Die Gefährten Dick Sand’s, welche stets sorgfältig in der ersten Abtheilung des Zuges gehalten wurden, konnten mit diesem unmöglich in Verbindung treten. Sie gingen reihenweise, eingeklemmt in die beschriebene schwere Holzgabel, welche jede Bewegung des Kopfes verhinderte. Die Peitschen schonten sie nicht weniger als ihre anderen bedauernswerthen Schicksalsgenossen.
In einer Koppel mit seinem Vater ging Bat vor diesem her, bemühte sich nach Kräften, die Gabel vor Stößen zu bewahren, und wählte sorgsam die besten Wege aus, die der alte Tom ja nach ihm gehen mußte. Von Zeit zu Zeit, wenn der Havildar ein wenig zurückblieb, flüsterte er einige ermuthigende Worte, welche Tom doch theilweise hörte. Er versuchte sogar seinen Schritt zu verlangsamen, wenn er bemerkte, daß Tom ermüdete. Es war eine schwere Strafe für den braven Sohn, nicht einmal den Kopf nach dem geliebten Vater umwenden zu können. Tom hatte wohl die Befriedigung, seinen Sohn zu sehen, er bezahlte diese aber sehr theuer. Wie oft stürzten schwere Thränen aus seinen Augen, wenn Bat die Peitsche des Havlidars traf. Es war ihm schmerzlicher, als hätte sie seinen eigenen Rücken getroffen.
Austin und Acteon marschirten einige Schritte hinter ihnen; auch sie waren zusammengefesselt und jeden Augenblick der rohesten Behandlung ausgesetzt. O, wie beneideten sie Herkules’ Loos! Welche Gefahren jenen auch in diesem entsetzlichen Lande bedrohen mochten, er konnte doch seine Kräfte gebrauchen und sein Leben vertheidigen.
Während der ersten Minuten ihrer Gefangenschaft hatte der alte Tom seinen Gefährten endlich auch die Wahrheit in ihrem vollen Umfange mitgetheilt. Zum größten Erstaunen erfuhren sie von ihm, daß sie in Afrika seien, daß der doppelte Verrath Negoro’s und Harris’ sie erst hierher verschlagen und dann erst landeinwärts geschleppt habe, und daß sie seitens ihrer jetzigen Herren auf Erbarmen bestimmt nicht rechnen durften.
Auch Nan traf keine bessere Behandlung. Sie war einer Gruppe Frauen zugetheilt, welche die Mitte des Zuges einnahmen, und zusammengefesselt mit einer jungen Mutter von zwei Kindern, deren eines diese noch an der Brust hatte, während das andere, im Alter von drei Jahren, kaum mitlaufen konnte. Von Mitleid bewegt, hatte Nan sich des kleinen Wesens angenommen und die arme Sklavin ihr durch eine Thräne gedankt. Nan trug also das Kind und ersparte diesem damit nicht nur die Strapazen, denen es unterlegen wäre, sondern auch die sonst gewiß nicht ausgebliebenen Peitschenstreiche des Havildars. Eine schwere Last war es aber für die alte Nan; sie fürchtete, daß ihre Kräfte bald schwinden würden und gedachte dabei des kleinen Jack. Sie stellte sich ihn vor in den Armen seiner Mutter. Wohl hatte die Krankheit ihn abgemagert, doch für die geschwächten Arme der Mrs. Weldon mochte er immer noch zu schwer sein. Wo aber befand sich jene? Was wurde aus ihr? Sollte ihre alte Dienerin sie jemals wiedersehen?
Dick Sand hatte seinen Platz fast am Ende des Zuges angewiesen erhalten, so daß er weder Tom und dessen Gefährten, noch Nan sehen konnte.
In einer Koppel mit seinem Vater ging Bat vor diesem her. (S. 310.)
Die Spitze der langen Karawane ward für ihn überhaupt nur sichtbar, wenn diese eine größere Ebene überschritt. Er marschirte stumm dahin, versunken in seine traurigen Gedanken, aus denen ihn die Rufe und das Geschrei der Agenten kaum zu erwecken vermochten. Er dachte dabei weder an sich selbst oder an die Strapazen, welche ihm noch bevorständen, noch an die Qualen, die Negoro ihm vielleicht für später aufgespart hatte. Er dachte nur an Mrs. Weldon.
Frauen und Kinder wurden von den Krokodilen erhascht. (S. 316.)
Vergeblich suchte er auf der Erde, an den Dornen neben den Fußpfaden, am niedrigen Gezweig irgend eine Spur von ihr zu entdecken. Wenn man auch sie, wie er annehmen zu dürfen glaubte, nach Kazonnde führte, konnte sie einen anderen Weg nicht gehen. Was hätte er nicht dafür gegeben, eine Andeutung dafür zu finden, daß die Dame sich unfreiwillig nach demselben Ziele begab, wohin auch sie befördert wurden!
Das war also körperlich und geistig die dermalige Lage Dick Sand’s und seiner Gefährten. So sehr sie aber auch Ursache hatten, für sich selbst zu fürchten, so groß auch ihre eigenen Leiden waren, das Mitleid gewann in ihnen doch die Oberhand, wenn sie das entsetzliche Elend dieser traurigen Heerde von Gefangenen und die empörende Brutalität ihrer Führer mit ansahen. Ach, sie vermochten ja nichts zu thun, um den Einen zu helfen, nichts um den Anderen zu steuern!
Auf einige zwanzig Meilen östlich der Coanza bestand das Land aus einem ununterbrochenen Walde, doch waren die Bäume, ob sie nun durch die Angriffe der unzähligen Insecten jener Gegenden zu Grunde gingen oder die Elefantenheerden dieselben, wenn sie noch kleiner waren, umknickten und zertraten, minder zahlreich als in dem Küstengebiete. Dieses Gehölz bot der Karawane also weniger Hindernisse als verschiedenes Buschwerk, unter dem man 2∙3 bis 2∙5 Meter hohen Baumwollenstauden begegnete, welche das Rohmaterial zu den im Innern der Provinz sehr beliebten, schwarz und weiß gestreiften Stoffen liefern.
Manchmal erschien das Land auch zu wirklichen Dschungeln verwandelt, in denen der Zug vollkommen verschwand. Von allen hier heimischen Thieren hätten nur Elefanten und Giraffen mit den Köpfen dieses Schilfrohr überragt, das schon mehr Bambusstengeln ähnelte und wohl fünf Centimeter im Durchmesser hatte. Die Agenten mußten nothwendiger Weise eine sehr genaue Kenntniß des Landes besitzen, um sich hier nicht zu verirren.
Jeden Tag brach die Karawane mit Tagesanbruch auf und machte erst zu Mittag eine Stunde Halt. Dann öffnete man einige Ballen mit Manioc und vertheilte dieses Nahrungsmittel sehr sparsam unter die Sklaven. Dazu kamen einige Pataten, oder Ziegen-und Hammelfleisch, wenn die Soldaten im Vorüberziehen ein Dorf geplündert hatten. Die Erschöpfung Aller war aber so groß, die Rast so unzureichend, ja während der regnerischen Nächte sogar unmöglich, daß die Gefangenen, wenn die karge Nahrung ausgetheilt wurde, kaum etwas zu sich nehmen konnten. Acht Tage nach der Abreise von der Coanza waren auch schon zwanzig derselben zusammengebrochen, eine erwünschte Beute für die Raubthiere, welche hinter dem Zuge umherschwärmten. Löwen, Panther und Leoparden lauerten nur auf die unglücklichen Opfer, welche ihnen ja nicht entgehen konnten, und jeden Abend hörte man nach Sonnenuntergang ihr Gebrüll so nahe, als ob man einen directen Angriff von ihnen fürchten sollte.
Bei diesem Brüllen, das in der Dunkelheit nur noch drohender klang, gedachte Dick Sand erschreckt der Hindernisse, welche ähnliche Begegnungen jedem Unternehmen Herkules’ in den Weg legen müßten, der Gefahren, welche bei jedem Schritte auf ihn lauerten. Und doch hätte auch er nicht gezaudert, zu entfliehen, wenn sich ihm eine Gelegenheit dazu geboten hätte.
Wir lassen hier einige Notizen Dick Sand’s aus den Tagen der Reise von der Coanza bis Kazonnde folgen. Dieser Zug von 250 Meilen erforderte 25 »Märsche«, da man einen »Marsch« (nach der Ausdrucksweise der Agenten) täglich zu je 10 Meilen bemaß.
– Vom 25 bis 27. April. – Ein von 21/2, bis 23/4 Meter hohem Schilfrohr umgebenes Dorf gesehen. Die Felder bestellt mit Mais, Bohnen, Sorgho und verschiedenen Arachiden (Erdnußbäumen). Zwei Neger eingefangen. Fünfzehn getödtet, die Bewohner auf der Flucht.
Am anderen Tage über einen 150 Yards breiten, rauschenden Fluß gesetzt. Baumstämme mit Lianen verbunden, dienten als Flöße. Eines derselben zerriß. Zwei mit einem Gabelholz gefesselte Weiber, deren eines sein Kind trug, in’s Wasser gestürzt. Das Wasser wird unruhiger und röthet sich von Blut. Krokodile gleiten unter die verbundenen Stämme. Man kommt in Gefahr, den Fuß in ihren geöffneten Rachen zu setzen.