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Vielleicht lebten auch die Stämme dieser Gegend, welche der Fluß durchschnitt, unter der Erdoberfläche, wie in manchen anderen Theilen Afrikas. Diese auf der untersten Stufe der Menschheit stehenden Wilden kommen nur während der Nacht aus ihren Löchern, wie die Raubthiere aus ihren Höhlen, und eine Begegnung mit den ersteren oder letzteren möchte wohl eine gleich große Gefahr darbieten.

Daß er sich hier in der Heimat von Menschenfressern befinde, darüber konnte Dick Sand nicht in Zweifel sein. Wiederholt fand er an lichteren Stellen des Waldes, mitten in kaum erkalteter Asche, halb verbrannte menschliche Gebeine als Ueberbleibsel irgend eines entsetzlichen Mahles. Ein übler Zufall konnte recht wohl solche Kannibalen von Ober-Kazonnde nach dem Flußufer führen, wenn Dick Sand eben am Lande war. Er blieb also niemals ohne Noth längere Zeit aus, und ohne Herkules das Versprechen abzunehmen, daß er das Boot beim geringsten Alarmruf vom Lande abstoßen werde.

Der Löwe wurde Dick Sand gewahr. (S. 430.)

Der wackere Neger hatte ihm das zugesagt, doch nur mit Mühe verbarg er vor Mrs. Weldon seine tödtliche Unruhe, wenn Dick Sand an’s Land gegangen war.

Am Abend des 10. Juli mußte doppelte Vorsicht gebraucht werden. Auf dem rechten Flußufer erhob sich eine Art Wasser Dorf.

Hastig holten die Eingebornen ihre Netze heraus. (S. 434.)

Das verbreiterte Strombett bildete nämlich eine Art Lagune, deren Gewässer etwa dreißig auf Pfählen errichtete Hütten bespülte. Die Strömung führte unter diesen Hütten hin und das Boot mußte ihr folgen, denn nach links hin war der Fluß wegen eingelagerter Felsmassen nicht fahrbar.

Das erwähnte Dorf erwies sich auch bewohnt Da und dort erglänzte der Schein von Feuer unter den Wohnungen. Man hörte auch Stimmen, welche mehr einem wilden Heulen ähnelten Wenn unglücklicher Weise zwischen den Pfählen, wie das häufiger vorkommt, Seile und Netze ausgespannt waren, so konnte die Pirogue, während sie einen Durchgang suchte, ihre Anwesenheit leicht selbst verrathen.

Mit gedämpfter Stimme ertheilte Dick Sand vom vorderen Ende aus seine Anweisungen, um jeden Anprall gegen die wurmstichigen Unterbauten zu vermeiden. Die Nacht war sternenklar. Man sah dabei genug, um sich zurechtzufinden, freilich auch, um selbst gesehen zu werden.

Nun kamen einige schreckliche Minuten. Zwei Eingeborne saßen laut sprechend nahe der Wasserfläche auf Pfählen, zwischen welchen die Strömung das Boot hindurchtreiben mußte, dessen Richtung bei diesem schmalen Wege in keiner Weise verändert werden durfte. Sollten sie dasselbe nicht erkennen und war nicht auf ihren Weckruf die Zusammenströmung aller Bewohner dieser Ansiedlung zu befürchten?

Noch war eine Strecke von etwa hundert Schritt Länge zurückzulegen, als Dick Sand hörte, wie sich die Eingebornen einige lebhaftere Worte zuriefen. Der Eine zeigte dem Anderen den herangleitenden Gras-und Reisighaufen, der die Lianen-Netze, welche sie eben auszulegen beschäftigt waren, zu zerreißen drohte.

Dann hoben sie dieselben und riefen laut nach Anderen um Unterstützung.

Bald kletterten fünf oder sechs andere Neger längs der Grundpfähle herab und setzten sich unter wildem Geschrei, von dem man sich kaum eine Vorstellung machen kann, auf die Querbalken, welche die Pfeiler verbanden.

In der Pirogue dagegen herrschte Todtenstille, die höchstens durch einige mit gedämpfter Stimme ertheilte Befehle Dick Sand’s unterbrochen wurde; nichts regte sich, außer etwa Herkules’ rechter Arm, der den Bootsriemen regierte; manchmal knurrte Dingo leise, doch Jack hielt ihm mit den kleinen Händchen die Kinnladen zusammen; draußen murmelte das strömende Wasser, das sich an den Grundpfählen brach; darüber aber ertönte das thierische Gebrüll der Kannibalen.

Hastig holten die Eingebornen ihre Netze heraus. Gelang ihnen das rechtzeitig, so war Aussicht vorhanden, daß das Boot hindurchkommen werde; im anderen Falle mußte es sich in jenen fangen und dann drohte ein gewisser Untergang Allen, die es mit sich führte.

Binnen einer halben Minute schon schwankte das Boot zwischen die Pfähle hinein. Unerwartet glücklicher Weise gelang es der äußersten Anstrengung jener Wilden, die Netze vollends emporzuziehen.

Im Vorüberstreifen aber geschah, was Dick Sand befürchtet hatte – die rechte Seite des Fahrzeuges wurde durch Losreißung einigen Laubwerkes stellenweise bloßgelegt.

Einer der Eingebornen stieß einen Schrei aus. Hatte er zu erkennen vermocht, was diese Laubhütte verdeckte, und wollte er die Anderen darauf aufmerksam machen? Wahrscheinlich.

Schon waren Dick Sand und die Seinen aber ein gutes Stück weg und in wenig Augenblicken trug sie der Fluß, der hier mehr eine Stromschnelle bildete, so weit, daß sie jenes Pfahldorf ganz aus dem Gesichte verloren.

»Nach dem linken Ufer! commandirte Dick Sand aus Vorsorge. Das Wasser ist dort wieder schiffbar!

– Beidrehen nach links!« wiederholte Herkules, indem er mit dem Bootsriemen kräftig einlenkte.

Dick Sand nahm neben ihm Platz und lugte scharf nach der vom Monde hell erleuchteten Wasserfläche hinaus, doch konnte er nichts Verdächtiges wahrnehmen. Keine Pirogue erschien zu ihrer Verfolgung. Vielleicht besaßen die Wilden eine solche nicht, und auch bei Anbruch des Tages zeigte sich kein Eingeborner weder am Flusse noch an dessen Ufern. Um jedoch ganz sicher zu gehen, hielt sich das Boot beständig nahe dem linken Ufer.

Während der nächsten vier Tage, vom 11. bis 14. Juli, drängte sich Mrs. Weldon und ihren Gefährten die Beobachtung auf, daß sich der allgemeine Charakter des Landes auffallend verändert hatte. Hier befand man sich nicht mehr in einem öden Lande, sondern mehr in einer eigentlichen Wüste, vergleichbar der von Kalahari, welche Livingstone bei seiner ersten Reise untersuchte. Der dürre Erdboden erinnerte in keiner Weise mehr an die fruchtbaren Landschaften seines höheren Hinterlandes.

Nur der scheinbar endlose Fluß, der eigentlich den Namen eines Stromes verdiente, da er unmittelbar in den Atlantischen Ocean zu münden schien, setzte seinen Lauf noch fort.

Die Beschaffung der Nahrung machte in diesem unfruchtbaren Lande besondere Schwierigkeiten. Von den früheren Vorräthen war nichts mehr übrig. Der Fischfang lieferte nur einen geringen, die Jagd fast gar keinen Ertrag. Elennthiere, Antilopen, Pokus und andere Thiere hätten in dieser Wilstenei kein Futter gefunden, und mit ihnen waren gleichzeitig auch die Raubthiere verschwunden.

Während der Nacht ließ sich jetzt niemals mehr das gewohnte Brüllen hören. Nur das Concert der Frösche unterbrach ihre Stille, ein Concert, das Cameron mit dem Geräusch vergleicht, das etwa bei gleichzeitigem Kalfatern von Schiffen, Festhämmern von Nieten und Bohren von Metallplatten eines Schiffbodens entstände.

An beiden Ufern erschien die Umgegend flach und baumlos bis zu den entfernten Hügeln, die sie im Osten und Westen begrenzten. Nur Euphorbien gediehen hier noch in Menge, doch keine von den Arten, welche das Cassave-oder Maniocmehl liefern, sondern von jenen, aus denen man nur ein als Nahrungsmittel untaugliches Oel gewinnt.

Auf jeden Fall mußte indeß für die Ernährung der kleinen Gesellschaft Sorge getragen werden. Dick Sand wußte keinen Rath mehr, als ihn Herkules recht zur gelegenen Zeit daran erinnerte, daß die Eingebornen häufig die zarten Sprossen der Farren und das Mark der Papyrusstengel verzehren. Er selbst war, während er Ibn Hamis’ Karawane durch die Wälder folgte, mehr als einmal auf dieses Auskunftsmittel beschränkt gewesen, um seinen Hunger zu stillen. Zum Glück wucherten Farren und Papyrusstauden längs der Ufergelände und fand vorzüglich das Mark der letzteren seines angenehm süßen Saftes wegen bei Allen – beim kleinen Jack natürlich ganz besonders – den ungetheiltesten Beifall.