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So dachte Mrs. Weldon. Was konnte sie selbst aber in ihrer Lage thun? Entfliehen? Doch wie? Man überwachte sie sehr streng. Fliehen hieß aber, sich auf’s Gerathewohl in das Dickicht der Wälder wagen, mitten in tausend Gefahren stürzen und eine Fußreise von mehr als zweihundert Meilen bis zur Küste versuchen. Trotz alledem war Mrs. Weldon, wenn ihr kein anderes Mittel zu Gebote stand, ihre Freiheit wieder zu erlangen, zu jenem Wagniß entschlossen. Vorher jedoch wollte sie die eigentlichen Absichten Negoro’s kennen lernen.

Endlich sollte das geschehen.

Am 6. Juni, drei Tage nach dem Begräbnisse des Königs von Kazonnde, trat Negoro in die Factorei, in welche er bisher nie den Fuß gesetzt hatte, ein und ging unmittelbar auf die von der Gefangenen bewohnte Hütte zu.

Mrs. Weldon war allein. Vetter Benedict machte eben einen seiner wissenschaftlichen Spaziergänge. Der kleine Jack tummelte sich unter Aufsicht Halima’s auf dem freien Platze der Factorei.

Vetter Benedict durfte in dem Etablissement ungehindert hin-und hergehen. (S. 373.)

Negoro stieß die Thür der Hütte auf.

»Mistreß Weldon, begann er ohne weitere Vorrede, Tom und seine Gefährten sind nach den Märkten von Ujiji verkauft worden.

– Gott sei ihnen gnädig! sagte Mrs. Weldon, die sich eine Thräne trocknete.

– Nan ist unterwegs gestorben und Dick Sand kam um..

»Und wer würde eine Weiße kaufen?« (S. 378.)

– Nan todt! Und Dick’… rief Mrs. Weldon.

– Ja, die Gerechtigkeit verlangte, daß der Kapitän von fünfzehn Jahren die Ermordung Harris’ mit dem Tode bezahlte, erwiderte Negoro. Sie sind allein in Kazonnde, Mistreß, allein in der Gewalt des früheren Koches vom »Pilgrim«, ganz allein, verstehen Sie?«

Was Negoro sagte, war leider nur zu wahr, auch so weit es Tom und seine Genossen betraf. Der alte Neger, sein Sohn Bat, Acteon und Austin

brachen schon am Tage vorher mit der Karawane des Händlers aus Ujiji auf, ohne den Trost, Mrs. Weldon wiederzusehen, sogar ohne zu wissen, daß ihre Leidensgefährtin sich überhaupt in Kazonnde in Alvez’ Etablissement befand. Nun waren sie abgereist nach der Gegend der großen Seen, den Weg, der viele hundert Meilen beträgt, den nur Wenige zurücklegen und von dem noch Wenigere wiederkehren.

»Nun, was weiter? fragte Mrs. Weldon, ohne Negoro anzusehen.

– Mistreß Weldon, fuhr der Portugiese kurz angebunden fort, ich könnte mich jetzt für die schlechte Behandlung rächen, die ich an Bord des »Pilgrim« erlitten habe. Der Tod Dick Sand’s soll mir jedoch genügen. Jetzt bin ich wieder Kaufmann und nun hören Sie meine Absichten wegen Ihrer Zukunft!«

Mrs. Weldon betrachtete den Mann, ohne ein Wort zu äußern.

»Sie selbst, erklärte der Portugiese, Ihr Kind und der gelehrte Tölpel, welcher nach Fliegen jagt, haben für mich einen gewissen Handelswerth, den ich mir zu Nutze zu machen gedenke. Ich werde also auch Sie verkaufen.

– Ich bin eine Freie, antwortete Mrs. Weldon mit sicherer Stimme.

– Sie sind eine Sklavin, wenn ich das will.

– Und wer würde eine Weiße kaufen?

– Ein Mann, der so viel für Sie zahlt, wie ich verlange!«

Mrs. Weldon senkte einen Augenblick das Haupt, denn sie wußte, daß in diesem entsetzlichen Lande eben Alles möglich sei.

»Sie haben mich verstanden? begann Negoro wieder.

– Wer ist der Mann, von dem Sie glauben, daß er mich kaufen werde?

– Sie kaufen oder wiederkaufen!… Ich setze das wenigstens voraus! fügte der Portugiese grinsend hinzu.

– Der Name dieses Mannes? fragte Mrs. Weldon.

– Ei… das ist James W. Weldon, Ihr Gatte.

– Mein Mann! rief Mrs. Weldon, welche nicht recht gehört zu haben glaubte.

– Er selbst, Mistreß Weldon, Ihr Mann, dem ich seine Frau und sein Kind zwar nicht zurückgeben, aber doch verkaufen will; den Vetter Benedict erhält er bei dem Handel dann als Zugabe!«

Mrs. Weldon fragte sich, ob Negoro ihr nicht blos eine Falle stelle, doch schien es ihr, als spreche er im Ernste. Einem elenden Wicht, dem das Geld Alles ist, darf man wohl trauen, wenn es sich um ein Geschäft für ihn handelt, und hier lag ja ein solches vor.

»Und wann gedenken Sie dieses Geschäft abzuschließen? fragte Mrs. Weldon.

– Sobald als möglich.

– Wo?

– Hier auf der Stelle. James W. Weldon wird sich gewiß nicht besinnen, bis nach Kazonnde zu kommen, um seine Frau und sein Kind abzuholen.

– Nein, er würde nicht zögern! – Doch, wer giebt ihm Nachricht?

– Ich. Ich werde nach San Francisco gehen und Herrn Weldon aufsuchen. Das Geld zu dieser Reise fehlt mir nicht.

– Das vom »Pilgrim« gestohlene Geld?

– Ja, …. eben das…. und noch anderes obendrein, antwortete Negoro prahlend. Doch ich will Sie schnell verkaufen und theuer an den Mann bringen. Ich denke, James Weldon wird so einhunderttausend Dollars nicht ansehen.

– Er wird sie nicht ansehen, wenn er sie geben kann, bestätigte Mrs. Weldon frostig. Nur wird mein Mann, wenn Sie ihm sagen, daß ich als Gefangene in Kazonnde, im Innern Afrikas zurückgehalten werde…

– Natürlich werde ich ihm das sagen.

– Mein Mann wird Ihnen ohne Beweise nicht glauben und nicht so unklug sein, auf Ihr bloßes Wort hin, hierher nach Kazonnde zu kommen.

– Er wird schon kommen, entgegnete Negoro, wenn ich ihm einen von Ihnen geschriebenen Brief bringe, in dem Sie Ihre Lage schildern und mich für einen treuen Diener ausgeben, dem es gelang, den Händen dieser Wilden zu entfliehen…

– Nie werden meine Hände diesen Brief schreiben! antwortete Mrs. Weldon bestimmt.

– Sie schlagen es ab? rief Negoro.

– Ja, gewiß!«

Der Gedanke an die Gefahren, welche ihrem Gatten drohten, wenn er nach Kazonnde kam, das wenige Vertrauen, das sie in die Versprechungen Negoro’s setzen konnte, die Leichtigkeit für diesen, auch Mr. Weldon nach eingezogenem Lösegeld zurückzuhalten, alle diese Gründe wirkten zusammen, daß Mrs. Weldon, die im ersten Augenblicke nicht an ihr Kind dachte, den Vorschlag Negoro’s rundweg ablehnte.

»Sie werden diesen Brief schreiben! begann der Portugiese noch einmal.

– Nein! antwortete Mrs. Weldon wiederholt.

– Ah, nehmen Sie sich in Acht! rief Negoro. Sie sind hier nicht allein! Ihr Kind ist ebenso in meiner Gewalt wie Sie selbst!«

Mrs. Weldon wollte antworten, daß ihm das unmöglich sei. Ihr Herz schlug zum Zerspringen und die Stimme versagte ihr.

»Mistreß Weldon, begann Negoro noch einmal, Sie werden sich mein Anerbieten überlegen. Binnen acht Tagen werden Sie mir einen Brief mit der Adresse des Herrn Weldon übergeben haben oder sie dürften es bereuen!«