Bald klatschten die großen Tropfen eines Gewitterregens auf die Erde.
Da entstand eine lebhafte Bewegung in der Menge. Man begann auf den Mganuga zu schimpfen und das Stirnrunzeln der Königin schien ihn mindestens mit dem Verlust der Ohren zu bedrohen. Wieder hatten die Eingebornen einen Kreis um ihn geschlossen; schon ballten sich die Hände, um ihm seinen Lohn zu ertheilen, als ein unerwarteter Zwischenfall die feindseligen Bewegungen abschnitt.
Der Magiker, welcher die Anderen gut um Kopfeslänge überragte, streckte die Arme nach einem bestimmten Theile der Einfriedigung aus, und zwar mit so sicherer, befehlerischer Geste, daß Alle unwillkürlich zurückwichen.
Von dem Lärmen und Rufen herbeigelockt, hatten Mrs. Weldon und der kleine Jack ihre Hütte verlassen. Sie waren es, auf die der Magiker in aufwallendem Zorn mit der linken Hand wies, während sich seine rechte zum Himmel erhob.
Sie, sie waren es! Eine Weiße nebst ihrem Kinde verschuldete all’ das Unheil des Landes! Hier lag die Quelle des Unglücks! Diese Wolken hatte sie aus ihrem regnerischen Vaterlande hierher gelockt, um das Gebiet von Kazonnde zu überschwemmen!
Die Umstehenden verstanden ihn. Königin Moina wies mit drohender Bewegung auf Mrs. Weldon. Unter furchtbarem Geschrei stürzten die Eingebornen schon auf diese zu.
Mrs. Weldon hielt sich für verloren und blieb, ihren Sohn mit den Armen umfassend, ruhig wie eine Bildsäule vor dem wüthenden Haufen stehen.
Der Magiker ging auf sie zu. Alle machten dem Wahrsager Platz, der mit der Ursache des Uebels auch das Heilmittel dagegen gefunden zu haben schien.
Auch der Sklavenhändler Alvez, für den das Leben seiner Gefangenen kostbar war, kam herbei, ohne zu wissen, was er thun solle.
Der Magiker hatte den kleinen Jack ergriffen und ihn den Armen seiner Mutter entreißend, hob er den Knaben gen Himmel. Es schien, als wolle er ihm den Kopf auf der Erde zerschmettern, um die erzürnten Götter zu versöhnen.
Mrs. Weldon stieß einen entsetzlichen Schrei aus und fiel besinnungslos zu Boden.
Der Magiker aber richtete, nach einem Zeichen gegen die Königin, welches diese von seinen Absichten unterrichten sollte, auch die unglückliche Mutter wieder auf und schleppte sie mit ihrem Kinde fort, während die von seinem Vorhaben verblüffte Volksmenge ihm freiwillig Platz machte.
»Hier bringe ich Ihnen Mistreß Weldon und den kleinen Jack wieder!« (S. 417.)
Alvez freilich faßte die Sache ganz anders auf. Erst einen Gefangenen von Dreien verloren zu haben und nun das ganze seiner Obhut anvertraute Depot, mit diesem zugleich aber die beträchtliche, ihm von Negoro versprochene Summe verschwinden zu sehen – nein, niemals, und wenn auch ganz Kazonnde unter einer neuen Sündfluth zu Grunde ginge!
Er wollte sich also dieser Entführung widersetzen.
Da wandte sich der Ingrimm der Eingebornen aber gegen ihn selbst. Die Königin ließ ihn durch ihre Mannen ergreifen, und da er wohl wußte, was es ihm kosten könne, wenn er Widerstand leistete, mußte er sich wohl oder übel ruhig verhalten und verwünschte heimlich die Leichtgläubigkeit der Unterthanen der erhabenen Moina.
In der That erwarteten diese Wilden, die Wolken mit denen verschwinden zu sehen, die sie herbeigerufen hatten, und sie zweifelten nicht im Geringsten daran, daß der Zauberer die ihnen so schädlichen Regengüsse durch das Blut der Fremden verbannen werde.
Inzwischen trug der Magiker seine Opfer weg – wie der Löwe ein Paar Ziegen, die für seinen gewaltigen Rachen ja so gut wie gar kein Gewicht haben – den kleinen erschrockenen Jack und die bewußtlose Mrs. Weldon, während die Volksmenge ihm in höchster Aufregung mit kreischendem Getöse folgte; jener aber verließ die Einfriedigung, schritt durch die Stadt nach dem Walde zu und lief drei Meilen weit dahin, ohne daß sein Fuß nur jemals ermattete, und erreichte endlich allein – die Eingebornen sahen wohl ein, daß er keine Begleitung wünsche – einen Fluß, der mit raschem Falle nach Norden strömte.
Dort fand sich, tief im Grunde einer von den langen Zweigen eines Busches versteckten Einbiegung, eine mit einer Hütte überbaute Pirogue vor.
Der Magiker legte seine doppelte Last darin nieder, stieß das Fahrzeug mit dem Fuße vom Ufer, so daß es bald von der schnellen Strömung erfaßt wurde, und sagte dann mit heller Stimme:
»Mein Kapitän, hier bringe ich Ihnen Mistreß Weldon und den kleinen Jack wieder! Nun vorwärts, und alle Wolken des Himmels mögen jenen Dummköpfen von Kazonnde den Garaus machen!«
Siebenzehntes Capitel.
Auf der Fahrt.
Herkules, der unter seiner Verkleidung als Magiker nicht erkennbare Neger war es, der also sprach, und Dick war es, an den er jene Worte richtete – ja, Dick Sand, der sich vor Schwäche freilich noch auf Vetter Benedict stützen mußte, neben welchem Dingo lagerte.
Als Mrs. Weldon wieder zum Bewußtsein kam, vermochte sie nur die Worte zu stammeln: »Du, Dick, Du!«
Der junge Leichtmatrose erhob sich, doch Mrs. Weldon preßte ihn in ihre Arme und überhäufte ihn mit Liebkosungen.
»Mein Freund Dick! Mein Freund Dick!« wiederholte der kleine Knabe immer.
Dann wandte er sich gegen Herkules.
»Und Dich, sagte er, Dich hab’ ich nicht einmal erkannt!
– Ja, das nennt man aber auch eine Verkleidung! antwortete Herkules, der die weißen Streifen wieder von seiner Brust abzureiben suchte.
– Du sahst gar zu häßlich aus, meinte der kleine Jack.
– Ei, ich war ja der Teufel, und der Teufel kann nicht schön aussehen!
– Herkules! sagte Mrs. Weldon, indem sie dem braven Neger die Hand reichte.
– Er hat Sie befreit, fiel Dick Sand ein, wie er mich gerettet hat, obwohl er es nicht zugestehen will.
– Gerettet! gerettet! Das sind wir jetzt noch nicht. Uebrigens wäre ohne Herrn Benedict, der hierher kam und uns mittheilte, wo Sie sich befänden, Mistreß Weldon, nicht das Geringste anzufangen gewesen!«
Herkules war es nämlich gewesen, der vor fünf Tagen auf den Gelehrten zusprang, als dieser schon zwei Meilen von der Factorei, auf der Jagd nach der kostbaren Manticore, durch den Wald trabte. Ohnedem hätten weder Dick Sand noch der Neger von dem Aufenthalt der Mrs. Weldon Kenntniß gehabt und Herkules konnte sich auch nicht als falscher Zauberer nach Kazonnde hineinwagen.
Während nun das Boot mit großer Schnelligkeit in dem hier sehr eingeengten Flußbett hinabglitt, erzählte Herkules, was sich seit seiner Flucht vom Lager an der Coanza ereignet hatte; wie er der Kitannda, in der er Mrs. Weldon und ihren Sohn wußte, ungesehen gefolgt sei; wie er Dingo verwundet wiedergefunden habe und beide in der Nachbarschaft von Kazonnde angekommen seien; wie ferner ein Zettel von Herkules Dick Sand unterrichtet habe, was aus Mrs. Weldon geworden wäre; wie er nach dem unverhofften Zusammentreffen mit Vetter Benedict vergebens in die strenger als bisher bewachte Factorei einzudringen versucht, und wie er endlich die Gelegenheit fand, sie dem schrecklichen Jose-Antonio Alvez zu entführen. Diese Gelegenheit hatte sich erst an dem nämlichen Tage geboten. Ein Mganuga, auf einer Zauberer-Rundreise begriffen, derselbe, welcher von der Königin so ungeduldig erwartet wurde, kam früh Morgens durch den Wald, in dem Herkules jede Nacht spähend und lauschend umherlief. Auf den Magiker losspringen, ihn seines Apparates zu erleichtern und seiner Hexenmeister-Kleidung zu berauben und jenen mit unlösbaren Knoten mittelst Lianen an einen Baum binden, sich den Körper zu bemalen, wobei der Magiker als Modell dienen mußte, und dessen Rolle zur Beschwörung des unablässigen Regens zu übernehmen – das Alles war das Werk weniger Stunden; freilich gehörte die grenzenlose Leichtgläubigkeit der Eingebornen dazu, diesen Mummenschanz durchzuführen.