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Trotz aller Ermüdung kann ich nicht schlafen. Ich denke an so Vieles.

Jetzt scheint es mir, als hörte ich etwas durch das hohe Gras schleichen. Vielleicht ein Raubthier? Sollte es einen Angriff wagen?

Ich horche. Nichts! Doch, irgend ein Thier schlüpft durch das Schilf. Ich habe keine Waffe. Ich will mich dennoch vertheidigen. Ich werde rufen. Mein Leben kann Mrs. Weldon und meinen Gefährten wohl noch von Nutzen sein.

Ich bemühe mich, in der tiefen Finsterniß zu sehen. Kein Mond am Himmel. Die Nacht ist außerordentlich dunkel.

Da… da glühen zwei Augen im Schatten, zwischen den Papyrus, die Augen einer Hyäne oder eines Leoparden! Sie verschwinden… kommen wieder zum Vorschein…

Endlich… es knackt im Röhricht. Ein Thier springt auf mich zu!…

Es enthält ein Billet… (S. 321.)

Schon wollt’ ich einen Schrei ausstoßen, Alarm schlagen…

Zum Glück vermochte ich mich noch zu beherrschen!

Man hatte sie einfach Hungers sterben lassen. (S. 323)

Noch wage ich nicht, meinen Augen zu trauen… es ist Dingo, Dingo; der bei mir ist!… Braver Dingo!… Welch’ gutes Schicksal giebt ihn mir wieder? Wie konnte er mich wieder auffinden? O, der Instinct! Sollte der Instinct wirklich solche Wunder von treuer Anhänglichkeit schon allein erklären?

Er leckt mir die Hände. Ach, du guter Hund, jetzt mein einziger Freund! Sie haben dich also nicht getödtet!…

Ich erwidere seine Liebkosungen. Er versteht mich. Er möchte bellen vor Freude…

Ich beruhige ihn. Besser, es hört ihn Keiner. Möchte er der Karawane unbemerkt nachfolgen und vielleicht… Doch wie?… er reibt seinen Hals beständig an meinen Händen. Er sieht aus, als wolle er sagen: »Suche doch!«… Ich suche und finde wirklich etwas an seinem Halse… ein Stück Rohr steckt quer unter dem Halsband mit den eingravirten Buchstaben S. V., welche uns noch immer ein unaufgeklärtes Geheimniß blieben.

Da… ich zog das Rohrstück hervor… ich zerbrach es. Richtig, es enthält ein Billet…

Leider vermag ich letzteres jetzt nicht zu lesen und muß dazu erst den Tag abwarten… den Tag… ich möchte ja Dingo gern zurückbehalten, das gute Thier scheint aber, obwohl es mir immer die Hände leckt, große Eile zu haben, mich zu verlassen. Dingo weiß offenbar, daß er seinen Auftrag ausgerichtet hat. Mit einem Seitensprunge verschwindet er geräuschlos in dem Schilfe. Gott bewahre ihn vor dem Zahne der Löwen oder Hyänen!

Der Hund kehrte unzweifelhaft zu Dem zurück, der ihn zu mir sendete.

Dieser Zettel, den ich jetzt nicht lesen kann, brennt mir ordentlich in den Händen! Wer mag ihn geschrieben haben? Sollte er von Mrs. Weldon kommen? Oder von Herkules? Wie vermochte das treue, schon für todt gehaltene Thier die Eine oder den Anderen aufzufinden? Was werden mir diese Zeilen sagen? Deuten sie mir vielleicht einen Plan zur Entweichung an, oder bringen sie nur Nachricht von Denen, die mir theuer sind? Wie dem auch sei, die Sache erregt mich außerordentlich und hat die Empfindung meines eigenen Elendes gänzlich unterdrückt.

O, wie lange zögert heute die Sonne!

Ich harre dem ersten Morgenscheine am Horizont entgegen. Ich vermag kein Auge zu schließen. Noch höre ich das Brüllen der Raubthiere. Mein armer Dingo, mögest du ihnen glücklich entgehen!

Endlich, endlich kommt der Tag, und unter dieser Tropenzone fast ohne vermittelnde Dämmerung. Ich gebe mir Mühe, unbeobachtet zu sein.

Ich versuche zu lesen… ich kann es noch nicht.

Jetzt, jetzt endlich war es möglich, die Schrift zu erkennen. Das Billet rührt von Herkules her.

Es ist mit Bleistift auf ein abgerissenes Stück Papier geschrieben…

Sein Inhalt lautet:

»Mrs. Weldon ist mit dem kleinen Jack in einer Kitanda weggeführt worden. Harris und Negoro begleiten dieselbe. Sie sind mit dem Vetter Benedict der Karawane um drei bis vier Tagemärsche voraus. Ich fand Dingo wieder, der durch einen Flintenschuß verwundet schien, aber wieder hergestellt ist. Guten Muth, Herr Dick. Ich denke an Sie Alle und bin nur entwichen, um Ihnen mehr nützen zu können.

Herkules.«

Ach, Mistreß Weldon und ihr Söhnchen sind noch am Leben! Gott sei gelobt! Sie haben nicht so wie wir von den Strapazen dieser Reise zu leiden. Eine Kitanda ist, so viel ich weiß, eine mit dürrem Laube bedeckte, an langen Bambusstengeln befestigte Tragbahre, welche zwei Männer auf den Schultern tragen. Sie hat wohl auch ein Verdeck, wie ein Planwagen. Mistreß Weldon und mein kleiner Jack sitzen in einer solchen Kitanda. Was mögen Harris und Negoro mit ihnen vorhaben? Offenbar schleppen diese Bösewichte sie nach Kazonnde… ja, gewiß… ich werde sie dort wieder treffen. Ach, inmitten dieses Elends ist es doch eine frohe Botschaft, welche Dingo mir da brachte.

– Vom 11. bis 15. Mai. – Die Karawane setzt ihren Weg fort. Die Gefangenen schleichen von Tag zu Tag nur mühsamer weiter. Die Fußspuren der meisten sind durch Blut befleckt. Ich rechne, daß wir noch zehn Tage bis Kazonnde brauchen, wie Viele werden bis dahin am Ende ihrer Leiden sein? Doch ich, ich muß ankommen, ich werde mit ankommen.

Abscheulich! In dem Zuge giebt es nicht wenige Unglückliche, deren Körper nur eine einzige Wunde ist! Die Stricke, mit denen sie gebunden sind, dringen ihnen in’s Fleisch ein!…

Schon seit gestern trägt eine Mutter ihr vor Hunger umgekommenes Kind auf den Armen weiter; sie will sich nicht von der kleinen Leiche trennen!…

Unser Weg bedeckt sich allmälig mit Todten. Die Spitzpocken wüthen mit sonst unbekannter Heftigkeit.

Wir kommen an einem Baume vorbei, an welchen Sklaven mit dem Halse festgebunden waren, die man einfach hatte Hungers sterben lassen.

– Vom 16. bis 24. Mai. – Fast bin ich am Ende meiner Kräfte, und doch habe ich nicht das Recht, zu erlahmen. Die Regen haben völlig aufgehört. Wir haben jetzt Tage »harten Marsches«. So nennen die Agenten die »Terikosa«, d.i. die Reise des Nachmittags. Wir müssen noch schneller gehen; der Boden zeigt wiederholt ziemlich steile Erhebungen.

Der Zug bewegt sich durch hohes, sehr hartes Schilf. Es besteht aus dem »Nyassi«, dessen Stengel mich im Gesichte verwunden, während dessen spitze Samen durch meine defecte Kleidung bis auf die Haut eindringen. Mein starkes Schuhwerk hat zum Glück bis jetzt ausgehalten.

Die Agenten lassen die Sklaven, welche zu krank sind, um dem Zuge folgen zu können, jetzt einfach liegen. Uebrigens droht der Mundvorrath zu Ende zu gehen; Soldaten und Pagazis murren und kündigen ihre Dienste, wenn ihre Rationen verringert würden. Man wagt nicht, ihnen etwas abzuschlagen, weshalb sich die Lage der Sklaven nur noch mehr verschlimmert.

»Sie mögen einander selbst verzehren!« hat der Chef gesagt.

Die Folge dieser Zustände ist daß junge, noch kräftige Sklaven nicht selten ohne ein eigentliches Zeichen von Krankheit dahinsterben. Es fällt mir da ein, was Livingstone hierüber äußerte: »Diese Unglücklichen klagen über Beschwerden vom Herzen; sie legen ihre Hände über dasselbe und brechen zusammen. Es bricht ihnen auch buchstäblich das Herz. Diese Erscheinung ist besonders freien, unerwartet zur Sklaverei verdammten Menschen eigenthümlich.«

Heute wurden zwanzig Gefangene, welche sich nicht mehr weiterzuschleppen vermochten, von den Havlidars durch Axtschläge getödtet. Der arabische Chef kümmert sich um dieses Blutbad nicht im Mindesten.

O, es war ein schreckliches Schauspiel!

Die arme alte Nan ist bei dieser entsetzlichen Schlächterei durch das Messer umgekommen… ich stoße im Vorbeigehen auf ihren Leichnam. Nicht einmal ein christliches Begräbniß kann ich ihr vermitteln!…

Das ist also die Erste von den Ueberbleibenden des »Pilgrim«, welche Gott zu sich abberufen hat. Du armes, gutes Wesen! Du arme Nan!