Die Männer rauchen inzwischen Tabak oder Hanf, jagen Elefanten oder Büffel und verdingen sich zur Ausführung der Razzias an die Sklavenhändler. Zu gewissen Zeiten heimst man stets eine Ernte ein, entweder eine solche an Mais oder an – Sklaven!
Von den genannten mannigfachen Beschäftigungen kamen in Alvez’ Factorei zur Kenntniß Mrs. Weldon’s natürlich nur diejenigen, welche den Frauen oblagen. Manchmal blieb sie stehen und sah jenen theilnehmend zu, während diese nur durch wenig einladende Grimassen zu antworten pflegten. Eine Weiße haßten sie schon aus gewissem Racen-Instinct, und ihr Herz fühlte offenbar nicht das mindeste Mitleid mit jener. Die junge Halima bildete die einzige, rühmliche Ausnahme, und bald gelang es Mrs. Weldon, die sich einzelne Worte der Landessprache angeeignet hatte, sich mit der jungen Sklavin nothdürftig zu unterhalten.
Der kleine Jack begleitete häufig seine Mutter, wenn diese innerhalb der Einfriedigung lustwandelte, aber er sehnte sich doch auch einmal hinaus. Da gab es in dem Gezweig eines mächtigen Baobab Marabut-Nester aus Baumästen, Nester von »Suimangas« mit scharlachrother Brust und Kehle, ähnlich den »Tissangen« (Webervögeln); ferner »Witwenvögel«, welche die Strohdächer zum Besten ihrer Familie plünderten; »Calaos«, die sich durch ihren lieblichen Gesang auszeichnen; hellgraue, rothgeschwänzte Papageien, welche in Manyema »Rouß« heißen und auch den Stammeshäuptlingen ihren Namen leihen; insectenvertilgende »Drugos«, ähnlich grauen Hänflingen mit sehr großem, rothem Schnabel. Da und dort, vorzüglich in der Umgebung der Bäche, welche durch die Factorei rieselten, schwärmten hunderte von Schmetterlingen der verschiedensten Arten; doch das interessirte Vetter Benedict fast noch mehr als den kleinen Jack, der es immer bedauerte, nicht größer zu sein, um über die Umplankung hinwegsehen zu können. Ach, wo war jetzt sein armer Freund Dick Sand, der ihn so hoch in die Takelage des »Pilgrim« mit hinausnahm! Wie hätte er mit ihm die Bäume erklettern wollen, deren Wipfel oft dreißig Meter und mehr emporragte! Welch’ herrliche Ausflüge hätten sie miteinander unternommen!
Vetter Benedict fühlte sich, da hier an Insecten kein Mangel war, für seine Person ganz glücklich. Er entdeckte zur größten Genugthuung in der Factorei eine Zwergbiene, die ihre Zelle in wurmstichigem Holze anbaute, dazu einen, Sphex«, der seine Eier in jene ihm nicht gehörigen Zellen, wie der Kuckuck in fremde Nester, ablegte, und er studirte sie, selbst ohne Brille und Loupe, so gut es eben anging. An Muskitos war nahe den Wasseradern auch kein Mangel, ja, diese zerstachen den Gelehrten bis nahe zur Unkenntlichkeit. Wenn Mrs. Weldon aber ihn fragte, warum er sich von den abscheulichen Insecten so zurichten lasse, antwortete er:
»O, Cousine Weldon, das ist eben ihr Instinct (dabei kratzte er sich, bis ihm Blutstropfen durch die Haut traten), deshalb darf man ihnen nicht böse sein!«
Eines Tages, es war am 17. Juni, wäre Vetter Benedict beinahe der glücklichste aller Entomologen geworden. Wir müssen das betreffende Abenteuer, welches so unerwartete Folgen haben sollte, indessen etwas eingehender erzählen.
Es mochte gegen elf Uhr Morgens sein. Eine geradezu unerträgliche Hitze zwang die Insassen der Factorei, sich in ihren Hütten versteckt zu halten, und auch auf den Straßen von Kazonnde begegnete man keinem einzigen Eingebornen.
Mrs. Weldon saß halbschlummernd neben dem kleinen Jack, der schon fest eingeschlafen war.
Selbst Vetter Benedict unterlag dem Einflusse dieser tropischen Temperatur und hatte auf seine Lieblingsjagd verzichtet – freilich nicht ohne großes Herzeleid, denn er hörte in den sengenden Strahlen der Mittagssonne eine ganze Welt von Insecten schwirren. Wohl oder übel hatte er sich jedoch in den kühlsten Winkel seiner Hütte zurückgezogen und auch ihn überwältigte fast der Schlaf bei dieser aufgezwungenen Siesta.
Da, als seine Augen sich schon halb schlossen, vernahm er ein Schwirren, eine Art unerträgliches Surren von Insecten, deren manche in der Secunde fünfzehn bis sechzehntausend Flügelschläge machen sollen, eine Angabe, welche jedoch schon die einfachsten akustischen Gesetze als weit übertrieben erscheinen lassen, da in jenem Falle ein weit höherer Ton hörbar werden müßte, als ihn irgend welche Insecten erzeugen.
»Eine Hexapode!« rief Vetter Benedict, der sofort wieder munter wurde und aus der horizontalen in die verticale Lage überging.
Daß es eine Hexapode sei, welche in der Hütte summte, unterlag wohl keinem Zweifel. Wenn Vetter Benedict einerseits sehr an Kurzsichtigkeit litt, so besaß er andererseits doch ein besonders scharfes Gehör, so daß er ein Insect von einem anderen schon an der Intensität des Summens zu unterscheiden vermochte, und das hier in Frage stehende erschien ihm gänzlich unbekannt, da dieses Geräusch nur von einem Riesen seiner Art herrühren konnte.
Mrs. Weldon saß halbschlummernd neben dem kleinen Jack. (S. 399.)
»Was für eine Hexapode mag das sein?« fragte sich Vetter Benedict.
Eifrig suchte er das Insect zu entdecken, was in Folge der Nichtbewaffnung seiner Augen sehr schwierig war, oder es an dem Schlagen seiner Flügel zu erkennen.
Es machte auf der äußersten Spitze dieses Gesichts-Appendix’ Halt. (S. 403.)
Sein Instinct als Entomolog flüsterte ihm zu, daß hier ein seltener Fang zu machen sei und daß dieses vom günstigen Zufall in seine Hütte verschlagene Insect nicht ein gewöhnliches sein könne.
Vetter Benedict erhob sich schweigend von seinem Lager. Er horchte. Ein schwacher Sonnenstrahl drang bis zu ihm. Da entdeckten seine Augen einen großen, schwarzen, hüpfenden Punkt, der nur nicht nahe genug kam, um für ihn erkennbar zu werden. Er hielt den Athem an und war entschlossen, wenn er irgendwo im Gesicht oder an den Händen einen Stich fühlte, sich nicht zu rühren, um seine Hexapode nicht zu verscheuchen.
Nach langem Hinundherfliegen setzte sich das summende Insect auf seinen Kopf. Vetter Benedict’s Mund erweiterte sich einen Augenblick zu einem Lächeln, und zu welchem glückseligen Lächeln! Er fühlte, wie das leichte Thier über seine Haare spazierte. Schon ergriff ihn das kaum widerstehliche Verlangen, mit der Hand nach jenem zu haschen; doch er beherrschte sich und that wohl daran.
»Nein, nein! dachte er; ich würde es verfehlen oder, noch schlimmer, ihm gar ein Leid zufügen! Sieh da, wie es marschirt! Es steigt abwärts. Ich fühle seine niedlichen Füße auf meinem Schädel! Das muß eine wohlgebildete Hexapode sein. Du himmlische Güte, gieb nur, daß sie zur Spitze meiner Nase herabklettert und dort ein wenig verweilt, damit ich sie sehen und vielleicht bestimmen kann, wohin sie nach Ordnung, Familie, Art oder Unterart gehört!«