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Jede Nacht spähe ich nach Dingo aus. Er ist bis jetzt nicht wiedergekommen. Sollte ihm oder Herkules ein Unfall zugestoßen sein? Nein, nein! Ich kann, ich mag das nicht glauben!… Dieses mir so lang erscheinende Schweigen beweist nur, daß Herkules mir zunächst weitere Neuigkeiten nicht mitzutheilen hat. Er muß ja auch mit aller Klugheit handeln und immer wohl auf der Hut sein!

Neuntes Capitel.

Kazonnde.

Am 26. Mai langte die Karawane zu Kazonnde an. Fünfzig Percent der bei der letzten Razzia Gefangenen gingen auf dem Wege hierher zu Grunde. Dessenungeachtet war das Geschäft für die Agenten noch ein gutes zu nennen; die Nachfragen drängten sich und der Preis für Sklaven stieg auf den Märkten Afrikas

Angola betrieb zu jener Zeit einen sehr ausgedehnten Negerhandel. Die portugiesischen Behörden in San Pablo de Loanda hätten diesem schwerlich Einhalt thun können, denn die Züge schlagen die Richtung nach dem Innern Afrikas ein. Die Baracken an der Küste strotzten von Gefangenen; die wenigen Sklavenschiffe, denen es gelang, durch die Kreuzer längs der Küste zu entkommen, genügten nicht, jene nach den spanischen Kolonien Amerikas überzuführen.

Kazonnde, etwa 300 Meilen von der Mündung der Coanza gelegen, ist einer der wichtigsten »Lakonis«, d.h. einer der hervorragendsten Märkte dieser Provinz. Auf einem großen Platze, der »Tchitoka«, werden die Geschäfte abgewickelt; dort stellt man die Sklaven aus und verkauft sie. Von diesem Punkte strahlen sozusagen die Karawanen nach allen Himmelsrichtungen aus, ziehen aber vorzüglich nach der Gegend der großen Seen weiter.

Kazonnde zerfällt, wie alle größeren Städte Central-Afrikas, in zwei bestimmt unterschiedene Theile, nämlich in das Quartier der arabischen, portugiesischen oder eingebornen Händler, in dem sich deren Baracken befinden, und in die Residenz des Negerkönigs, d.i. irgend ein roher Trunkenbold, der durch Schrecken regiert und von der Naturalverpflegung lebt, welche ihm die Sklavenhändler in reichem Maße liefern.

In Kazonnde gehörte damals fast das ganze Handelsquartier jenem Jose-Antonio Alvez, von dem zwischen Harris und Negoro, den zwei in seinem Solde stehenden Agenten, die Rede war. Dort befand sich das Haupt-Etablissement dieses Sklavenhändlers, der noch ein zweites in Bihe und ein drittes zu Cassange, in Benguela, besaß, wo ihm Lieutenant Cameron einige Jahre später begegnete.

Eine große Central-Straße, auf jeder Seite mehrere Gruppen von Häusern, sogenannte »Tembes«, mit flachem Dache und übertünchten Lehmmauern, deren viereckiger Hof als Aufenthaltsort des Schlachtviehs dient, am Ende der Straße die große, von Baracken eingerahmte »Tchitoka«; über das Ganze hinausragend einige ungeheure Bananen mit prächtiger Verzweigung, da und dort ein Paar große Palmen, im Staube der Straße einige zwanzig, aus Rücksichten der öffentlichen Gesundheitspflege geduldete Raubvögel – das ist etwa das Bild des Handelsquartiers in Kazonnde.

Unfern davon fließt der Luhi, eine noch nicht sicher bestimmte Wasserader, welche jedoch wahrscheinlich einen Zufluß oder Nebenzufluß des Congo, jenes zweiten Armes des Zaïre, bildet.

Die Residenz des Königs von Kazonnde (übrigens auch Kazonndji genannt), welche an das Handelsquartier grenzt, besteht nur aus mehreren Haufen schmutziger Hütten, die auf dem Raume einer Quadratmeile verstreut liegen. Einige derselben haben freien Zugang, andere sind mit einer Palissade von Rohr oder mit vielfach verflochtenem Feigengebüsch umgeben. Ein besonderes, von Papyrushecken umschlossenes Gehege, etwa dreißig, den Sklaven des Häuptlings als Wohnung dienende Hütten, eine andere Gruppe solcher für seine Weiber, ein etwas größerer und höherer, in Manioc-Pflanzungen halb versteckter »Tembe« – das ist der Sitz des Königs von Kazonnde, eines Mannes von fünfzig Jahren, Namens Moini Loungga, der von der Stellung, wie sie seine Vorgänger noch zu behaupten wußten, schon sehr viel eingebüßt hat. Kaum gebietet er noch über 4000 Krieger, während die vornehmsten portugiesischen Sklavenhändler deren 20.000 haben, und jetzt konnte er nicht mehr, wie ehemals, seiner Laune täglich zwanzig bis dreißig Sklaven hinopfern.

Dieser König war übrigens ein durch Ausschweifungen aller Art geschwächter Greis, ein wilder, durch starke Liqueure innerlich sozusagen verbrannter Wüstling, der seine Unterthanen, seine Minister oder Officiere aus reiner Laune verstümmelte, den Einen die Nase oder die Ohren, den Anderen einen Fuß oder eine Hand abschnitt, und dessen Tod, der in Bälde bevorstand, wohl von Keinem mit Bedauern erwartet wurde.

Höchstens ein einziger Mann in ganz Kazonnde konnte durch das Ableben Moini Loungga’s verlieren. Es war das der Sklavenhändler Jose-Antonio Alvez, der mit dem Trunkenbold, dessen Autorität die ganze Provinz anerkannte, auf bestem Fuße stand. Er allein konnte wohl fürchten, daß nach jenem, im Falle das Recht der Regierung seiner ersten Frau, der Königin Moina, bestritten wurde, das Land Moini Loungga’s von einem benachbarten Prätendenten, einem der Könige von Ukusu, in Besitz genommen würde. Dieser, ein jüngerer, thatkräftigerer Mann, hatte sich schon einiger, zu Kazonnde gehöriger Dörfer bemächtigt, wobei ihn ein anderer Sklavenhändler, ein Concurrent von Alvez, nämlich jener schwarze Vollblut-Araber Tipo-Tipo unterstützte, mit dem Cameron bald darauf in N’yangwe zusammentraf.

Jose-Antonio Alvez, der wirkliche Souverän unter der scheinbaren Herrschaft jenes verthierten Negers, dessen Laster er absichtlich großgezogen und ausgenutzt hatte, stand schon in vorgeschrittenem Alter und war nicht, wie man vermuthen sollte, »Msungu«, d.h. ein Abkömmling weißer Race. Er hatte eben nichts Portugiesisches als seinen Namen, den er wahrscheinlich einst nur mit Rücksicht auf seine Handelsthätigkeit annahm. Er war in der That ein Neger, wohl bekannt unter der ganzen dortigen Handelswelt, und nannte sich eigentlich Kenndele. Geboren in Dondo, an den Ufern der Coanza, begann er seine Laufbahn als ein einfacher Agent für Sklavenmäkler und brachte es bis zum Händler von größtem und bestem Rufe, d.h. in der Haut eines alten Spitzbuben, der sich als den ehrlichsten Mann der Welt hinzustellen liebte.

Derselbe Alvez war es, den Cameron im Jahre 1874 in Kliemmba, der Hauptstadt von Kassongo, traf und der ihn mit seiner Karawane bis zu den Etablissements von Bihe, eine Strecke von 700 Meilen, dahinleitete.

Nach dem Eintreffen in Kazonnde hatte man den ganzen Sklavenzug nach dem großen Platze der Stadt geführt.

Es war am 26. Mai. Dick Sands Berechnungen erwiesen sich demnach als richtig. Von dem am Ufer der Coanza aufgeschlagenen Lager aus hatte die Reise 38 Tage in Anspruch genommen. Fünf der entsetzlichsten Wochen, welche Menschen wohl überhaupt zu durchleben im Stande sind.

Der Einzug in Kazonnde fand gegen Mittag statt. Die Tamboure wirbelten und die Cudu-Hörner ertönten mitten unter dem Knattern der Feuerwaffen. Die Soldaten der Karawane feuerten zum Gruße ihre Flinten in die Luft ab und die Diener Antonio Alvez’ ließen nicht auf die gleiche Antwort warten. Das ganze Raubgesindel schien über das Wiedersehen nach viermonatlicher Trennung ordentlich glücklich zu sein. Jetzt sollten sie auch ausruhen können, um durch Ausschweifung und Völlerei die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Die in der Mehrzahl bis auf’s Aeußerste erschöpften Gefangenen zählten noch etwa 250 Köpfe. Nachdem man sie wie eine Viehheerde vor sich her getrieben, wurden sie nun in Baracken eingepfercht, welche die Farmer Amerikas nicht einmal als Ställe benutzt hätten. Dort warteten ihrer schon 12-bis 1500 andere Sklaven, die am zweitnächsten Tage mit ihnen auf dem Markte von Kazonnde zum Verkauf gestellt werden sollten. Die Baracken füllten sich nun mit den Sklaven der Karawane bis zum Uebermaß. Die lästigen Gabelhölzer hatte man ihnen zwar abgenommen, ihre Ketten mußten sie aber auch jetzt noch weiter tragen.