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In dieser ganzen Erzählung, welche Herkules ziemlich schnell berichtete, war von Dick Sand in keiner Weise die Rede.

»Und Du, Dick? fragte deshalb Mrs. Weldon.

– Ich, Mistreß Weldon, antwortete der junge Leichtmatrose, ich habe Ihnen nichts zu erzählen. Mein letzter Gedanke galt Ihnen und dem kleinen Jack! Vergeblich suchte ich die Fesseln zu sprengen, die mich an dem Todespfahl festhielten… Dann stieg mir das Wasser über den Kopf… ich verlor das Bewußtsein…. Als ich wieder zu mir kam, sah ich mich in einer von Papyrusblättern gedeckten Versenkung am Ufer dieses Flusses, und Herkules vor mir knieend, der mich mit größter Sorgfalt pflegte.

– Potz tausend, weil ich eben Heilkünstler bin, warf Herkules ein, Wahrsager, Zauberer, Magiker, Zukunftsdeuter!…

– Sagt mir, Herkules, fragte Mrs. Weldon, wie es Euch möglich wurde, Dick Sand zu retten?

– Hab’ ich denn das gethan, Mistreß Weldon? entgegnete Herkules; hat nicht die Strömung den Pfahl umreißen können, an den unser Kapitän gebunden war, und ihn im Dunkel der Nacht eben auf jenem Balken unbemerkt wegführen können, bis ich ihn auf jenem halbtodt entdeckte? War es denn bei der Finsterniß so schwierig, sich mitten unter die Opfer, welche den Boden des Grabes auskleideten, zu schleichen, die Durchstechung des Dammes abzuwarten und beim Steigen des Wassers heimlich den Pfahl zu lockern und auszureißen, an den die Schurken unsern Kapitän gebunden hatten? Dabei ist doch nichts so Besonderes! Das hätte der erste Beste auch gethan. Ich wette, selbst Herr Benedict, im schlimmsten Falle sogar Dingo! Wahrhaftig, warum könnte es denn nicht Dingo ausgeführt haben?…«

Da ließ sich ein leises Kläffen hören; Jack faßte den großen Kopf des Hundes und streichelte ihn sanft. Dann sagte er:

»Sprich, Dingo, hast Du unsern Freund Dick gerettet?«

Gleichzeitig bewegte er den Kopf des Hundes von links nach rechts.

»Da, er sagt Nein, Herkules! fuhr Jack fort. Du siehst nun wohl, daß er es nicht gewesen ist. – Nun aber, Dingo, war es Herkules, der unsern Kapitän vom Tode gerettet hat?«

Der Knabe bewegte den schönen Kopf Dingo’s fünf-bis sechsmal auf und ab.

»Er sagt Ja, Herkules! Er sagt Ja! rief der kleine Jack. Du siehst wohl ein, daß Du es selbst gewesen bist!

– Freund Dingo, erwiderte Herkules, den Hund liebkosend, das ist nicht hübsch von Dir. Du hast ja versprochen, mich nicht zu verrathen!«

In der That, Herkules hatte sein Leben für das Dick Sand’s eingesetzt. Doch das lag nun einmal so in seiner Natur und seine Bescheidenheit erlaubte ihn nicht, davon zu sprechen. Uebrigens fand er die Sache so einfach, und wiederholte, daß Keiner seiner Gefährten gezögert haben würde, unter den gegebenen Umständen ebenso zu handeln, wie er es gethan habe.

Das veranlaßte Mrs. Weldon, nach dem alten Tom, dessen Sohn, Acteon und Bat, ihren unglücklichen Begleitern, zu fragen.

Sie waren nach dem Gebiet der großen Seen abgereist. Herkules hatte sie mit der Sklaven-Karawane fortziehen sehen. Er war ihnen zwar eine große Strecke gefolgt, doch wollte sich nie eine Gelegenheit bieten, mit ihnen in Verbindung zu treten Sie waren fort! Sie waren verloren!

Dem früheren heiteren Lachen Herkules’ folgten jetzt schwere Thränen, die er auch nicht zu verbergen suchte.

»Weint nicht, mein Freund, sprach ihm Mrs. Weldon zu; wer weiß, ob Gott uns nicht die Gnade gewährt, sie einst doch noch wiederzusehen.«

Wenig Worte genügten, um Dick Sand von dem in Kenntniß zu setzen, was sich während des Aufenthaltes der Mrs. Weldon in der Factorei von Alvez zugetragen hatte.

»Vielleicht, fügte sie hinzu, wäre es besser gewesen, in Kazonnde auszuharren…

– O, über mich Tölpel! rief Herkules.

– Nein, Herkules, nein! entgegnete Dick Sand. Jene Elenden hätten Mittel und Wege gefunden, Mrs. Weldon in irgend welche Falle zu locken! Fliehen wir vereint und ohne Zögern! Wir werden an der Küste ankommen, bevor Negoro nach Mossamedes zurück sein kann. Dort leihen uns die portugiesischen Behörden ihre Hilfe und Unterstützung, und wenn Alvez sich dann einstellt, seine einhunderttausend Dollars in Empfang zu nehmen…

– So wird der alte Schurke einhunderttausend Stockhiebe über den Schädel erhalten! rief Herkules; ich verpflichte mich, die letzte Rechnung mit ihm abzuschließen!«

Konnte Mrs. Weldon auch gar nicht daran denken, nach Kazonnde zurückzukehren, so bildete ihre vorher getroffene Verabredung doch eine gewisse Erschwerung der Flucht. Vor Allem galt es, Negoro zuvorzukommen. Alle weiteren Projecte Dick Sand’s mußten dieses Ziel im Auge haben.

Endlich kam nun Dick Sand’s lang gehegter Plan, die Meeresküste mittelst eines Flusses oder Stromes zu erreichen, zur Ausführung. Jetzt war der Wasserlauf da, seine Strömung verlief nach Norden und es hatte einige Wahrscheinlichkeit für sich, daß derselbe sich in den Zaïre ergießen möchte. In diesem Falle würden Mrs. Weldon und die Ihrigen statt in San Pablo de Loanda freilich an der Mündung dieses großen Stromes anlangen; das verschlug ihnen jedoch nicht viel, da auch in den Kolonien Unter-Guineas ja auf einige Hilfe zu rechnen war.

Als Dick Sand sich dafür entschieden hatte, jenen Fluß hinabzufahren, war es sein erster Gedanke, eine Art Floß von Stämmen und Zweigen zu benützen, etwa eine schwimmende Insel, wie man sie auf den afrikanischen Strömen ziemlich häufig antrifft und von denen bei Cameron wiederholt die Rede ist.

Als Herkules aber während der Nacht am Flußufer umherspähte, fand er ein wirkliches Boot, welches führerlos den Strom hinabschwamm. Ein besseres Fahrzeug hätte Dick Sand sich gar nicht wünschen können, und der Zufall hatte ihn hierbei wirklich ausnehmend begünstigt. Es gehörte jenes nämlich keineswegs zu den schmalen Barken, wie sich die Eingebornen solcher gewöhnlich bedienen. Die Länge der von Herkules entdeckten Pirogue überschritt wohl 9 Meter bei einer Breite von über 1 Meter; derlei Boote sieht man, von zahlreichen Ruderern getrieben, auf den großen Seen oft pfeilschnell dahinschießen.

Mrs. Weldon und ihre Begleiter fanden also ausreichend Platz in jenem, und man brauchte es nur mittelst eines Bootsriemens einigermaßen zu steuern, um bequem mit der Strömung flußabwärts zu gelangen.

Anfangs hatte Dick Sand, um möglichst ungesehen zu bleiben, die Absicht, nur in der Nacht zu reisen. Benutzte man von vierundzwanzig Stunden aber nur zwölf, so verdoppelte man offenbar die Dauer einer an und für sich nicht gefahrlosen Fahrt, welche ja ohnedies lange genug währen mußte. Glücklicher Weise kam Dick Sand auf den Gedanken, die Pirogue mit einem Dache aus langen, durch eine Stange gehaltenen Zweigen so zu bedecken, daß auch der Bootsriemen nicht sichtbar war. Man konnte das Ganze recht wohl für einen Haufen Aeste und Zweige halten, der mitten unter anderen schwimmenden Inseln dahinfloß. Die Herstellung dieses natürlichen Daches gelang auch so ausgezeichnet, daß sich selbst Vögel dadurch täuschen ließen, und oft setzten sich rothschnäblige Möven, schwarzgefiederte »Arrhingos« oder grüne oder weiße Papageien auf dasselbe, um einige Körner zu naschen.

Außerdem bildete dieses Dach einen vorzüglichen Schutz gegen die Sonnengluth. Eine unter diesen Verhältnissen unternommene Reise versprach also, wenn auch nicht ohne Gefahr, doch mindestens ohne besondere Anstrengung zu verlaufen.

Jedenfalls nahm die Fahrt eine ziemliche Zeit in Anspruch und mußte man sich täglich mit der nöthigen Nahrung zu versehen suchen. Gewährte der Fischfang diese nicht, so trat die Nothwendigkeit ein, am Flußufer zu jagen, und Dick Sand besaß als Feuerwaffe nur das eine Gewehr, welches Herkules nach dem Angriffe auf den Termitenbau mitgenommen hatte. Dafür bemühte er sich desto mehr, keinen Schuß vergeblich abzufeuern. Manchmal konnte er wohl auch aus der Bootshütte heraus durch die Wand von Zweigen schießen, wie der Hüttenjäger durch die Oeffnung seiner Hütte.