Gewiß war, daß das Wasser sich jetzt auf einem Stande erhielt, dessen Erhöhung nur zwei Ursachen herbeiführen konnten: entweder wenn man eine Oeffnung herstellte und die Höhe der Ueberschwemmung draußen den Wasserstand im Innern übertraf, oder wenn die Ueberschwemmung selbst noch weiter anwuchs. In beiden Fällen konnte in dem Kegel nur noch ein beschränkterer Raum übrig bleiben, in dem die sich nicht erneuernde Luft wiederum comprimirt wurde.
Konnte der Termitenbau dabei aber nicht total vom Boden abgehoben und durch die Ueberschwemmung umgestürzt werden? Nein, so wenig wie eine Biberhütte, denn er hing ebenso fest wie eine solche mit der Erde zusammen.
Der am meisten zu fürchtende Umstand lag also in der Fortdauer des Unwetters und der Zunahme der Ueberschwemmung. 91/2 Meter Wasser auf der Ebene mußten den Kegel um 51/2 Meter überdecken und die Luft im Innern unter dem Drucke einer ganzen Atmosphäre zusammenpressen.
Eine reifliche Ueberlegung bestärkte Dick Sand’s Befürchtung, daß diese Ueberschwemmung bis zu sehr bedeutendem Grade zunehmen könne, da sie von dem Wasser, das die direct über der Ebene stehenden Wolken herabstürzten, offenbar nicht allein herrührte. Weit annehmbarer erschien die Erklärung, daß ein durch das Unwetter angeschwollener Wasserlauf der Nachbarschaft seine Uferdämme durchbrochen habe und sich nun über die jenseitige Niederung ausbreite. Wer konnte aber dafür einstehen, daß der Ameisenbau nicht schon vollständig überfluthet und sogar die Möglichkeit abgeschnitten war, durch seine obere Spitze hinauszugelangen, die zu demoliren es ja weder langer, noch beschwerlicher Arbeit bedurft hätte?
In quälendster Unsicherheit fragte Dick Sand sich selbst, was wohl zu thun wäre. Sollte man die Beendigung dieser Situation ruhig abwarten oder, nach Kenntnißnahme der Umstände, gewaltsam herbeizuführen suchen?
Es war jetzt drei Uhr Morgens. Regungslos und schweigend lauschten Alle. Durch den geschlossenen Eingang drang jedes Geräusch von außerhalb nur sehr geschwächt herein, doch verrieth ein ausgedehntes anhaltendes, dumpfes Rollen, daß der Kampf der Elemente noch immer nicht beendet sei.
Da bemerkte der alte Tom, daß das Niveau des Wassers allmälig steige.
»Ja wohl, bestätigte Dick Sand, und wenn das der Fall ist, obschon die Luft nicht nach außen entweichen kann, so beweist es, daß die Wasserfluth wächst und jene weiter zusammendrückt.
– Bis jetzt beträgt es nur wenig, sagte Tom.
– Gewiß, antwortete Dick Sand, aber wo ist die Grenze?
– Herr Dick, fragte Bat, wünschen Sie, daß ich draußen Umschau halte? Ich werde untertauchen und durch die Eingangsthüre zu gelangen suchen…
– Besser, ich unternehme diesen Versuch gleich selbst, meinte Dick Sand.
– Nein, nein, Herr Dick, widersprach ihm der alte Tom. Lassen Sie meinen Sohn gewähren und vertrauen Sie seiner Gewandtheit. Im Falle er nicht zurückkehren könne, ist Ihre Gegenwart hier doppelt nöthig!«
Und leiser setzte er hinzu.
»Denken Sie an Mistreß Weldon und den kleinen Jack!
– Gut, es sei, antwortete Dick Sand. An’s Werk also, Bat. Ist unsere Wohnung überschwemmt, so versucht nicht erst die Rückkehr. Wir verlassen sie dann ebenfalls. Ragt der Kegel aber noch über das Wasser empor, so schlagt mit der Axt, die Ihr mitnehmen müßt, kräftig auf seine Spitze. Wir werden das hören, und es soll uns als Zeichen dienen, diese auch unsererseits zu zerstören. Verstanden?
– Gewiß, Herr Dick, versicherte Bat.
– Also vorwärts, Junge!« drängte der alte Tom, indem er seinem Sohne die Hand drückte.
Nachdem sich Bat durch einen tiefen Athemzug einen tüchtigen Luftvorrath gesichert, tauchte er in dem jetzt über 11/2 Meter tiefen Wasser unter. Er ging an eine schwierige Aufgabe, denn zuerst mußte er die untere Oeffnung aufsuchen, dann durch diese schlüpfen und nach der äußeren Oberfläche des Wassers emportauchen. Alles das mußte auch in sehr kurzer Zeit ausgeführt sein.
Es verging nahezu eine halbe Minute. Schon glaubte Dick Sand, daß es dem Neger gelungen sei, hinaus zu gelangen, als Bat wieder auftauchte.
»Nun? rief Dick Sand erstaunt.
– Der Eingang ist verschlämmt und verschüttet! antwortete Bat, nachdem er wieder zu Athem gekommen war.
– Verschlossen? rief Tom.
– Ja wohl! bestätigte Bat. Wahrscheinlich hat das Wasser den Thon erweicht… ich habe mit den Händen die Wand ringsum abgetastet… nirgends ist eine Oeffnung mehrt«
Dick Sand schüttelte den Kopf. Seine Gefährten und er sahen sich hermetisch in den Kegel eingeschlossen, den vielleicht gar das Wasser überfluthete.
»Wenn keine Oeffnung mehr vorhanden ist, meinte Herkules, so müssen wir eine neue machen.
– Wartet noch!« fiel der junge Leichtmatrose ein, indem er Herkules, der die Axt in den Händen schon zum Schlage ausholte, zurückhielt.
Dick Sand überlegte einige Augenblicke, dann fuhr er fort:
»Wir können wohl anders zu Werke gehen. Die Hauptfrage bleibt ja, zu wissen, ob das Wasser den Bau überdeckt oder nicht. Wenn wir am Gipfel des Kegels eine ganz kleine Oeffnung herstellten, müßten wir ja erfahren, wie es sich damit verhält. Im Fall der vollständigen Ueberfluthung des Termitenhügels würde ihn das Wasser total erfüllen und unser Verderben gewiß sein. Gehen wir also ganz vorsichtig zu Werke…
– Aber schnell!« setzte Tom hinzu.
In der That stieg das Wasser nach und nach weiter und stand im Innern des Kegels schon circa zwei Meter hoch. Außer Mrs. Weldon, ihrem Sohne, Vetter Benedict und Nan, welche ja die obersten Abtheilungen eingenommen hatten, standen jetzt Alle schon mit halbem Leibe im Wasser.
Es galt also jetzt ohne Säumen in der von Dick Sand vorgeschlagenen Weise vorzugehen.
Ein halb Meter hoch über dem inneren Wasserniveau, also 2 1/2 Meter über dem Boden, beschloß Dick Sand, eine Probeöffnung in die Thonwand brechen zu lassen.
Gelangte man durch diese in Communication mit der äußeren Atmosphäre, so mußte der Kegel ja das Wasser noch überragen. Traf das Loch dagegen eine Stelle unterhalb der äußeren Wasseroberfläche, so wurde die Luft im Innern noch weiter zurückgedrängt, und in diesem Fall mußte man vorbereitet sein, jenes schnellstens wieder zu verschließen, weil das Wasser sonst bis an die Oeffnung selbst aufsteigen würde. Hierauf wollte man denselben Versuch ein halb Meter höher wiederholen und in ähnlicher Weise fortfahren. Wenn man nun aber auch an der Spitze des Kegels nicht auf die freie Luft stieß, also 41/2 Meter Wasser über der Ebene standen und die ganze Termiten-Ansiedelung unter der Wildfluth verschwunden war, was dann? Welche Aussicht winkte noch den in dem Ameisenbau Gefangenen, dem entsetzlichsten Tode, dem der langsamen Erstickung zu entgehen?
Dick Sand übersah das zwar Alles, seine Kaltblütigkeit verließ ihn aber keinen Augenblick. Die Folgen des zu unternehmenden Versuches hatte er im Voraus genau ermittelt. Länger zu zaudern, war übrigens unmöglich. In diesem engen Raume drohte die Asphyxie mehr und mehr, da jener sich zunehmend verkleinerte und die Luft sich mit Kohlensäure sättigte.
Das beste Werkzeug, welches Dick Sand zum Bohren eines Loches in der Hand besaß, bestand in einem Ladestock mit Kugelzieher am Ende, wie er zur Wiederentladung eines Gewehres benutzt wird. Durch schnelles Umdrehen desselben griff diese Schraube gleich einem Hohlbohrer in die Thonmasse ein und das Loch gewann allmälig an Tiefe. Es erhielt dabei freilich keinen größeren Durchmesser als den des Ladestockes, doch das reichte ja aus. Die Luft mußte dadurch ja hinlänglich circuliren können.
Herkules hielt die Laterne und leuchtete Dick Sand. Man besaß noch einige Kerzen und brauchte also nicht zu fürchten, daß es an Licht fehlen werde.
Eine Minute nach Beginn der Operation drang der Ladestock frei durch die Wand. Sofort entstand ein dumpfgurgelndes Geräusch, ähnlich dem von Luftblasen, welche durch eine Wassersäule aufsteigen. Die Luft drängte sich wirklich nach außen und sofort stieg das Wasser im Kegel und stand erst wieder in gleicher Höhe mit der Oeffnung, ein Beweis, daß man diese zu tief, nämlich unterhalb des äußeren Wasserniveaus gebohrt hatte.