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Gleichzeitig mit Alvez erschien sein Freund Coïmbra. (S. 332.)

Die Pagazis waren auf dem Platze geblieben, nachdem sie ihre Elfenbeinlast für die Händler von Kazonnde daselbst niedergelegt hatten. Sie wurden mit einigen Yards zu möglichst hohem Preise berechneten Callicots oder anderer Stoffe abgelohnt, und zogen sich zurück, um sich einer anderen Karawane anzuschließen.

Der alte Tom und seine Gefährten sahen sich also endlich von der Halsfessel befreit, welche sie fünf Wochen lang getragen hatten. Bat und sein Vater konnten einander doch einmal wieder in die Arme sinken. Alle drückten sich wehmüthig die Hände. Zu sprechen wagten sie kaum. Was hätten sie auch Anderes über die Lippen bringen sollen als Worte der fast hoffnungslosen Verzweiflung? Bat, Acteon und Austin, drei Männer im kräftigsten Alter, hatten den Strapazen wohl zu widerstehen vermocht; der durch Entbehrungen aller Art geschwächte alte Tom aber war am Ende seiner Kräfte. Nur wenige Tage noch, und sein Leichnam wäre, gleich dem der alten Nan, liegen geblieben als Beute für die Raubthiere des Landes.

Sogleich nach ihrer Ankunft hatte man jene Vier in eine enge Baracke eingesperrt, deren Thür sich unmittelbar hinter ihnen schloß. Dort fanden sie einige Nahrungsmittel vor und erwarteten den Eintritt des Sklavenhändlers, dem gegenüber sie, wiewohl voraussichtlich ohne Erfolg, unter Betonung ihrer Nationalität als Amerikaner gegen ihre Vergewaltigung protestiren wollten.

Dick Sand selbst war unter besonderer Aufsicht eines Havlidars zurückgeblieben.

Endlich befand er sich in Kazonnde und bezweifelte keinen Augenblick, daß Mistreß Weldon, der kleine Jack, sowie Vetter Benedict schon vor ihm angelangt seien. Er hatte sie begierig gesucht auf dem Wege durch die Stadt, und die Blicke gesandt bis in’s Innere der »Tembes« an der Straße, wie über die weite, jetzt ziemlich menschenleere Tchitoka.

Mrs. Weldon war nicht zu finden.

»Sollte man sie doch nicht hierher gebracht haben? fragte sich Dick Sand. Aber wo wäre sie dann? Nein, Herkules wird mich nicht falsch berichtet haben. Uebrigens spielen ja hierbei Harris’ und Negoro’s heimliche Absichten gewiß eine wichtige Rolle!… Und diese… ja, ich sehe auch diese nicht!…«

Eine unnennbare Angst kam über Dick Sand. Daß die gefangen gehaltene Mrs. Weldon ihm nicht sichtbar ward, ließ sich am Ende erklären. Harris und Negoro aber – vorzüglich der Letztere – mußten doch alle Ursache haben, den jetzt in ihrer Gewalt befindlichen Leichtmatrosen wiederzusehen, und wäre es nur, um sich ihres Triumphes zu freuen, um ihn zu insultiren, zu quälen und sich an ihm zu rächen. Sollte er aus ihrer Abwesenheit den Schluß ziehen, daß sie eine andere Richtung eingeschlagen und Mrs. Weldon nach einem anderen Punkte Afrikas entführt hätten? Selbst wenn die Gegenwart Harris’ und Negoro’s nur das Signal zu seiner Bestrafung wäre, so hätte er sie doch herbeigewünscht weil ihm das die Gewißheit gab, daß Mrs. Weldon und ihr Kind sich gleichfalls hier befänden.

Dick Sand erinnerte sich auch, daß Dingo seit der Nacht, da er ihm das Billet von Herkules überbrachte, nicht wieder erschienen sei. Eine auf gut Glück fertig gemachte Antwort, durch welche er Herkules empfahl, nur an Mrs. Weldon zu denken, sie nie aus dem Gesichte zu verlieren und sich möglichst von allem Vorgehenden unterrichtet zu erhalten, hatte er nicht an den Ort ihrer Bestimmung befördern können. Wenn Dingo es einmal glücklich ausführen konnte, bis in die Reihen der Karawane heranzuschleichen, warum ließ ihm Herkules es nicht ein zweites Mal versuchen? War das treue Thier bei einem solchen mißglückten Versuche umgekommen, oder hatte sich Herkules, indem er Mrs. Weldon’s Spuren nachging, wie es Dick Sand gewiß selbst gethan hätte, in die Tiefen des bewaldeten Plateaus Inner-Afrikas verirrt, in der Hoffnung, vielleicht irgend eine Factorei anzutreffen?

Was konnte Dick Sand darüber denken, wenn wirklich weder Mrs. Weldon noch ihre Entführer hier waren? Er hatte sich – vielleicht also doch mit Unrecht – so versichert gehalten, sie in Kazonnde wiederzufinden, daß er es gleich einem furchtbaren Schlage empfand, sie jetzt nicht zu sehen. Es ergriff ihn ein Gefühl von Verzweiflung, das er kaum zu bemeistern vermochte. Sein Leben hatte für ihn, wenn er damit Denen, an welchen er mit voller Liebe hing, nicht mehr nützen konnte, auch keinen Werth mehr; dann wünschte er sich fast den Tod herbei. Aber wenn er also dachte, so kannte er doch seinen eigentlichen Charakter blutwenig. Unter den wuchtigen Schicksalsschlägen war das Kind zum Manne herangereift und seine augenblickliche Entmuthigung hatte nur die Bedeutung eines der menschlichen Natur unverweigerbaren Tributs.

Da erdröhnte ein furchtbares Concert von Fanfaren und wildem Geschrei. Dick Sand, der sich in den Sand der Tchitoka niedergelassen hatte, erhob sich sofort wieder. Jedes neue Ereigniß konnte ihn ja auf die Spuren der Gesuchten führen. Der eben Verzweifelnde hoffte jetzt schon wieder.

»Alvez! Alvez!« diesen Namen rief eine Menge Eingeborener und Soldaten, welche nach dem weiten Platze hereinströmten. Der Mann, in dessen Hand das Loos so vieler Unglücklichen lag, sollte endlich erscheinen. Möglicher Weise begleiteten ihn seine Agenten Harris und Negoro. Dick Sand stand aufrecht, mit weit geöffneten Augen. Die beiden Verräther sollten den jungen, fünfzehnjährigen Matrosen hier ungebeugt, fest, Auge in Auge vor sich sehen. Der Kapitän des »Pilgrim« war nicht geschaffen, vor dem früheren Schiffskoch zu zittern!

Am Ende der Hauptstraße zeigte sich ein Hamac, eine Art Kitanda, mit ausgeflicktem, verschossenem und da und dort in Fetzen flatterndem Sonnendache. Ein bejahrter Neger stieg aus demselben, das war der Sklavenhändler Jose-Antonio Alvez.

Einige Diener, welche mit wichtiger Miene umherflunkerten, begleiteten den Gebieter.

Gleichzeitig mit Alvez erschien sein Freund Coïmbra, ein Sohn des Generals Coïmbra aus Bihe und, nach Lieutenant Cameron’s Bericht, der größte Strauchdieb der Provinz, ein schmutziger, sittenloser Kerl, mit wildem, krausem Haar, gelbem Gesichte und bekleidet mit einem zerlumpten Hemd und einem Rocke aus Schilf. Man hätte unter seinem aus den Nähten gegangenen Strohhute eher ein altes, abschreckendes Weib gesucht. Dieser Coïmbra, war der Vertraute Alvez’, eine ihm verschriebene Seele, der Organisator der Razzias und das würdige Subject, die Banditen des Sklavenhändlers zu befehligen.

Letzterer selbst sah vielleicht etwas weniger schmutzig aus als sein Ebenbild in der Verkleidung eines alten Türken am Morgen nach einem Carneval; jedenfalls entsprach er aber nicht im Mindesten der landläufigen Vorstellung von jenen Chefs der Factoreien, welche den Sklavenhandel im Großen treiben.

Zu Dick Sand’s größter Enttäuschung befanden sich weder Harris noch Negoro in Alvez’ Gefolge. Sollte der junge Gefangene also auf die Hoffnung verzichten, sie in Kazonnde wieder zu finden?

Inzwischen wechselte der Chef der Karawane, der Araber Ibn Hamis, einen Händedruck mit Alvez und Coïmbra, die ihm ihre Glückwünsche darbrachten. Die fünfzig Percent Sklaven, welche von der anfänglichen Gesammtsumme fehlten, veranlaßten Alvez zwar zu einer leisen Verzerrung seines Gesichtes; Alles in Allem blieb das Geschäft doch noch immer ein gutes zu nennen.

Mit dem Menschenwaare-Vorrathe in seinen Baracken konnte dieser Sklavenhändler die Nachfrage aus dem Binnenlande decken und auch noch Sklaven gegen Elfenbein eintauschen, oder gegen die »Hannas« aus Kupfer, d.i. eine Art Andreaskreuz, in welcher Form das genannte Metall nach dem Innern von Afrika gebracht wird.

Auch den Havlidars ward ihre Anerkennung zu Theil; bezüglich der Träger gab der Händler Befehl zur sofortigen Auszahlung ihres Lohnes.

Jose-Antonio Alvez und Coïmbra sprachen ein Kauderwelsch von Portugiesisch und dem Dialecte der Eingebornen, so daß sie ein Bewohner von Lissabon schwerlich verstanden haben würde. Auch Dick Sand verstand also nichts von dem, was die »Händler« unter einander abmachten. War vielleicht die Rede von seinen Gefährten und von ihm selbst, die so heimtückischer Weise in den Zug der Gefangenen eingereiht wurden? Dem jungen Leichtmatrosen schwand darüber jeder Zweifel, als sich auf eine Handbewegung des Arabers Ibn Hamis ein Havildar nach der Baracke begab, in der Tom, Austin, Bat und Acteon eingeschlossen waren.