Die natürliche Erbin des Königs von Kazonnde war die Königin Moina. Dadurch, daß sie die Leichenfeierlichkeiten sofort veranlaßte, übte sie einen Act souveräner Autorität aus und lief damit den Mitbewerbern um den Thron den Rang ab, unter Anderen z.B. dem Könige von Ukusu, der sich die Rechte des Souveräns von Kazonnde anzumaßen drohte. Dabei entging Moina, eben als Königin, dem grausamen Loose der anderen Frauen des Verschiedenen und entledigte sich dabei der jüngeren derselben, über die sie, als Erste der Zeit nach, sich natürlich nicht selten zu beklagen hatte. Das war Alles so recht nach dem Sinne der wilden Megäre. Sie ließ also unter Begleitung von Cudu-und Marimebas-Hörnern ankündigen, daß die Leichenfeierlichkeiten für den verstorbenen König am folgenden Abend und mit allem, sonst dabei gebräuchlichen Ceremoniell stattfinden würden.
Weder seitens des Hofes noch seitens des Volkes wurde ein Einwand dagegen erhoben. Alvez und die übrigen Sklavenhändler hatten ja von der Thronbesteigung dieser Königin Moina nichts zu fürchten. Durch einige Geschenke und gelegentliche Schmeicheleien konnten sie sich sicherlich leicht ihren Einfluß auf dieselbe erhalten. Die Uebernahme der königlichen Erbschaft vollzog sich demnach ohne Schwierigkeiten. Nur im Harem herrschte, und zwar nicht ohne Grund, darüber ein gewisser Schrecken.
Noch an demselben Tage begannen die Vorarbeiten zu der Leichenfeier. Nahe dem Ausgange der Hauptstraße von Kazonnde floß ein tiefer, brausender Fluß, ein Nebenarm des Congo, dessen Lauf abgeleitet werden sollte, um sein Bett trocken zu legen; in diesem Bette sollte die Ruhestätte des Königs ausgegraben werden; nach dem Begräbniß erhielt das Wasser dann seinen gewöhnlichen Lauf wieder.
Die Eingebornen arbeiteten emsig an der Aufschüttung eines Dammes, der den Fluß nöthigte, sich ein provisorisches Bett durch die Ebene von Kazonnde zu suchen. Bei dem letzten Acte der bevorstehenden Ceremonie sollte dann der Damm wieder geöffnet und der Wasserlauf in sein natürliches Bett zurückgeleitet werden.
Zu den unglücklichen Opfern, welche auf dem Königsgrabe hingeschlachtet werden sollten, bestimmte Negoro auch Dick Sand. Jener war Zeuge gewesen des unwiderstehlich durchbrechenden Zornes des jungen Leichtmatrosen, als Harris ihm fälschlich Mrs. Weldon’s und Jack’s Tod meldete. Negoro, ein von Natur feiger Schurke, vermied es ängstlich, sich dem gleichen Schicksale wie sein Spießgeselle auszusetzen. Gegenüber einem an Händen und Füßen gefesselten Gefangenen glaubte er jetzt aber nichts mehr befürchten zu müssen und beschloß, jenen aufzusuchen. Negoro gehörte zu den Scheusalen, denen es nicht genügt, ihre Opfer zu quälen, sondern die sich auch noch an deren Qualen weiden wollen.
Er begab sich also gegen Mittag nach der Baracke, in der Dick Sand von einem Havildar scharf bewacht wurde; dort lag der eng geknebelte junge Leichtmatrose, seit vierundzwanzig Stunden fast ohne jede Nahrung, entkräftet von den ausgestandenen Strapazen, gepeinigt durch die Bande, welche ihm tief in’s Fleisch einschnitten, kaum im Stande, sich nur zu wenden, und in Erwartung des Todes, der, so grausam er auch sein mochte, doch seine Qualen endigen mußte.
Die Stadt Kazonnde bot einen völlig ungewohnten Anblick. (S. 357.)
Beim Erblicken Negoro’s lief ein Zittern durch seinen ganzen Körper. Er machte eine unwillkürliche Anstrengung, seine Fesseln zu sprengen, um sich auf den elenden Wicht zu stürzen und mit ihm Abrechnung zu halten. Selbst Herkules jedoch hätte dieser Versuch mißlingen müssen.
»Du Elender!« rief der Portugiese. (S. 363.)
Er begriff, daß es sich hier nur noch um einen anderen Kampf zwischen ihnen Beiden handeln könne, und so zwang sich Dick Sand, ruhig zu sein und Negoro furchtlos anzusehen, entschlossen, ihn auf keinen Fall einer Antwort zu würdigen.
»Ich hielt es für meine Pflicht, begann Negoro, meinen jungen Kapitän zum letzten Male zu begrüßen und ihm mein Bedauern auszusprechen, daß er hier nicht ebenso das Commando führt wie an Bord des »Pilgrim«.
Da Dick Sand auf diese Worte schwieg, fuhr er fort:
»Zum Kuckuck, Kapitän, erkennen Sie denn ihren früheren Schiffskoch nicht wieder? Er kommt ja nur, Ihre Befehle entgegenzunehmen und zu fragen, was Sie zum Frühstück aufgetragen wünschen.«
Gleichzeitig versetzte Negoro dem auf der Erde liegenden jungen Leichtmatrosen einen rohen Fußtritt.
»Außerdem, fügte er hinzu, hätte ich noch eine Frage an Sie zu richten, mein junger Kapitän. Können Sie mir wohl erklären, wie Sie eigentlich nach Angola, wo wir uns heute befinden, gekommen sind, während Sie doch nach der Küste Amerikas steuerten?«
Für Dick Sand bedurfte es kaum der höhnischen Worte des Portugiesen, um einzusehen, daß seine Voraussetzung völlig zutreffend war, als er zu der Ueberzeugung kam, daß der Kompaß des »Pilgrim« durch diesen Verräther unrichtig gemacht worden sei. Die jetzige Frage Negoro’s galt ihm aber als wirkliches Geständniß. Auch hierauf antwortete er jedoch nur durch verächtliches Schweigen.
»Sie werden zugeben, Kapitän, fuhr Negoro fort, daß es ein Glück für Sie war, damals einen Seemann, einen wirklich erfahrenen Seemann an Bord zu haben. Großer Gott! Wo wären wir jetzt ohne diesen? Statt an irgend welcher Klippe, an welche der Sturm Sie warf, elend umzukommen, verdanken Sie ihm, zuletzt doch nach einem befreundeten Hafen gekommen zu sein, und wenn irgend Jemand das Verdienst hat, Sie jetzt zu einem sicheren Orte befördert zu haben, so ist es eben jener Seemann, den Sie ungerechter Weise so geringschätzig behandelten, mein junger Herr!«
Mit diesen Worten hatte Negoro, dessen scheinbare Ruhe nur das Resultat einer unglaublichen Anstrengung war, sein Gesicht Dick Sand genähert; den Ausdruck thierischer Wildheit in den Zügen, berührte er damit das Dick Sand’s so nahe, daß man glaubte, er wolle ihn aufzehren. Jetzt konnte der Schurke seinen inneren Grimm nicht mehr bemeistern.
»Einer nach dem Anderen! rief er plötzlich in einem Ausbruche von Wuth, welche die gleichmäßige Ruhe seines Opfers nur noch steigerte. Jetzt bin ich der Kapitän, bin ich der Herr! Dein verfehltes Schiffsjungenleben liegt in meiner Hand.
– Nimm es hin, antwortete Sand ohne jede Erregung, aber wisse, im Himmel lebt ein Rächer aller Verbrechen und Deine Strafe wird nicht mehr fern sein!
– Wenn Gott sich um die Menschen kümmert, dann ist es Zeit, daß er sich Deiner annimmt!
– Ich bin jeden Augenblick bereit, vor den höchsten Richter zu treten, erwiderte Dick Sand gelassen und der Tod erschreckt mich nicht.
– Das werden wir ja sehen, heulte Negoro. Du hoffst vielleicht noch auf irgend welche Hilfe. Hilfe und Rettung in Kazonnde, wo Alvez und ich allmächtig sind – Du bist ein Narr! Du sagst Dir vielleicht, Deine früheren Gefährten, der alte Tom und die Anderen, seien ja noch da! Laß diesen Irrthum: sie sind schon längst verkauft und nach Zanzibar unterwegs, wobei sie von Glück sagen können, wenn sie nicht schon auf der Reise elend umkommen.
– Gott besitzt unzählige Mittel, Gerechtigkeit zu üben, erwiderte Dick Sand. Ihm genügt das unscheinbarste Mittel. Herkules ist noch frei.
– Herkules! rief Negoro mit dem Fuße stampfend, o, der ist längst unter den Zähnen der Löwen und Panther umgekommen, und ich bedauere dabei nur, daß diese Bestien meiner Rache zuvorgekommen sind.
– Wenn Herkules todt ist, antwortete Dick Sand, so lebt doch Dingo noch. Ein Hund seines Schlages, Negoro, ist mehr als genug, um mit einem Menschen gleich Dir fertig zu werden. Ich kenne Dich durch und durch, Negoro, und muthig bist Du nicht. Dingo sucht Dich, er wird Dich zu finden wissen, und seinen Zähnen wirst Du einst noch erliegen.