Das waren also alle überlebenden Wesen von jenem Wrack, welches der erste starke Wellenschlag sofort versenkt hätte. Ohne die unerwartete Ankunft des »Pilgrim«, den Windstillen und Gegenwinde in seinem Laufe gehindert hatten, so daß es Kapitän Hull möglich wurde, dieses Werk der Barmherzigkeit zu üben, hätte das Meer freilich nur noch Leichen verschlungen.
Jetzt galt es noch, die Schiffbrüchigen vom »Waldeck« nach ihrer Heimat zurückzuführen, sie, welche durch dieses Unglück den ganzen Ertrag eines dreijährigen Fleißes eingebüßt hatten. Das sollte denn auch geschehen. Der »Pilgrim« war ja nach Löschung seiner Ladung in Valparaiso bestimmt, längs der Küste Amerikas nach Kalifornien hinauszusegeln. Dort stand Tom und seinen Begleitern seitens James W. Weldon’s gewiß ein herzlicher Empfang bevor – das versicherte wenigstens dessen edelmüthige Gattin – und sie durften hoffen, mit dem Nothwendigsten versehen zu werden, um nach Pennsylvanien zurückzugelangen.
Ueber ihre Zukunft außer Sorge, fühlten sich die wackeren Leute gegen Mrs. Weldon und Kapitän Hull zu größtem Dank verpflichtet. Gewiß schuldeten sie diesen Beiden viel, verzweifelten aber scheinbar nicht daran, sich dereinst dafür erkenntlich erweisen zu können.
Fünftes Capitel.
S. V.
Inzwischen setzte der »Pilgrim« seinen Kurs fort und suchte so weit als möglich nach Osten vorzudringen.
Dieses fast unwandelbare Fortdauern der Calmen erregte in Kapitän Hull doch allerlei Gedanken – nicht, daß er sich bei einer Fahrt nach Valparaiso wegen einer Verzögerung von einer oder zwei Wochen beunruhigt hatte, wohl aber wegen der größeren Anstrengungen, welche eine solche Verzögerung für die reisende Dame mit sich brachte.
Mrs. Weldon selbst beklagte sich indessen keineswegs, sondern faßte sich solchen Unbequemlichkeiten gegenüber in philosophischer Geduld.
Noch an demselben Tage, am 2. Februar, verlor man das Wrack aus dem Gesicht.
Kapitän Hull sorgte vor allen Dingen dafür, Tom und dessen Begleiter, so bequem als möglich unterzubringen. Die Schlafräume der Mannschaft, welche sich als Ruff auf dem Deck befanden, wären für Alle zu beschränkt gewesen. Man richtete für jene also einen Platz unter dem Vorderkastell ein. Die an harte Arbeit gewöhnten Leute konnten ja nicht besonders wählerisch sein und bei dem schönen Wetter, der milden Luft und dem heilsamen Seewinde erschien eine solche Wohnung auch als genügend, selbst für eine lange Ueberfahrt.
Das durch diese Zwischenfälle unterbrochene monotone Leben an Bord ging bald wieder seinen gewohnten Gang.
Inzwischen pflegte man die armen Schiffbrüchigen. (S. 34.)
Tom, Austin, Bat, Acteon und Herkules hätten sich gewiß gern nützlich gemacht. Bei den stets gleich bleibenden Winden bedurften die Segel jedoch kaum einer besonderen Aufmerksamkeit und Bedienung.
Der kräftige Neger… (S. 41.)
Kam es jedoch darauf an, die Segelstellung zu ändern, so beeilten sich der alte Neger und seine Begleiter, der Mannschaft hilfreiche Hand zu leisten, und man muß gestehen, daß es sich recht fühlbar machte, wenn der kolossale Herkules bei einem solchen Manöver mithalf. Der kräftige, sechs Fuß hohe Neger wog allein eine ganze Rotte Seeleute auf.
Der kleine Jack sah diesen Riesen stets mit größtem Wohlgefallen. Er fürchtete sich vor ihm nicht im Geringsten, und wenn ihn Herkules wie eine Puppe auf seinen Armen schaukelte, so jubelte er immer hoch auf.
»Heb’ mich recht hoch! rief der kleine Jack.
– So, nicht wahr, Herr Jack? erwiderte Herkules.
– Bin ich recht schwer?
– Ich fühle Dich ja gar nicht.
– Nun, also noch höher, so hoch Du kannst!«
Dann faßte Herkules mit seinen beiden Händen das Kind an den Beinen und spazierte mit demselben wie ein Akrobat im Circus umher. Jack fühlte sich groß, groß, und das war sein größtes Vergnügen. Er versuchte sogar, »sich schwer zu machen« – und doch wollte der Koloß ihn immer noch nicht fühlen.
Dick Sand und Herkules, das ergab also zwei Freunde des kleinen Jack. Er wußte sich aber bald auch noch einen Dritten zu erwerben.
Das war Dingo.
Wie erwähnt, gehörte Dingo zu den Hunden, welche sich nicht leicht an Jemand anschließen. Es mochte das daher rühren, daß die Gesellschaft auf dem »Waldeck« ihm nicht zusagte. Am Bord des »Pilgrim« lag die Sache anders. Jack vorzüglich wußte sich schnell mit ihm zu befreunden. Auch dieser schien eben so gern mit dem Knaben, wie letzterer mit dem Hunde zu spielen.
Dingo erwies sich bald, wie man es öfters bei großen Hunden findet, als Kinderfreund. Jack andererseits that ihm auch bestimmt nichts zu Leide. Sein größtes Vergnügen bestand darin, aus Dingo einen flotten Renner zu machen, und man muß wohl zugestehen, daß ein Pferd dieser Art doch einem solchen aus Leder, und wenn es auch Rollen an den Füßen hätte, weit vorzuziehen war. Jack galoppirte also mit dem Hunde umher, der sich das ruhig gefallen ließ, und in der That hatte Jack für ihn kein größeres Gewicht als ein Jockey für ein Rennpferd.
Doch welche Bresche legte er auch täglich in den Zuckervorrath der Kambüse!
Dingo war gar bald der Liebling der ganzen Mannschaft. Nur Negoro vermied nach wie vor mit demselben zusammenzutreffen, da das Thier ihm gegenüber noch immer dieselbe Antipathie bewahrte.
Der kleine Jack vernachlässigte inzwischen Dick Sand, den früheren Freund, keineswegs. Jede Stunde, welche der Dienst ihm freiließ, verbrachte der Leichtmatrose in Gesellschaft des kleinen Knaben.
Mrs. Weldon sah diese herzlichen Beziehungen zwischen Beiden mit größter Genugthuung.
Eines Tages, es war am 6. Februar, sprach sie über Dick Sand mit Kapitän Hull und dieser ertheilte dem jungen Leichtmatrosen das beste Lob.
»Jener Knabe, äußerte der Kapitän, wird einmal ein tüchtiger Seemann, dafür stehe ich ein! Er hat so die richtige Anlage für das Meer, und bei diesem Instincte, wenn ich so sagen darf, bemüht er sich auch noch, die theoretischen Kenntnisse für seinen Beruf nach Kräften zu vermehren. Der Reichthum seines Wissens ist für die kurze Zeit, die er darauf verwenden konnte, wahrhaft überraschend.
– Und ich füge aus Ueberzeugung hinzu, bemerkte Mrs. Weldon, daß er auch sonst ein ausgezeichneter junger Mensch ist, der seines Zieles bewußt und seinen Altersgenossen weit voraus ist, auch noch niemals, so lange wir ihn kennen, einen Vorwurf verdient hat.
– Gewiß, es ist ein prächtiges Kerlchen, bestätigte Kapitän Hull, der von Allen geachtet und geliebt wird.
– Ich weiß, fuhr Mrs. Weldon fort, daß es in der Absicht meines Mannes liegt, ihn nach Beendigung der diesjährigen Schifffahrt an einem Cursus für Hydrographie theilnehmen zu lassen, so daß er sich dereinst ein Kapitänspatent erwerben kann.
– Woran Herr Weldon nur recht thut, antwortete der Kapitän, Dick wird noch der amerikanischen Marine Ehre machen.
– Der arme Waisenjunge hat seinen Lebenslauf unter sehr unglücklichen Verhältnissen begonnen, bemerkte Mrs. Weldon; er hat eine harte Schule durchgemacht.