Mit diesen Worten zog der Portugiese sich zurück, ohne seiner Wuth freien Lauf zu lassen, an Allem aber zeigte es sich, daß er vor keinem Mittel zurückschrecken werde, Mrs. Weldon zum Nachgeben zu zwingen.
Vierzehntes Capitel.
Einige Nachrichten von Dr. Livingstone.
Als sie allein war, bewegten sich Mrs. Weldon’s Gedanken nur darum, daß acht Tage vergehen sollten, bis Negoro eine endgiltige Antwort von ihr verlangte. Jetzt galt es also zu überlegen und einen Entschluß zu fassen. Um die Ehrlichkeit des Portugiesen handelte es sich bei dieser Angelegenheit ja nicht, sondern nur um sein Interesse. Der Handelswerth, den er seiner Gefangenen beimaß, gewährte dieser offenbar einen gewissen Schutz und sicherte sie wenigstens vorläufig vor jeder drohenden Gefahr. Vielleicht machte sie ein Mittel ausfindig, ihrem Gemal zurückgegeben werden zu können, ohne daß dieser sich nach Kazonnde begab. Sie wußte wohl, daß James W. Weldon auf einen Brief seiner Frau hin sofort abreisen und allen Gefahren dieser Reise durch die verrufensten Gegenden Afrikas trotzen werde. War er aber einmal in Kazonnde und hatte Negoro die Summe von 1 00.000 Dollars in den Händen, welche Garantie hätten dann Mr. Weldon, seine Frau, sein Kind und Vetter Benedict dafür, daß man sie auch unbehelligt ihren Weg ziehen ließe? Genügte nicht eine Laune der Königin Moina, sie daran zu hindern? Vollzog sich der vorgeschlagene »Austausch« Mrs. Weldon’s und der Ihrigen nicht weit sicherer an irgend einem vorherbestimmten Punkte der Küste, wodurch James W. Weldon wenigstens die Gefahren einer Reise in’s Innere und die Schwierigkeiten, um nicht zu sagen, die Unmöglichkeit der Rückreise erspart blieben?
Diese Gedanken etwa drängten sich in Mrs. Weldon’s Kopfe. Aus den angeführten Gründen hatte sie von vornherein Negoro’s Vorschlag, ihm einen Brief an ihren Gatten zu geben, kurz abgewiesen. Sie überlegte sich auch, daß Negoro, wenn er seinen zweiten Besuch erst nach acht Tagen ansetzte, gewiß eben so lange Zeit brauche, sich für die geplante Reise vorzubereiten, sonst würde er wohl einen kürzeren Termin bestimmt haben, ihr sozusagen die Pistole auf die Brust zu setzen.
»Sollte er es wirklich wagen, mich von meinem Kinde zu trennen? murmelte sie.
In diesem Augenblick hüpfte Jack in die Hütte und seine Mutter umschlang ihn zärtlicher denn je, so als sei Negoro schon hier, ihr das Kind zu entreißen.
»Du bist recht betrübt, Mama? fragte der kleine Knabe.
– Nein, mein Jack, o nein! antwortete Mrs. Weldon. Ich dachte an Deinen Papa. Du möchtest ihn gewiß gern wiedersehen?
– Ach ja, Mama! Wird er hierher kommen?
– Nein… nein! Das darf er nicht!
– So werden wir zu ihm zurückkehren?
– Ja, mein Jack!
– Mit meinem Freunde Dick… und Herkules… und dem alten Tom?
– Ja… freilich!… antwortete Mrs. Weldon, indem sie den Kopf niedersenkte, um ihre Thränen zu verbergen.
– Hat Papa an Dich geschrieben? fragte der kleine Jack weiter.
– Nein, mein Schatz.
– So hast Du an ihn geschrieben, Mama?
– Ja… ja… Vielleicht!«… erwiderte Mrs. Weldon.
Unwillkürlich trat der kleine Jack hiermit den Gedanken seiner Mutter entgegen, die ihn mit Küssen bedeckte, um jeder weiteren Antwort enthoben zu sein.
Zu den anderen Gründen, welche Mrs. Weldon veranlaßt hatten, Negoro’s Vorschläge von vornherein abzulehnen, gesellte sich nämlich noch ein anderer, und zwar ein nicht ganz unrichtiger. Vielleicht bot sich ihr ohne Mitwirkung ihres Mannes und gegen Negoro’s Absicht eine unerwartete Aussicht auf Befreiung. Zwar leuchtete ihr nur ein Schimmer von Hoffnung, nur ein sehr schwacher, immerhin aber war es doch ein solcher.
Einige Worte, die sie von einer, wenige Tage vorher stattgefundenen Unterhaltung hörte, eröffneten ihr die Aussicht auf eine baldige, scheinbar wie von der Vorsehung gesandte Hilfe.
Alvez und ein Mestize aus Ujiji plauderten wenige Schritte vor der Hütte, welche Mrs. Weldon inne hatte. Daß sich das Gespräch um nichts Anderes drehte als um den Handel mit Negern, wird Niemand erstaunen machen. Die beiden Menschenfleischhändler sprachen eben vom Geschäft. Sie ließen sich über die ihrem Gewerbe bevorstehenden Aussichten aus und zeigten sich nicht wenig beunruhigt über die Störungen, welche ihnen die Engländer nicht nur draußen durch ihre Kreuzer, sondern auch im Innern durch die Missionäre und Reisenden bereiteten.
Jose-Antonio Alvez war der Ansicht, daß jene kühnen Pionniere nur der Freiheit ihrer commerciellen Thätigkeit schaden könnten. Sein Partner theilte diese Anschauung vollkommen und hätte jene weltlichen oder geistlichen Besucher lieber mit Flintenschüssen empfangen gesehen.
In gewissem Grade war das übrigens auch der Fall; zum großen Mißvergnügen der Händler kamen nur immer andere, wenn man einmal einen jener Neugierigen abgethan hatte. Kehrten diese nun in ihre Heimat zurück, so erzählten sie »mit crasser Uebertreibung«, wie Alvez sagte, von den Gräueln des Sklavenhandels, und das schadete dem an und für sich beschränkten Geschäft natürlich ganz bedeutend.
Der Mestize stimmte ihm bei und beklagte dasselbe vorzüglich in Betreff der Märkte von Ujiji, N’yangwe und Zanzibar, sowie des ganzen Gebietes der großen Seen. Dorthin waren nacheinander Speke, Grant, Livingstone, Stanley und Andere gekommen. Das glich einem feindlichen Einfall.
Bald würden ganz England und ganz Amerika sich des Landes bemächtigt haben.
Alvez bedauerte seinen Geschäftsfreund aufrichtig und gestand, daß die Provinzen des westlichen Afrikas bisher noch weniger mißhandelt, d.h. weniger besucht worden seien; die Reisenden-Epidemie gewann aber an Ausbreitung; war Kazonnde auch noch verschont geblieben, so war das doch nicht mit Cassange und Bihe der Fall, wo Alvez ja auch Factoreien besaß. Man erinnert sich wohl der Mittheilung Harri’s gegen Negoro über einen gewissen Lieutenant Cameron, der die Frechheit haben konnte, Afrika von einer Küste zur anderen zu durchreisen und von Zanzibar ausgehend es in Angola verlassen wollte.
Der Sklavenhändler hatte in der That allen Grund, zu fürchten, denn man weiß ja, daß Cameron im Süden und Stanley im Norden wenige Jahre später die noch ziemlich unbekannten Provinzen des Westens durchforschten, die fortdauernden Gräuel des Sklavenhandels an den Pranger stellten, die schändliche Mitschuld der fremden Agenten darlegten und Alle zur Verantwortung zu ziehen suchten.
Von diesen Reisen Camerons und Stanley’s konnten jetzt freilich weder Alvez noch der Mestize etwas wissen; doch was sie wußten, was sie einander mittheilten, was Mrs. Weldon hörte und was für sie ein so großes Interesse hatte, mit einem Worte, was sie veranlaßt hatte, sich den Anforderungen Negoro’s nicht sofort zu unterwerfen, das war die Nachricht, daß Doctor Livingstone binnen Kurzem nach Kazonnde kommen werde.
Die Ankunft Livingstone’s mit seinem Gefolge, das weitreichende Ansehen, das er in Afrika genoß, der Beistand der portugiesischen Behörden von Angola, der ihm nicht fehlen konnte – das zusammen konnte ja recht wohl die Befreiung Mrs. Weldon’s und der Ihrigen, gegen Negoro’s und gegen Alvez’ Willen, herbeiführen. Jetzt winkte den Gefangenen vielleicht die Rückkehr nach dem Vaterlande in nahe bevorstehender Zeit, und ohne daß James W. Weldon sein Leben erst bei einer Reise wagte, deren guter Erfolg noch nicht einmal sicher war.
Lag denn aber die Wahrscheinlichkeit nahe, daß Livingstone diesen Theil des Continents binnen Kurzem besuchen werde? Ja, denn wenn er seiner eingehaltenen Reiseroute weiter folgte, kam er bei der Durchforschung Central-Afrikas nun sicher hierher.
Die Heldenlaufbahn des Sohnes jenes kleinen Theehändlers in Blantyre, einem Dorfe der Grafschaft Lamark, ist wohl schon ziemlich bekannt. David Livingstone, als das zweite von den sechs Kindern seines Vaters am 13. März 1813 geboren, bildete sich durch theologische und medicinische Studien, absolvirte sein Noviziat in der »London missionary Society« und schiffte sich im Jahre 1840 nach dem Cap in der Absicht ein, im südlichen Afrika den Missionär Moffat in Kuruman aufzusuchen.