Jose-Antonio Alvez, Coïmbra, Negoro, die arabischen Händler und ihre Havlidars vergrößerten die Reihen des Volkes von Kazonnde. Noch Niemand war bis jetzt nach Schluß des großen Lakoni abgereist. Die Königin Moina hätte es nicht zugegeben, und es wäre unklug gewesen, den Befehlen Derjenigen entgegen zu handeln, welche ihre Kräfte jetzt im Regierungsgeschäfte erprobte.
Der in einem Palankin ruhende Körper des Königs wurde in den letzten Gliedern des Leichenzuges getragen. Ihn umgaben seine Frauen zweiten Ranges, deren einige ihm aus diesem Leben das Geleite geben sollten. Königin Moina ging in großem Ornate hinter dem Aufbau her, den man hier als Katafalk bezeichnen könnte. Es war vollständig Nacht, als Alles am Flußufer anlangte, die von ihren Trägern fleißig geschwungenen Harzfackeln warfen aber einen hellen Schein über die Versammlung.
Die Grube war deutlich zu übersehen. Sie zeigte sich mit schwarzen, lebenden Körpern ausgekleidet, welche sich unter den Ketten wanden, die sie am Boden festhielten. Fünfzig Sklavinnen erwarteten hier, daß der Strom sich über sie ergieße; meist waren es junge Eingeborne, die Einen ergeben und lautlos, die Anderen leise seufzend und jämmernd.
Die gleichwie zu einem Feste geschmückten Gattinnen, welche hier gleichzeitig den Tod erleiden sollten, hatte die Königin selbst ausgewählt.
Die Eine unter diesen Schlachtopfern, welche sonst den Titel der zweiten Gemalin führte, wurde mit gekrümmten Armen und gebogenen Knieen gebunden, um als Sessel des Königs zu dienen, wie sie es bei seinen Lebzeiten zu thun pflegte, die dritte Gemalin hatte die Gliederpuppe aufrecht zu halten, während die vierte als Kissen zu deren Füßen lag.
Am Ende des Grabes und vor der Gliedergruppe erhob sich ein rothangestrichener Pfahl aus der Erde. An demselben festgebunden, stand ein Weißer, den man den Schlachtopfern dieser grauenvollen Leichenfeierlichkeit zugesellt hatte.
Die Grube war deutlich zu übersehen (S. 367.)
Jener Weiße war kein Anderer als Dick Sand. Sein halb entblößter Körper zeigte die Merkmale der Torturen, welche ihm auf Negoro’s Anordnung schon vorher zu Theil wurden. An den Pfahl geknebelt, stand er hier in Erwartung des Todes, im Herzen nur noch mit der Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben.
Noch war indeß der Augenblick, den Damm zu durchstechen, nicht gekommen.
Auf ein Zeichen der Königin wurde die vierte Gemalin, welche ihren Platz zu Füßen des Königs hatte, von dem Nachrichter in Kazonnde hingeschlachtet und ihr Blut floß in die Grube hin. Das war der Anfang einer geradezu entsetzlichen Blutscene. Fünfzig Sklavinnen fielen unter dem Messer ihrer Mörder. Das Bett füllte sich mit Menschenblut.
Eine halbe Stunde hindurch mischte sich das Geschrei der Opfer mit den Ausrufungen der Zuschauer, vergebens aber hätte man unter dieser Menge nach einem Zeichen des Abscheus oder des Mitleids gesucht.
Endlich gab Königin Moina ein weiteren Zeichen, worauf der Verschluß, welcher das obere Wasser zurückhielt, langsam geöffnet wurde. Mit ausgesuchter Grausamkeit ließ man das Wasser nur allmälig ansteigen, statt es durch eine plötzliche Oeffnung des Dammes herabstürzen zu lassen. Der langsame Mord statt des schnellen Todes!
Das Wasser erreichte zuerst die Schicht Sklaven, welche den Grund der Grube bedeckte. Mit schrecklichen Anstrengungen und Verrenkungen arbeiteten die Unglücklichen gegen den Erstickungstod. Dick Sand stand schon bis zu den Knieen im Wasser und versuchte noch eine letzte Anstrengung, seine Fesseln zu sprengen.
Doch das Wasser stieg höher. Die letzten Köpfe verschwanden unter dem Strome, der wieder seinem alten Laufe folgte, und nichts verrieth, daß in seinem Grunde ein Grab war, in dem zu Ehren des Königs von Kazonnde hundert unglückliche Opfer hingemordet wurden.
Die Feder sträubt sich vor solcher Schilderung, wenn nicht die Verpflichtung, bei der Wahrheit zu bleiben, es verlangte, auch diese Scenen in ihrer ganzen Abscheulichkeit wiederzugeben. In jenen traurigen Ländern steht der Mensch leider noch auf so niedriger Stufe. Man bessert solche Verhältnisse nicht, indem man sich ihrer Erkenntniß verschließt.
Fußnoten
1 Man macht sich gar keine zureichende Vorstellung von den furchtbaren Hekatomben, wenn es bei den Stämmen Central-Afrikas sich darum handelt, das Andenken eines mächtigen Häuptlings würdig zu ehren. Cameron erzählt, daß bei dem Leichenbegängniß des Vaters des Königs von Kassongo weit über hundert Opfer hingeschlachtet wurden.
Dreizehntes Capitel.
Das Innere der Factorei.
Harry und Negoro hatten gelogen, als sie sagten, daß Mrs. Weldon und der kleine Jack todt seien. Sie befanden sich vielmehr mit Vetter Benedict Alle in Kazonnde.
Nach Erstürmung des Termitenbaues waren sie von Harris und Negoro, welche etwa ein Dutzend eingeborner Soldaten begleiteten, von dem Lager an der Coanza weggeführt worden.
Ein Palankin, die landesübliche »Kitonda«, nahm Mrs. Weldon und den kleinen Jack auf. Weshalb diese Fürsorge seitens eines Mannes wie Negoro? Mrs. Weldon wagte gar nicht, sich das zu erklären.
Schnell und ohne Anstrengung ward der Weg von der Coanza bis Kazonnde zurückgelegt. Vetter Benedict, auf den alle Strapazen keinen Einfluß zu haben schienen, wanderte raschen Schrittes dahin. Da man ihn links und rechts umherschweifen ließ, dachte er gar nicht daran, sich zu beklagen. Acht Tage vor Ibn Hamis’ Karawane langte die kleine Gesellschaft in Kazonnde an. Mrs. Weldon wurde nebst ihrem Kinde und Vetter Benedict in dem Etablissement des Händlers Alvez eingeschlossen.
Es sei hier gleich im Voraus erwähnt, daß der kleine Jack sich weit besser befand. Nach dem Verlassen der sumpfigen Gegend, wo er sich früher das Fieber zuzog, genaß er allmälig wieder und erfreute sich jetzt des besten Wohlseins. Die Anstrengungen der Karawane hätten freilich weder er, noch seine Mutter auszuhalten vermocht. Bei den Verhältnissen aber, unter welchen sie diese Reise zurücklegten, während welcher sie auch nach keiner anderen Seite Noth litten, befanden sie sich, wenigstens physisch, Alle in leidlich gutem Zustande.
Von ihren Gefährten erhielt Mrs. Weldon keinerlei Nachrichten. Nachdem sie Herkules hatte in das Dickicht entfliehen sehen, wußte sie nicht, was aus ihm geworden war. Bezüglich Dick Sand’s hoffte sie, daß seine Eigenschaft als Weißer ihn vor zu rücksichtsloser Behandlung schützen werde, da Harris und Negoro ja nicht in seiner Nähe waren, um ihn zu quälen. Nan, Bat, Tom. Austin und Acteon waren freilich Schwarze, und es schien nur zu gewiß, daß sie auch als solche behandelt würden. Die armen Leute, welche niemals den Boden Afrikas hätten betreten sollen und welche nun ein elender Verrath hierher verschlagen mußte!
Auch als Ibn Hamis’ Karawane in Kazonnde anlangte, erfuhr Mrs. Weldon, der jede Verbindung mit der Außenwelt abgeschnitten war, davon nicht das Geringste.
Selbst der Lärm des Lakoni konnte sie nicht weiter aufklären. Sie wußte nicht, daß Tom und die Seinen an einen Sklavenhändler in Ujiji verkauft worden waren und daß sie in nächster Zeit abziehen sollten. Sie kannte weder etwas von der Tödtung Harris’, noch von dem Ableben des Königs Moini Loungga, nichts von der königlichen Leichenfeier, der Dick Sand mit so vielen Anderen zum Opfer gefallen war. Die unglückliche Frau befand sich demnach allein in Kazonnde, abhängig von der Gnade der Händler, in der Gewalt Negoro’s, und um diesem zu entfliehen, konnte sie nicht einmal daran denken, zu sterben, da ihr Kind ja bei ihr war!
Das Loos, welches ihrer wartete, blieb Mrs. Weldon also völlig unbekannt. Im Laufe der ganzen Reise von der Coanza bis Kazonnde hatten weder Harris noch Negoro jemals ein Wort an sie gerichtet. Seit ihrer Ankunft hier sah sie weder den Einen noch den Anderen nur mit einem Blicke wieder und konnte die Einzäunung des Etablissements des reichen Sklavenhändlers nicht verlassen.