Verminderung des Raumes um ein volles Drittel in Frage, und ferner, daß die Luft sich nicht erneuern konnte, außer wenn man in der Wand eine Oeffnung machte, die sie mit der äußeren Atmosphäre in Verbindung setzte.
Konnte man eine solche Oeffnung nun herstellen, ohne die von Dick Sand befürchteten Gefahren heraufzubeschwören, und verschlimmerte sich dadurch nicht die dermalige Lage?